Schön vorsichtig bleiben

Der Giro will infektionsfrei durch Italien fahren. Den Fußballern gelang das nicht

  • Tom Mustroph, Villafranca
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Piazza Duomo in Catania war abgesperrt. Gut möglich, dass die Gitter noch standen wegen des Prozesses gegen Matteo Salvini. Der frühere italienische Innenminister muss sich in der sizilianischen Hafenstadt wegen seines Verbots, im Jahr 2019 ein Schiff der Küstenwache mit Geflüchteten an Bord an Land zu lassen, vor Gericht verantworten. Seine Anhänger und auch seine Gegner mobilisierten in den vergangenen Tagen so viele Menschen zum Prozess, dass in Pandemiezeiten eine geplante Veranstaltung Salvinis auf dem Domplatz abgesagt wurde. Am Dienstagvormittag bildeten sich dann erneut lange Schlangen vor den Gittern. Jetzt aber warteten die Menschen darauf, in die Startzone des Giro d’Italia eingelassen zu werden.

Eine Zulassung mussten die Radsportfans vorweisen. Bei jedem einzelnen wurde zudem Fieber gemessen. Dann erst durften sie in die für sie reservierten Zonen, die natürlich durch Barrieren von den Wegen getrennt waren, die die Radprofis zur Startlinie nehmen sollten. Die Fahrer hatten an diesem Tag ihre Teambusse zwei Kilometer entfernt geparkt. Dort war zum einen mehr Platz für die XXL-Gefährte. Zum anderen waren die Zuschauer hier zumindest eine Zeit lang fern gehalten vom Fahrerlager. Alles Vorsichtsmaßnahmen, um den dreiwöchigen Giro möglichst infektionsfrei durchziehen zu können.

Die Fahrer nehmen das längst mit Routine hin. »Wir haben uns inzwischen daran gewöhnt. Wir vertrauen den Organisatoren. Und es zeigt sich, wenn sich alle an die Regeln halten, bleiben Infektionen im Fahrerfeld auch aus«, bilanzierte der Österreicher Patrick Konrad, Profi vom deutschen Team Bora, gegenüber »nd« zufrieden.

Da geht es dem Radsport besser als dem italienischen Fußball. Dort hielt sich der Erstligist CFC Genua auch an die geltenden Regeln - die verhinderten aber nicht, dass mittlerweile 22 Mann, darunter 17 Spieler, Corona-positiv sind. 20 von ihnen hatten, obwohl zuvor negativ getestet, das Virus schon in sich, als sie am Sonntag vor einer Woche auf den SSC Neapel trafen. Dort wiederum sind nun auch mindestens drei Personen nachweislich infiziert. Dem Klub wurde nach Bekanntwerden der Testergebnisse zunächst eine Flugreise zum Spitzenspiel bei Juventus Turin verwehrt, bevor Neapel ganz auf die Anreise verzichtete. Der Beifall der Liga für die gezeigte Vorsicht ist dem Verein aber keineswegs gewiss. Im Raum steht vielmehr eine 0:3-Niederlage am grünen Tisch wegen Nichtanreise zum Spiel. Verrückte italienische Fußballwelt.

Aus der Radsportblase waren zuvor zwei Profis des Rennstalls Astana aussortiert worden, weil sie in Kontakt zu einem infizierten Kollegen gestanden hatten. Dieses Regime ist erfolgreich, Stand jetzt jedenfalls. Allerdings wird nicht jede Forderung auch immer umgesetzt. Alle Teams in einem eigenen Hotel? Das war angekündigt, ist aber nicht realistisch. »Jedes Team hat immerhin seinen eigenen Bereich. Darauf wird geachtet«, berichtet Jens Zemke, sportlicher Leiter vom Bora-Team. Zu den Regeln für Fahrer und Betreuer gehört auch: Kein Drink an der Hotelbar, Räder putzen nur auf dem Parkplatz vor dem Hotel, kein Ausgang, nicht einmal für die Mechaniker.

Einzelne Änderungen zum Blasenregime der Tour de France gibt es aber auch. Die wichtigste: Die Zwei-Fälle-Regel gilt hier nicht. Giro-Direktor Mauro Vegni stellte klar, dass er nicht automatisch ein Team bei zwei positiven Covid-Fällen nach Hause schicken will. »Wenn jemand positiv ist, isoliere ich ihn. Und ich teste jeden Tag, bei dem, der positiv war und bei allen um ihn herum, das ganze Team. Aber ich schicke nicht gleich die Equipe nach Hause«, verkündete Vegni. Die Teams konstatieren das mit Zufriedenheit, denn das Risiko, wegen falsch-positiver Testresultate nach Hause geschickt zu werden, ist damit massiv gesunken. Im Gegensatz zu einigen Tour-Etappen sind Zuschauer im Zielraum bislang noch zugelassen. Es herrscht ein Maskengebot, keine Pflicht.

Aus der Hygieneblase musste sich mittlerweile Geraint Thomas verabschieden - aber nicht wegen einer Erkrankung. Der Waliser stürzte bereits zu Beginn der 3. Etappe über eine Trinkflasche und zog sich dabei einen Beckenbruch zu. Unter großen Schmerzen beendete er die Etappe noch, verlor aber beim Anstieg zum Ätna mehr als zwölf Minuten auf die Konkurrenz. Erst im Ziel wurde der Beckenbruch diagnostiziert. Am nächsten Morgen stieg Thomas endgültig aus.

Somit gibt es einen großen Favoriten weniger. Der Weg für Altmeister Vincenzo Nibali zum dritten Giro-Sieg scheint also wieder frei. Messen muss sich der fast 36-Jährige mit den Niederländern Steven Kruijswijk und Wilco Kelderman, dem Dänen Jakob Fuglsang, dem aktuell führenden Portugiesen Joao Almeida und einigen weiteren Geheimfavoriten. Der größte Gegner könnte aber das Wetter werden: Wie viel Schnee wird in der dritten Woche auf dem Stilfser Joch oder dem Colle Agnello in den Alpen liegen? Die Temperaturen dort liegen schon jetzt nah am Gefrierpunkt. Der Veranstalter hat die Schubladen schon voll mit Alternativrouten.

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