Tichanowskaja will Deutschland als Vermittler

Die belarussische Oppositionelle wirbt in Berlin für die Unterstützung der Protestbewegung und mehr Sanktionen gegen den Staat

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Bereits kurz nach ihrer Ankunft in Berlin fühlte sich Swetlana Tichanowskaja heimisch. Am Brandenburger Tor wurde sie am Montagnachmittag von Menschen begrüßt, die weiß-rot-weiße Flaggen schwenkten und auf Plakaten den Rücktritt des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko forderten. Tichanowskaja ist der Meinung, sie habe die Wahl Anfang August gegen Lukaschenko gewonnen. Bei einer Diskussionsrunde am Abend erklärte die Politikerin, sie habe der Besuch an der früheren Grenze zwischen Ost- und Westberlin an Belarus erinnert. »Genau wie die Menschen 1989 in Deutschland kämpfen wir heute für einen souveränen Staat und gegen die Diktatur«, sagte die 38-Jährige. Sie warf Lukaschenko angesichts des teilweise brutalen Vorgehens seiner Sicherheitskräfte gegen friedliche Teilnehmer von Massenprotesten vor, sich nur noch mit Gewalt an der Macht zu halten. Tichanowskaja selbst war in das benachbarte EU-Land Litauen geflohen.

Organisiert wurde die Berliner Abendveranstaltung von der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde und vom Zentrum Liberale Moderne. Letzteres ist ein Thinktank der früheren Grünen-Politiker Marieluise Beck und Ralf Fücks, in dessen Umfeld sich diverse Transatlantiker tummeln, die ein großes Interesse daran haben, den russischen Einfluss im postsowjetischen Raum zu schwächen. Beck erinnerte daran, dass Russland Teil des Europarats sei, der es sich zur Aufgabe gemacht habe, demokratische Freiheitsrechte und Grundrechte der Bürger zu schützen. »Wir sollten die Botschaft heute Abend auch an Moskau senden«, verkündete sie. Denn die russische Regierung unterstützt Lukaschenko, dem auch Wahlbetrug vorgeworfen wird.

Doch anders als Politiker in der Ukraine, wo Oppositionelle vor dem Umsturz gegen Präsident Viktor Janukowitsch 2014 ebenfalls von westlichen Staaten unterstützt worden waren, sieht sich Tichanowskaja nicht explizit als Gegnerin Moskaus. »Das ist weder eine prorussische noch eine antirussische Revolution«, erklärte sie. Ihre Ziele seien freie und demokratische Wahlen. Um dies zu erreichen, forderte Tichanowskaja die Bundesrepublik auf, bei der Vermittlung zwischen den Demonstrierenden und der belarussischen Regierung zu helfen. Hierbei sollte auch die OSZE eine zentrale Rolle spielen. Diese Wünsche dürfte sie am Dienstagnachmittag gegenüber Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und am Mittwoch beim Treffen mit Außenminister Heiko Maas (SPD) wiederholen. Aus Sicht von Tichanowskaja muss Lukaschenko durch weitere Sanktionen zu Gesprächen gezwungen werden.

Die EU hatte sich kürzlich auf Strafmaßnahmen gegen 40 Verantwortliche für mutmaßlichen Wahlbetrug und Gewalt gegen Demonstranten geeinigt. Lukaschenko befindet sich nicht auf dieser Liste. Das könnte sich nach Ansicht des SPD-Außenpolitikers Nils Schmid, der auch an der Veranstaltung am Montagabend teilnahm, bald ändern. Er erinnerte daran, dass Kanada und Großbritannien Lukaschenko sanktionieren.

Auffällig war, dass Tichanowskaja außer ihrem Plädoyer für demokratische Wahlen und der Bedeutung der Frauen in der belarussischen Protestbewegung keine Angaben zu ihrem politischen Programm machte. Das ist im Internet auf Russisch und Belarussisch verfügbar. Darin prangert die Politikerin unter anderem »unrentable Staatsunternehmen« an. Sie bevorzugt stattdessen die Gründung kleiner und mittlerer Unternehmen. Der Staat soll sich also zunehmend aus der belarussischen Wirtschaft zurückziehen. Privatisierungen sind nicht ausgeschlossen.

Ein weiteres offensichtliches Ziel von Tichanowskaja und ihren Mitstreitern ist die Annäherung an die EU. Marieluise Beck betonte, dass die Gefahr bestehe, dass die Hilfe für die Opposition von der Staatspropaganda als Einmischung von außen ausgeschlachtet werden könnte. Doch allzu unauffällig ist die EU trotzdem nicht vorgegangen. Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hatte im August erklärt, dass die Europäische Kommission weitere 53 Millionen Euro mobilisiert, »um das belarussische Volk in diesen schwierigen Zeiten zu unterstützen«.

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