• Kultur
  • Beilage zur Buchmesse Frankfurt Main

Ein Volkstribun

Hellmut Kapfenberger über Ho Chi Minh

  • Günter Wernicke
  • Lesedauer: 4 Min.

Ho, Ho, Ho Chi Minh« - skandierten rebellierende Studenten Ende der 60er Jahre weltweit auf Straßen und Plätzen. Diese Sprechchöre dürften allgemein bekannt sein. Aber wer weiß noch, dass es in Berlin-Ost eine Ho-Chi-Minh-Straße per Magistratsbeschluss seit 1976 gab, die nach der Vereinigung wieder in Weißenseer Weg umbenannt worden ist? Daran erinnert unter anderem eine neue Biografie über Ho Chi Minh (1890-1969), mit der deren Autor auch gegen Vergesslichkeit und Ignoranz hierzulande angehen will. Sowohl der 50. Todestag als auch der 130. Geburtstag dieser eindrucksvollen Persönlichkeit der vietnamesischen Befreiungsbewegung war und ist im heutigen Deutschland scheinbar keine Erinnerung mehr wert. Bedauerlich.

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Hellmut Kapfenberger: Ho Chi Minh. Vom Schiffsjungen zum Staatspräsidenten.
Wiljo Heinen, 574 S., br., 24 €.

Hellmut Kapfenberger, langjähriger Korrespondent der DDR-Nachrichtenagentur ADN und des »Neuen Deutschland« in Hanoi sowie zwischenzeitlich Sonderberichterstatter in Laos und Kambodscha, hat eine faktenreiche, solide recherchierte und gediegen formulierte Biografie vorgelegt, die weit über seine 2009 im Verlag Neues Leben erschienene Chronik hinausgeht.

Als Nguyen Sinh Cung 1890 in einer bescheiden lebenden Familie geboren, als Schiffsjunge Ba ab 1911 auf den Weltmeeren unterwegs und schließlich unter dem Namen Nguyen Ai Quoc radikalisiert, suchte Kapfenbergers biografischer Held nach dem Ersten Weltkrieg in Frankreich, der Kolonialmacht, vietnamesische Patrioten aufzuklären und zu organisieren. Unter verschiedenen Decknamen wurde er für die Komintern aktiv, studierte und agierte als KI-Beauftragter für Süd- und Südostasien, insbesondere in China. Erst nach seiner Rückkehr in die Heimat nannte er sich, ab 1942, Ho Chi Minh.

Kapfenberger zeichnet mit Empathie, unter strikter Vermeidung von einseitigen Urteilen, dessen Heranreifen zum geachteten Anführer des Volkes nach. Er lässt an markanten Beispielen Widersprüche, Konflikte und Dissonanzen deutlich werden und setzt sich mit der Rezeption der historischen Persönlichkeit auseinander, seziert kritisch spekulative Konstrukte anderer Biografen und benennt auch Lücken in der Überlieferung. Eingebettet in die Geschichte Vietnams, den antikolonialen Unabhängigkeitskampf sowie den 30-jährigen Befreiungskampf zur Wiedervereinigung des Landes, betont er Ho Chi Minhs kompromisslosen Patriotismus und dessen »Willen, mit aller Energie für ein glückliches Vaterland zu kämpfen«.

Alle markanten Lebensstationen von Ho Chi Minh werden bedacht, ob als Initiator der 1930 nahe dem britischen Hongkong gegründeten Kommunistischen Partei Vietnams oder als Kommandeur Hu Guang ab 1937 in der chinesischen Volksbefreiungsarmee gegen die japanischen Invasoren.

In einer Grotte im Gebirge von Cao Bang, in Pac Bo, formulierte er 1940 seine Vision der Unabhängigkeit von Frankreich. Im Halbdunkel einer kalten und feuchten Höhle tippte er auf einer chinesischen Reiseschreibmaschine Artikel für die von ihm herausgegebene Zeitung »Unabhängiges Vietnam«. In einer Pfahlhütte nahe seiner Grotte wird dann auch die Viet Minh (Liga für die Unabhängigkeit Vietnams) konstituiert.

Es folgten sein bis heute umstrittener 900-Kilometer-Marsch zum chinesischen Chongquing, die Verhaftung durch die Guomindang (Pendant zu Maos Roter Armee) sowie eine 30-monatige Kerkerhaft, die er in Versen verewigte. Nach seiner Entlassung stürzte sich Ho Chi Minh im Sommer 1944 in die Vorbereitung der nationalen Erhebung.

Ein Jahr später bricht die japanische und französische Herrschaft in Vietnam wie ein Kartenhaus zusammen. Ho Chi Minh nutzt in der sogenannten Augustrevolution mit seiner Viet Minh das faktische Machtvakuum und bildet in einem konspirativ bezogenen Haus in der Altstadt von Hanoi ein provisorisches, politisch breit gefächertes Kabinett unter seiner Führung. Fast eine Million Menschen sollen im Hanoier Zentrum auf dem Ba-Dinh-Platz zusammengeströmt sein, als er die Unabhängigkeit und die Gründung der Demokratischen Republik Vietnam verkündet. Keiner der Anwesenden konnte ahnen, dass alsbald ein 30-jähriger Krieg beginnen und unermessliches Leid bringen sollte.

Kapfenberger skizziert die opferreichen militärischen Auseinandersetzungen um die Nachkriegsgestaltung Indochinas zwischen den alliierten Mächten, inklusive der alten und neuen Kolonialmacht Frankreich sowie China unter den Guomindang. Minutiös beschreibt der Autor die Kämpfe und Entbehrungen bis zur Entscheidungsschlacht um Dien Bien Phu, in die US-Militärs schon einzugreifen gedachten - mittels Einsatz der Atombombe. Besondere Aufmerksamkeit widmet Kapfenberger dem folgenden schmutzigen Krieg der USA in Vietnam und deren schmählicher Niederlage.

Ho Chi Minh avancierte derweil zum unumstrittenen Volkstribun. Bis zu seinem Tod war er Präsident der dann endlich geeinten Demokratischen Republik Vietnam. Er war und blieb bis zuletzt ein Mann des Volkes - asketisch veranlagt und bescheiden in seinen Ansprüchen, einfach gekleidet, mit Sandalen aus alten Autoreifen an den Füßen. Zugleich zeigte er sich sprachkundig und wissbegierig, schrieb Gedichte und machte sich auch als Gärtner nützlich.

Seinem Selbstverständnis nach war Ho Chi Minh Mediator, ein Mensch des Ausgleichs und der Versöhnung. Es gelang ihm auf der Moskauer Beratung der kommunistischen Weltbewegung im November 1960, einen Streit zwischen Zhou Enlai und Nikita Chruschtschow erfolgreich zu schlichten. Ho Chi Minh verweigerte sich dezidiert ideologisch geprägten Grabenkämpfen und blieb zeitlebens der chinesischen KP und der Volksrepublik China wie auch der KPdSU und der Sowjetunion dankbar für deren jeweilige Hilfe im nationalen Befreiungskampf.

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