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  • Beilage zur Buchmesse Frankfurt Main

Das Making-of eines Romans

Die Verteidigung der Verweigerung: Dorothee Elmiger schreibt »Aus der Zuckerfabrik«

  • René Hamann
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer war Ellen West? Wer war Werner Bruni? Was verbindet die berühmte Patientin mit dem gefallenen Schweizer Lottokönig aus den 80er Jahren - und was haben Karl Marx oder Max Frisch damit zu schaffen? Und was hat das alles mit dem Essen von vornehmlich süßen Speisen zu tun? Fragen, die willkürlich erscheinen. Denen die Schweizer Autorin Dorothee Elmiger, Jahrgang 1986, in ihrem dritten Buch nachgeht.

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Dorothee Elmiger: Aus der Zuckerfabrik. Hanser, 272 S., geb., 23 €.

Wir schreiben »Buch« - und nicht »Roman«. Zwar gibt es im Buch genau die Diskussion, nämlich ob man das Buch einen Roman nennen kann oder sollte. Die Erzählerin führt sie mit ihrem Lektor und erzählt davon. Aber letztlich hat der Verlag auf eine Bezeichnung verzichtet: Da steht nicht »Roman« hinter dem Titel »Aus der Zuckerfabrik«. Auch wenn ungefähr alle Rezensionen, die es bislang zu diesem Buch gibt, genau das behaupten: Das Buch sei ein Roman.

Tatsächlich fehlt dem Buch, bei aller vorausgesetzten Liebe zu postmodernen Schreibweisen, noch etwas, um ein vollständiger Roman zu sein. Es ist eher das Making-of eines Romans, eine Anhäufung von Material, das zwar sortiert ist und durchaus mit schönen Verfahren operiert, aber nicht wirklich zum flüssigen Erzählen findet, zu viel nur andeutet und auslässt.

Eines dieser Verfahren ist die Verstrickung der Erzählerin in ihr Material. Sie will irgendetwas über Zucker erzählen, über die Ausbeutung von Sklaven zur Zuckerherstellung insbesondere in Haiti, und das mit der Geschichte des Lottokönigs Bruni verbinden, der schließlich zwei koloniale Frauenfiguren in seinem Schrank stehen hatte und am Ende ebenfalls in Haiti landet. Sehr gute Ideen, aus denen, sagen wir, Don DeLillo einen veritablen, umfassenden Roman gemacht hätte. Aber Elmiger bleibt zu sehr in ihrem Material stecken, auch wenn sie versucht, ihre eigene Figur, Teile ihrer eigenen Geschichte mit hineinzubringen: Von einem »C.« ist da die Rede, sogar von einem »F.«, eine unglückliche, eine eher pragmatisch ausgelegte Liebesgeschichte. Beide werden leider nicht »auserzählt«. Stattdessen flüchtet Elmiger in die Verteidigung der Verweigerung.

»Ist aber die Behauptung falsch, dass du einfach nicht imstande bist, das zu tun, was man gemeinhin unter Erzählen versteht?«, äußert eine Stimme im Buch. »Na ja, es ist doch ganz einfach so, dass immer alles Mögliche geschieht, während ich da an meinem Schreibtisch sitze«, antwortet die Erzählerin und führt Beispiele auf, »und das muss dann natürlich alles auch erzählt werden, weil das ja die Bedingungen sind, unter denen der Text entsteht, also die Verhältnisse, in denen ich schreibe.«

Um nicht falsch verstanden zu werden: Diese Verfahren haben etwas, und Elmigers Materialschlacht besticht durch Witz, durch raffinierte Übertragung, durch variierte Wiederholung. Und sie hat Stil. »Es ist mein Körper, der da liegt zwischen den verstreuten Dingen anderer, der zutiefst verwickelt ist in alles, was passiert, und das, was ich zuvor als Material abgelegt habe«, schreibt sie und handelt Textstellen über Zucker, Anorexie, über Hunger, Ausbeutung, über Kolonialgeschichte, Max Frisch und Karl Marx ab. Immerhin!

Und immerhin behält sie den einfachen Arbeiter Bruni im Blick, dessen Geschichte am Ende tatsächlich etwas Romanhaftes bekommt. Und muss immer alles erzählt werden? Braucht es immer unbedingt einen Plot, um Literatur zu sein? »Diese blöde Verwandlung der Welt in ein Pinienwäldchen. Das zwar sehr schön ist.«

Schade, dass andere Materialien wiederum nicht geprüft werden: Elmiger erwähnt, dass Max Frisch in Montauk das neue Buch von Philip Roth geschickt bekommt, aber »Mein Leben als Mann« taucht nur als Randreferenz auf. Unerwähnt bleiben der Film »The Eternal Sunshine of the Spotless Mind« und die Serie »The Affair«, die ebenso in Montauk spielen.

Recht spät im Buch heißt es: »Habe ich schon gewusst, klar, dass die Geschichten fabriziert sind, dass auf die Erinnerungen kein Verlass ist, hab ich ja gesagt, ich hab ja in der Schule nicht geschlafen.«

»Roman« steht da also nicht in und auf diesem doch gut lesbaren Buch, das vielleicht kurz vor Schluss etwas durchhängt, da das Material dort fast beginnt beliebig zu werden. Bis Bruni das Buch rettet. Jetzt ist Dorothee Elmiger damit sogar auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis nominiert. Für den großen Preis ist das Buch aber nicht fest genug - es schwankt zu sehr, fasert zu sehr aus.

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