Aus dem Intrigantenstadl ins Rote Rathaus

Die Berliner CDU sieht ihren Landesvorsitzenden Kai Wegner als nächsten Regierenden Bürgermeister - fehlt nur noch ein Konzept

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 5 Min.

Kai Wegner sagt »super« und »toll«, »das guck ich mir mal genauer an« und: »Ich bin da total bei Ihnen«. Berlins CDU-Chef ist zu Besuch im Kompetenzzentrum der Innung Sanitär, Heizung, Klempner, Klima und lässt sich von Geschäftsführer Andreas Koch-Martin über die Schwerpunktthemen der Ausbildungseinrichtung in Gesundbrunnen informieren. Energiewende, Barrierefreiheit, Fachkräftesicherung, Probleme mit dem Wirtschaftsverkehr in der Hauptstadt und der Bürokratie: Wegner nickt viel, macht sich Notizen, gibt Koch-Martin stets recht, wenn dieser über Probleme der Branche spricht.

Der Landesvorsitzende der CDU hatte am vergangenen Freitag in Sichtweite zum Roten Rathaus verkündet: »Ja, ich will Regierender Bürgermeister werden.« Anders als wenige Tage zuvor die Vorstellung von Bettina Jarasch, der designierten Grünen-Kandidatin für das Amt, war Wegners Selbstnominierung alles andere als eine Überraschung. Seit Monaten läuft bei den Konservativen in der Frage des Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl im Herbst kommenden Jahres alles auf den 48-jährigen Bundestagsabgeordneten aus Spandau hinaus.

Der Termin bei der Innung am Dienstagvormittag ist dabei, wie deren Chef Koch-Martin irgendwann feststellt, eine Art »Antrittsbesuch« von Wegner. Nachmittags folgt der Besuch einer Firma in Reinickendorf, dann noch ein Unternehmen in Schmargendorf. Am nächsten Tag geht es dann in ein Schöneberger Boxstudio. »Jetzt geht’s los«, sagt Wegner - und meint das vermutlich ernst. Andreas Koch-Martin sagt zu Beginn des Termins zwar: »Wir brauchen jetzt hier keine Wahlveranstaltung.« Doch genau darum geht es Wegner und der CDU. Präsenz zeigen, nicken, zustimmen, draufhauen, wenn es gegen die rot-rot-grüne Konkurrenz geht. Und - selbstredend - Fotos machen lassen, die dann über die Social-Media-Kanäle der Partei verbreitet werden.

Der ausgebildete Versicherungskaufmann und sein Landesverband haben Aufmerksamkeit auch nötig. Nach einer kürzlich veröffentlichten Meinungsumfrage von Infratest dimap halten weniger als zehn Prozent der befragten Berliner Kai Wegner für einen guten Regierenden Bürgermeister. Wobei ohnehin mehr als 60 Prozent der Befragten mit dem Namen Kai Wegner nichts anfangen konnten, selbst unter den CDU-Anhängern lautete die Antwort bei 58 Prozent: »Nie gehört« oder »kann ich nicht beurteilen«.

Tatsächlich ist Wegner schon lange im Politikgeschäft, sehr lange sogar. Auf vier Jahre in der Bezirksverordnetenversammlung Spandau folgte 1999 das Abgeordnetenhaus, seit 2005 sitzt er im Bundestag. Nach fünf Jahren als Generalsekretär der Berliner CDU wurde er 2016 von der neuen Landesvorsitzenden Monika Grütters aus dem Amt geschoben. Im März 2019 stürzte er seinerseits Grütters vom Landessockel und übernahm den Berliner CDU-Vorsitz. Der gefallene General hatte seine Truppen in den mächtigen Kreisverbänden neu sortiert und zurückgeschlagen.

Nun ist es eine Sache, was in dem als Intrigantenstadl geltenden Landesverband funktioniert. Bei den Wählern steht Wegner mit Blick auf den Wunschposten Regierender Bürgermeister indes auf ziemlich verlorenem Posten. Dass die Konservativen in der Hauptstadt derzeit auf 21 bis 22 Prozent der Stimmen kämen - und damit je nach Umfrage mal knapp hinter, mal knapp vor den erst- beziehungsweise zweitplatzierten Grünen, für die 20 bis 26 Prozent votieren würden - ist da nur ein schwacher Trost. Schließlich, so die Demoskopen, segelt der Berliner Landesverband aktuell lediglich im Windschatten der weithin befürworteten Corona-Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Wird schon noch werden, lautet das Motto von Wegner. Das eigentliche Problem: Kaum jemand weiß, wofür die Landes-CDU inhaltlich eigentlich steht. Beispiel Verkehrspolitik: Autofreie Friedrichstraße oder Pop-up-Radwege sind bekanntermaßen rot-rot-grünes Teufelszeug. Aber ansonsten? Selbst in der Berliner CDU hat man mittlerweile realisiert, dass mit der Verlängerung der Autobahn 100, früher eine Kernforderung der Partei, heute in der Stadt kaum noch ein Blumentopf gewonnen werden kann. Wegner sagt stattdessen, die CDU wolle den öffentlichen Personennahverkehr ausbauen. Und für die »vielen Fahrradfahrer in dieser Stadt« wolle man auch etwas machen. Und für die Fußgänger. Und für die Autofahrer natürlich auch. »Wir wollen niemandem etwas aufzwingen, sondern Angebote schaffen«, sagt Wegner. Dann noch etwas wie »Mobilität in dieser Stadt neu organisieren« mit dem obligatorischen Zusatz, dass es »endlich wieder funktioniert« - und fertig ist das Verkehrskonzept.

Der Programmpunkt »Verlängerung BAB 100 bis Frankfurter Allee/Storkower Straße« ist zwar aus dem Mitte Juni beschlossenen 30-seitigen Verkehrskonzept nicht gestrichen, aber zusammengeschrumpelt auf dreieinhalb Zeilen. Selbst die ehedem verhasste, nun aber als »beliebtes und umweltfreundliches Verkehrsmittel« irgendwie doch akzeptierte Straßenbahn kommt auf 20 Zeilen.

Um ebendieses Papier zu bewerben, hatte die CDU im Rahmen ihrer im Frühjahr mit viel Tamtam gestarteten Social-Media-Kommunikationsstrategie eine kurze Animation auf Twitter gepostet, die der Partei letztlich die gewünschte Aufmerksamkeit brachte. Zu sehen ist zunächst ein Comic-Auto mit einem fröhlichen Gesicht, dazu der Spruch: »Berliner Pendler: Täglich 320 000 Mal rein und raus.« Dann gehen die Mundwinkel des Autos nach unten: »Und kein bisschen Spaß beim Verkehr.« Hihi, Verkehr, knick knack, Herrenwitz. Der Tweet sorgte neben Empörung vor allem für viel Häme.

Nicht nur bei der Verkehrsproblematik, auch bei anderen Themen wie Mieten oder Armutsbekämpfung zeige sich eine »Inhaltsleere«, die auch mit noch so vermeintlich peppigen Auftritten im Netz »nicht übertüncht werden kann«, meint die Linke-Landesvorsitzende Katina Schubert. »Da ist nichts und null an realistischen Vorschlägen.« Wegner bemühe sich vielmehr »sehr in Richtung Anschlussfähigkeit an die Grünen«, so Schubert zu »nd«.

Klar ist , dass an den Berliner Grünen nach momentanem Stand der Dinge kein Weg vorbeiführt. Der CDU-Kandidat selbst sagt, dass er sowohl liberal als auch sozial und - »bei Recht, Ordnung und Sauberkeit« - selbstredend konservativ sei. Und: »Ich mag dieses Schubladendenken aber nicht.« Nun ist Kai Wegner in eigener Sache auf Ochsentour durch die Stadt, heute Rohrtechniker, morgen Boxtrainer. Sätze wie diese sollen sagen: Die CDU, das ist doch diese lockere, moderne Großstadtpartei, die mit fast allen kann.

Wegner war übrigens mal Metropolenbeauftragter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Allzu viel gehört hat man in dieser Zeit nicht von ihm.

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