nd-aktuell.de / 16.10.2020 / Politik / Seite 11

Das Ende der Illusionen

Ayad Akhtar, Dramatiker und Autor, schreibt in »Homeland Elegien« über seine Lebensgeschichte und den Niedergang des amerikanischen Traums

Jakob Hayner

Homeland Elegien», dieser eigentümlich im Zweisprachigen verharrende Titel des neuesten Romans von Ayad Akthar - als «Homeland Elegies» Mitte September in den USA erschienen - verweist auf den Gegenstand: Heimat, Klage und Verlust. Anklänge an Vertriebenenkitsch, wie sie hierzulande - wo die Wahl eines Wohn-, Arbeits- und Lebensorts außerhalb der Landesgrenzen noch mit dem Phantasma eines nationalen Raubzugs verbunden ist - zu befürchten wären, spielen allerdings keine Rolle.

Akthar, der 1970 als Sohn pakistanischer Ärzte auf Staten Island geboren wurde und in einem Vorort von Milwaukee in Wisconsin aufwuchs, beschreibt statt einer gefühligen Suche nach dem innersten Zipfel der Seele, der dann letztlich an einem gänzlich äußeren Zipfel Erde hängen soll, die Geschichte einer intellektuellen Aneignung der Welt, in die er geboren wurde. Und nichts ist ihm dabei fremder als Nostalgie. Solch rückblickende Selbsterkundung boomt als Genre. Man denke nur an den großen Erfolg von «Auf Erden sind wir kurz grandios» des in Vietnam geborenen und in den USA lebenden Dichters Ocean Vuong, ein Zirkel des Traumatischen, der jedoch mehr in der Vagheit des Gefühls verbleibt. Betroffenheits- und Selbsterfahrungsliteratur, so könnte man böse spotten, wenn die Sache nicht symptomatisch wäre. Literatur, die aus dem Persönlichen schöpft, muss sich nicht im Privaten beschränken.

Warum und zu welchem Zweck schreibt man als Kind von Migranten über die USA?, so ließe sich mit Akhtar fragen. Die Antworten auf diese Frage sind, wenn es überhaupt welche sind und nicht nur eine weitere Entfaltung der Frage, bei Akhtar kaum geeignet, so etwas wie Beruhigung auszustrahlen. Im Gegenteil. Für ihn gibt es kein Zurück, aber das Vorwärts ist ebenso fraglich geworden. Das gilt es zu realisieren. Er schildert ein Land im Niedergang, an das seine Eltern noch geglaubt haben oder glauben wollten. Doch der Traum ist aus. «Es gab mehr Selbstmorde, mehr Drogen, Depressionen und Wut. Und das alles war vor der Finanzkrise», heißt es, als er mit einem Bekannten über den Aufstieg Donald Trumps diskutiert.

Er, der Autor oder der Erzähler? «Homeland Elegien» ist eines der Bücher, das sich mit dem Schlagwort des Autofiktionalen bezeichnen lässt. Der Protagonist trägt den Namen des Autors, zahlreiche Erlebnisse stimmen zweifelsfrei mit dessen Lebensgeschichte überein, andere nicht - ein literarisches Verwirrspiel. Oder Entwirrspiel. «Ich gehöre zu den Schriftstellern, die Tatsachen verdrehen müssen, um sie deutlicher sehen zu können», stellt Akthar dem Buch voran. «Dies ist ein Roman.» Schon sein erster Roman, im Deutschen unter dem Titel «Himmelssucher» erschienen, zeigte deutliche autobiografische Anklänge. Man kann es als Hinweis nehmen, dass auch das erzählende Ich der Dialektik von realer Entfremdung und literarischer Verfremdung erliegt. Der Protagonist schont sich nicht, Abgründe werden nicht verborgen, beispielsweise bei der Deutung von Träumen.

Dass Akhtar vom Theater kommt - inzwischen hat er vier Bühnenstücke veröffentlicht, das 2013 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Dinner-Party-Play «Geächtet» feierte nicht nur am Broadway große Erfolge, sondern gehörte auch auf deutschsprachigen Bühnen zu den meistgespielten der vergangenen Spielzeiten - ist seinem Gespür für dramatische Situationen anzumerken. Die acht Kapitel erzählen von beispielhaften Begebenheiten, von Konflikten und Widersprüchen. Von seinem Vater, der als Herzspezialist in den 90ern einen gewissen Donald Trump behandelte und ihn noch im Präsidentschaftswahlkampf für einen feinen Kerl hielt, der nur große Sprüche macht. Oder von einem befreundeten Arzt des Vaters, der nach Pakistan zurückkehrt, um gegen die Ungläubigen zu kämpfen, zunächst die Sowjets, später dann die Amerikaner, die erst noch Verbündete waren. Er wird ermordet. Oder sie erzählen von den Börsengeschäften eines pakistanisch-amerikanischen Geschäftsmanns, der mit einem Rachefeldzug gegen konservative Provinzstädte Millionen macht. Davon profitiert auch der Erzähler. Oder von der akademisch erfolgreichen Tante mit dem Faible für guten Rotwein, die Edward Saids «Orientalismus» liebt und Salman Rushdies «Satanische Verse» für eine Beleidigung des Propheten hält. Was der Protagonist durchaus anders sieht.

Der wiederum stolpert nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verwirrt und aufgebracht durch New York. Vor einer Blutspendestation wird er von Umstehenden attackiert, man wolle sein «arabisches Blut» nicht. In den Monaten nach 9/11 trägt er eine Kette mit Kreuz, Mimikry in einem christlich geprägten Land, die seine ebenfalls aus Pakistan kommende Affäre irritiert.

Akhtar beschreibt sich als geprägt vom Islam. Er ist aber kein Muslim, sondern vertritt eine kritische Haltung bezüglich dieser Religionsgemeinschaft, unter deren Einfluss er aufgewachsen ist. Und damit befindet er sich in dem Dilemma, das sein Erfolgsstück «Geächtet» schildert: Ein Abendessen in einem New Yorker Loft bei Wein und Babyartischocken, man ist unter sich - liberale Mittelklasse -, plaudert nett über teure Kunst mit islamischen Mustern, bis das Gespräch irgendwann eskaliert, als sich nämlich herausstellt, dass selbst unter den Liberalen der Islam nicht als eine Religion behandelt wird, sondern als unverlierbare Identität, mit der man selbst dann noch identifiziert wird, wenn man ihr abgeschworen hat. Das sehen die Religiösen ebenso, weswegen Apostasie im Islam mit Todesstrafe verfolgt wird.

Nun erzählt Akhtar in «Homeland Elegien», wie sich die Geschichte gewissermaßen nochmals verdoppelt, als er an eine Universität zu einer öffentlichen Diskussion eingeladen wird. Die muslimische Studentenverbindung nimmt die Ankündigung, den Vortrag aufgrund angeblicher islamophober Äußerungen in «Geächtet» mittels Protesten zu verhindern, erst zurück, nachdem auf dem Campus Plakate auftauchen, die Akhtar als «Schuldigen» vor den brennenden Twin Towers zeigen. Die geradezu hypnotische Fixierung auf den politischen Gegner löscht jeden eigenen Gedanken aus, die Angst vor dem Beifall von der falschen Seite wird zur Tyrannei, die sich gegen unabhängige Kritik richtet. Der Preis für intellektuelle Aufrichtigkeit dürfte Verachtung von allen Seiten sein. Dass der Autor Akhtar aber auch Anerkennung erhält, zeigt die Ankündigung, dass er der neue Präsident der US-amerikanischen Sektion der Schriftstellervereinigung PEN wird.

Man müsse die «real story» hinter der Politisierung der Identität sichtbar machen, sagt Akthar in einem Gespräch zu «Homeland Elegien». Und die reale Geschichte sei die Ökonomie. Marx sei wichtiger als Moral, fasst er an anderer Stelle zusammen. Ein deutscher Schriftsteller nannte «Die unsichtbare Hand» das witzigste marxistische Stück, das ihm bekannt sei. Und mit «Junk» machte Akthar den Versuch, die Geschichte der US-amerikanischen Wirtschaft der vergangenen Jahrzehnte auf die Bühne zu bringen. Ohne Verständnis der Ökonomie gibt es auch keines für das Verhängnis der Ideologie. Das Festhalten an der Illusion des amerikanischen Traums, ökonomisch längst durch die Monopolisierung liquidiert, führt dazu, Gruppen ausfindig machen zu wollen, die der Realisierung des Traums vermeintlich im Wege stehen. Im «korporations-totalitären Staat», wie ihn Akhtar warnend nennt, wird die Sehnsucht zum Ressentiment.

Insofern ist «Homeland Elegien» vor allem die Geschichte einer Desillusionierung. Es ist der Versuch, hinter den hübschen oder verwirrenden Geschichten über Herkunft, Zugehörigkeit und Identität das sichtbar zu machen, was die Menschen in Gestalt ihrer Produktionsweise miteinander zu tun pflegen, oder besser gesagt, sich einander antun. «Homeland Elegien» ist noch ein kurzes Gespräch beigefügt, in dem Akhtar zur anstehenden US-Präsidentschaftswahl befragt wird. «Zu glauben, dass unsere Probleme mit Trump beginnen und enden, ist ein Fehler», sagt er. «Es wäre klug, bessere Gründe für Hoffnung zu finden als eine Wahl.»

Ayad Akhtar: Homeland Elegien. Aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. Ullstein, 464. S., geb., 24 €