nd-aktuell.de / 20.10.2020 / Kultur / Seite 13

Bücher statt Bröseln

Zeitzer Bibliotheken gründen gemeinsame Initiative

Doris Weilandt

Die am Rande von Sachsen-Anhalt gelegene Stadt Zeitz wird gern zitiert, wenn es um ein krasses Beispiel für Leerstand geht. Immer wieder wird eine Straße gezeigt, deren Fassaden still vor sich hinbröckeln. »Es wird nie dazu geschrieben, dass die Häuserfront einem privaten Investor gehört, der nichts tut«, klagt Museumsleiterin Kristin Otto. »Schauen Sie sich doch hier mal um!« Der große Marktplatz ist neu gestaltet. Die Gebäude sind saniert, die Nebenstraßen belebt von Geschäften und Hotels. Auch »ihr« Schloss Moritzburg ist in einem guten Zustand.

Im Museum gibt es die Ernst-Ortlepp-Bibliothek, benannt nach dem Vormärz-Dichter Ernst Ortlepp (1800-1864), der mehrfach in Zeitz im Gefängnis einsaß. Sie bewahrt neben seinen Handschriften und Werken 38 000 regionalwissenschaftliche Bücher, darunter bibliophile Ausgaben. Diese Präsenzbibliothek gehört mit sieben weiteren zu einer Bibliotheksinitiative, die sich gerade gegründet hat, um die Angebote bekannter zu machen und vor allem Kinder und Jugendliche anzusprechen. Acht Bibliotheken in einer Stadt mit knapp 30 000 Einwohnern. Das ist deutschlandweit einmalig.

Über 600 Jahre hatten Bischöfe ihren Sitz in Zeitz. Daher stammen die wertvollen Bestände der Stiftsbibliothek, die vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit reichen. Das Kernstück bildet die humanistische Gelehrtenbibliothek des letzten Naumburger Bischofs Julius Pflug (1499- 1564), die zu den wenigen erhaltenen Privatbibliotheken des Reformzeitalters zählt. Pflug war ein bis in höchste Kreise vernetzter Wissenschaftler. Über fünf Jahrzehnte sammelte er wertvolle Ausgaben von Philosophen, Juristen und Theologen, die aus den namhaftesten Druckereien im In- und Ausland stammten. Viele der Bücher enthalten persönliche Widmungen von Zeitgenossen. Untergebracht ist die Stiftsbibliothek, die älteste in Mitteldeutschland, in der Moritzburg. In unmittelbarer Nähe, im Torhaus gegenüber, findet sich die Lutheriden-Bibliothek. Dort werden die Nachlässe der Nachkommen Martin Luthers gesammelt. Die Einrichtung zog 2003 von Hamburg nach Zeitz, an den einstigen Wohnsitz der Kinder und Kindeskinder des Reformators.

Eine weitere, ganz besondere Bibliothek versteckt sich in der Pfarrkirche St. Michael. Der Ort erinnert an berühmte Bücherlabyrinthe, die sich nur schwer erreichen lassen. Vom zentralen Kirchenraum gelangt man über eine schmale Seitentreppe zur Bibliothek. Durch den engen Eingang betreten die Besucher eine andere Welt. Dicht beieinander stehen die bis ins Jahr 1519 zurückgehenden, per Hand in Leder gebundenen Bücher. Besondere Stücke werden aufgeschlagen präsentiert. Schon allein wegen des Urdrucks der 95 Thesen - davon existieren weltweit drei - lohnt es sich, das Kleinod aufzusuchen.

Carolin Drescher, die die Pfarrbibliothek leitet, hat die Erfahrung gemacht, dass sich auch Kinder für ihre Schätze begeistern lassen. Mit dem Gänsekiel haben sie Initialen geschrieben, schwungvolle Buchstaben geübt. »Danach haben die Kinder die Projekttage als ihr schönstes Erlebnis bezeichnet«, erzählt die Bibliothekarin.

In Zeitz setzt die Stadt schon länger darauf, den Nachwuchs für die eigene Kulturgeschichte zu interessieren. Im kunstpädagogischen Lebek-Zentrum gibt es eine Druckwerkstatt, in der Holzschnitte auf historischen Handpressen angefertigt werden können. Kinder und Jugendliche werden in Kooperation mit der Stiftsbibliothek und der Ernst-Ortlepp-Bibliothek an Buchgestaltungen mit künstlerischem Anspruch herangeführt. »Dem Nachwuchs soll die Geschichte nähergebracht werden. Wir arbeiten mit vielen Schulen zusammen. Das ist ein guter, ermutigender Beginn«, konstatiert Margarete Schweizer, die Koordinatorin der Zeitzer Bibliotheksinitiative.

Auch die Stadtbibliothek, das Stadtarchiv, die Bibliothek der Landesschule Pforta und die PHILA-Bibliothek, eine der wenigen Spezialbibliotheken zur Kommunikationsgeschichte in Deutschland, haben sich der Initiative angeschlossen. Gemeinsam wollen sie sich am 24. Oktober, am Tag der offenen Bibliotheken, vorstellen. In allen Häusern werden die wertvollsten Sammlungsstücke präsentiert und Veranstaltungen angeboten. Im nächsten Jahr wollen die Zeitzer die Literaturtage in Sachsen-Anhalt ausrichten. Die Bewerbung läuft.

Tag der offenen Bibliotheken am 24. Oktober. Weitere Informationen für Zeitz unter: www.vereinigtedomstifter.de[1]

Links:

  1. http://www.vereinigtedomstifter.de