Es läuft nicht rund

Zwei Wochen vor der US-Präsidentschaftswahl ist Donald Trump in einer schwierigen Situation

  • Moritz Wichmann, New Jersey
  • Lesedauer: 8 Min.

Donald Trump hat in den vergangenen Tagen angefangen, über eine mögliche Niederlage zu sprechen. Dann müsse er womöglich »das Land verlassen«. Die Rede über die drohende Niederlage soll die Basis mobilisieren, doch sie zeigt auch, was den US-Präsidenten beschäftigt. Er braucht dringend eine »Oktoberüberraschung«, ein Ereignis, das den Wahlkampf in letzter Minute entscheidend verändert. Oder zumindest einen Politikerfolg.

Doch danach sieht es derzeit nicht aus: Die Hoffnungen, möglicherweise noch vor den Wahlen per Not-Genehmigung einen Corona-Impfstoff zuzulassen, hat die Lebensmittelsicherheitsbehörde Food and Drug Administration (FDA) vor wenigen Tagen zunichte gemacht, als umfangreiche Test- und Sicherheitsanforderungen veröffentlicht wurden.

Max und Moritz
Max Böhnel und Moritz Wichmann analysieren jede Woche im Chat mit Oliver Kern den US-Wahlkampf. Diesmal ist Max dran. Der US-Korrespondent des »nd« und mehrerer Radiosender in Deutschland, Österreich und der Schweiz lebt seit 1998 in New York.

Die Verhandlungen um ein weiteres Coronavirus-Hilfspaket stocken, weil Nancy Pelosi, Mehrheitsführerin der Demokraten im Repräsentantenhaus, Trump zappeln lässt und nicht von ihrer Forderung nach umfangreicher Hilfe im Umfang von über zwei Billionen Dollar abrückt. Trump würde dem wohl auch gerne entgegenkommen, würde dafür aber keine Stimmen finden unter den Republikanern im Senat, die am Mittwoch über deutlich geringere Hilfen im Umfang von 500 Milliarden abstimmen wollen.

Der Missbrauch von Mitteln aus dem Fonds der staatlichen Senioren-Krankenversicherung Medicare, um allen US-Rentnern in einem unverhohlenen Stimmenkaufversuch kurz vor der Wahl Gutscheine – womöglich mit Trump-Logo und Unterschrift – zum Kauf von Medikamenten in Höhe von 200 Dollar zukommen zu lassen, lässt sich offenbar doch nicht in Kürze organisieren.

Gleichzeitig scheinen die von der Trump-Kampagne platzierten neuen »Enthüllungen« und Anschuldigungen über den Sohn von Herausforderer Joe Biden, Hunter, kaum Interesse auszulösen. Das verwundert nicht angesichts der Corona-Pandemie, die dieser Tage wieder landesweit in einer dritten Welle wütet, mit steigenden Fallzahlen und großer Betroffenheit besonders in den für die Wahl wichtigen Staaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania und in ländlichen konservativen Teilen des Landes.

Umfrageforscher wie Nate Silver vom bekannten Datenjournalismusportal FiveThirtyEight warten darauf, dass das Rennen in den Umfragen »enger« wird. Doch bisher tritt eher das Gegenteil ein. Seit dem Bekanntwerden von Donald Trumps Covid-Erkrankung ist Bidens Vorsprung laut FiveThirtyEight wieder gestiegen, derzeit auf über zehn Prozent.

US-Wahlumfragen zeigen bisher relativ stabilen Vorsprung für Joe Biden

Damit könnte Joe Biden gewinnen, selbst wenn die Umfragen genauso falsch lägen, wie sie es vor vier Jahren taten, als Hillary Clinton ein haushoher Vorsprung vor Trump prognostiziert wurde. Natürlich könne das Rennen noch knapp werden, sagen Silver und andere Wahlanalysten, doch ein Umfragefehler kann sich auch zugunsten der Demokraten auswirken. Seit 1972 haben sich laut Silvers Berechnungen die Umfragendurchschnitte im Durchschnitt in den letzten 15 Tagen um ein bis zwei Prozent verändert.

Über den Einbruch der Unterstützung für die Republikaner in den Vororten hinaus, über den in den letzten Monaten und seit den Zwischenwahlen 2018 bereits viel geschrieben wurde, zeigen in den letzten Tagen und Wochen veröffentlichte Umfragen einen ebenfalls dramatischen Einbruch der Unterstützung für die Partei in ländlichen Kongresswahlbezirken und Staaten. Außerdem zeigen Umfragen, dass er deutlich Unterstützung eingebüßt hat unter weißen Wählern ohne Universitätsabschluss, auch wenn diese immer noch mehrheitlich für ihn stimmen wollen.

In den letzten Tagen und Wochen veröffentlichte Umfragen in ländlichen Gegenden zeigen einen dramatischen Einbruch der Unterstützung für Trump. Außerdem zeigen sie, dass er deutlich Unterstützung eingebüßt hat unter weißen Wählern ohne Universitätsabschluss, auch wenn diese immer noch mehrheitlich für ihn stimmen wollen.

Wer sichert sich die Mehrheit im Electoral College?

Abgesehen von Nevada versucht Trump zwar noch per Fernsehanzeigen in New Hampshire und Minnesota zu gewinnen – in allen drei Staaten hatte er 2016 nur knapp verloren – konzertriert sich aber derzeit mit Kundgebungen und Anzeigen auf die Verteidigung von Staaten wie North Carolina, Georgia, Ohio und Iowa – Staaten, die er vor vier Jahren noch deutlich gewonnen hatte.

Wie sehr die Trump in der Defensive ist, zeigen auch andere Zahlen: Bereits im August wurde darüber berichtet, dass Trumps Kampagne viel Geld verbrannt hatte und ausgerechnet in den entscheidenden Wochen vor der Wahl einen »cash crunch« hatte. Der Präsident musste für Wochen seine Fernsehanzeigen in mehreren Swing States zurückziehen. Im September haben Trump und das Republican National Committee 247 Millionen US-Dollar an Wahlkampfspenden eingesammelt, Joe Biden zusammen mit seiner Partei dagegen 383 Millionen US-Dollar. Und offenbar gehen Donald Trump auch die ultrareichen Großspender von der Fahne. Während der rechte Medienmogul Rupert Murdoch mit einem erdrutschartigen Wahlsieg Bidens rechnen soll, ist Trump immer mehr auf das Geld von einem Mann angewiesen: Las-Vegas-Casinomogul und Milliardär Sheldon Adelson soll vor kurzem 75 Millionen Dollar an einen republikanische Super-Pac gespendet haben - so heißen Lobbygruppen, die sich darauf konzentrieren, Abgeordnete oder Wahlbeamte der Regierung zu unterstützen oder zu bekämpfen und die nicht offenlegen müssen, wer sie finanziell unterstützt. Pro-Biden-Super-Pacs setzen derzeit drei Mal soviel Geld zu dessen Hilfe ein als den Republikanern nahestehende Gruppen.

Der US-Präsident flüchtet dieser Tage oft in seine Wohlfühlzone: Dem rechten Medienuniversum von Fox News gibt er lange Interviews, in denen er sich über unfähige Mitarbeiter beschwert. Und er vertieft die Strategie der Basismobilisierung und versucht vor allem Staaten zu »verteidigen«, die er 2016 gewonnen hat. Offenbar will der Präsident bis zur Wahl jeden Tag Kundgebungen abhalten, will unbedingt Stärke zeigen. Trump werde sich noch umbringen zeigte sich ein Berater im Nachrichtenportal Axios besorgt.

Joe Biden wiederum hält seinen Fokus diszipliniert auf die fünf wichtigsten Swing States, also Staaten, die mal die Republikaner und mal die Demokraten gewinnen: Wisconsin, Michigan und Pennsylvania sowie North Carolina, Arizona und Florida. Sein Team hat erst am Wochenende vor Nachlässigkeit gewarnt. »In Realität ist dieses Rennen viel enger, als es einige Experten im Fernsehen und auf Twitter verkünden«, schrieb Bidens Kampagnenmanagerin Jen O’Malley Dillon. Auch 2016 gab Hillary Clinton viel mehr Geld aus als Trump. Der ritt eine Welle kostenloser Medienberichterstattung, was er nun auch wieder tut. Der Unterschied: Aktuell wird vor allem über sein Aufgeben im Kampf gegen die Corona-Pandemie berichtet; sein Konkurrent Biden überlässt ihm gerne das Rampenlicht zur Selbstzerstörung.

Republikaner müssen viel "verteidigen": Sechs Staaten sind besonders umkämpft bei den US-Senatswahlen 2020 - hier versuchen die Demokraten eine Mehrheit im US-Senat zu erringen

Auch dieser Tage wieder ist in den sogennanten sozialen Medien, Zeitungskommentaren und bei Fernsehexperten der Vergleich mit 2016 wieder en vogue. Doch anders als noch vor vier Jahren gibt es nur noch sehr wenige Unentschlossene. Damals waren es vier bis neun Prozent, die sich in letzter Minute mehrheitlich für Trump entschieden. Heute sind laut einer NPR/Marist University Umfrage nur noch zwei Prozent unentschieden. Anders als 2016 wollen nur ein Prozent eine Drittpartei wählen und nur fünf Prozent erklären, vielleicht ihre Meinung zu ändern zu wollen. Wer dieser Tage mit US-Amerikanern spricht, spürt eine gewisse Müdigkeit: Viele Menschen in den Vereinigten Staaten haben sich entschieden, wollen, dass es vorbei ist.

Das zeigen die langen Schlangen vor den Wahllokalen in den Staaten, in denen dieser Tage das »early voting« startet. In Florida etwa begann das Frühwählen am Dienstag. Lange Schlangen spiegeln in diesem Fall aber nur die grimmige Entschlossenheit der Demokraten-Wähler wieder, die es kaum erwarten können, gegen Trump zu stimmen. Am zweiten, dritten und den Nachfolgetagen verschwinden die Schlangen dann in vielen Staaten, nachdem sich die enthusiastischsten Demokratenwähler am ersten Tag Genugtuung verschafft haben.

Laut Zahlen des Wahlprojekts von Michael McDonald, Professor für Politikwissenschaft an der University of Florida, haben bis Dienstagabend bereits 30 Millionen US-Amerikaner abgestimmt – die Mehrheit davon sind Demokraten. Dazu geben dieser Tage viele Demokraten-Wähler ihre Briefwahlstimmen in die Post. Beides könnte dafür sorgen, dass am eigentlichen Wahltag am 3. November schon bis zu drei Viertel der Demokraten ihre Stimme abgegeben haben.

Die Republikaner-Basis folgt dem Marschbefehl von Donald Trump und scheint mehrheitlich zu warten, will am Wahltag in großer Zahl abzustimmen. Deswegen dämpfen Wahlanalysten wie Silver von FiveThirtyEight die Freude der Deokraten über die für die Partei sehr positiv erscheinende »early voting«-Statistiken, die Demokraten-Anhänger in sozialen Netzwerken dieser Tage eifrig verbreiten. Doch auch wenn das republikanische »election day voting« vermutlich den derzeit großen Demokratenvorsprung bei den abgegebenen Stimmen deutlich schmelzen lassen wird: Beobachter wie Silver überlegen immer öfter laut, ob sich die Trump-Kampagne damit nicht in eine riskante Situation manövriert. Denn was ist, wenn es am Wahltag lokale Corona-Ausbrüche gibt und das etwa ältere Republikaner-Wähler davon abhält, vor die Tür zu gehen? Oder nicht alle Wahllokale öffnen können, weil - wie bereits teilweise bei den Vorwahlen im Sommer geschehen – Wahlhelfer aus Angst vor Corona nicht erscheinen? Oder was ist, wenn es lokale Unwetter, Regen oder sonstiges schlechtes Wetter gibt, was laut politikwissenschaftlicher Forschung Einfluss auf die Wahlbeteiligung hat?

Kleiner Green Deal statt großer Scherbenhaufen
Joe Bidens wirtschaftspolitische Hauptthemen sind Steuern und Regulierung. In anderen Bereichen wie dem Handel sind die Unterschiede zu Donald Trump minimal

Die Biden-Kampagne hat derweil schon jetzt mehr Stimmen »auf der Bank«, kann sich deswegen auch darauf konzentrieren, weniger zuverlässige Wähler wie junge Amerikaner, Latinos oder schwarze Männer auf den letzten Metern zu mobilisieren. Weil rund zwei Drittel der Briefwahlstimmen dieses Jahr von Demokraten-Anhänger kommen werden, die die Pandemie ernster nehmen, muss die Biden-Kampagne möglicherweise eine höhere Ablehnungsquote wegen Formfehlern wie fehlenden Unterschriften oder nicht verwendeten Doppelumschlägen im Vergleich zur persönlichen Stimmabgabe am Wahltag befürchten. Um die Quote möglichst gering zu halten hat das Biden-Team eine Informationskampagne im Umfang von 150 Millionen Dollar für die eigenen Wähler organisiert.

Die Trump-Kampagne geht derweil gerichtlich gegen jegliche pandemiebedingte Ausweitung von Briefwahlmöglichkeiten vor, etwa gegen verlängerte Fristen zur Einsendung Wahlzetteln oder dem Versuch, die Abgabestelle für Briefwahlstimmen pro Landkreis aufe eine zu begrenzen. 20 Millionen Dollar hat man dafür investiert.

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