nd-aktuell.de / 21.10.2020 / Kultur

Kämpfende Subjekte ergreifen selbst das Wort

Sunzi bingfa: Ein autonomes Medienprojekt schreibt über die Kunst des Krieges

Tomás Weydemeyer

Sunzi bingfa: »Sunzi über die Kunst des Krieges« gibt einem neuen Zeitungsprojekt den Namen. Sunzi, zu deutsch »Meister Sun«, ist als chinesischer Militärstratege aus dem sechsten Jahrhundert vor Christus bekannt. Sein Hauptwerk, »Die Kunst des Krieges« ist heute weltberühmt und wird von aufstrebenden Managern über Kampfsportler*innen bis zu Linken gern gelesen. Ein Zitat aus dem Originalwerk könnte das Motto der 14-tägig erscheinenden Online-Zeitung sein: »Wahre Vortrefflichkeit ist es, insgeheim zu planen, sich heimlich zu bewegen, dem Feind einen Strich durch die Rechnung zu machen und seine Pläne zu vereiteln.« Dementsprechend wird nicht ersichtlich, wer genau verantwortlich für das Projekt zeichnet, auch wenn einige Autorennamen, wie beispielsweise Sebastian Lotzer[1], aus autonomen Debattenkontexten durchaus bekannt sind.

Seit Juli existiert also ein weiteres Zeitungsprojekt in den digitalen Sphären unseres sinnentleerten Informationszeitalters. Doch »Sunzi bingfa« ist anders. Die Originalität des Projekts besteht weder in der Exklusivität der Veröffentlichungen, noch darin, dass eine weitere Redaktionsgruppe meint, Großanalysen über politische Entwicklungen der Welt zu offenbaren, sondern darin, dass sie die Kämpfe selbst zu Wort kommen lässt. Die Artikel sind parteiisch, die Autor*innen schreiben aus einer involvierten Subjektposition, wägen sich nicht in Feldherrenmanier und Äquidistanz ab, sondern sagen, was sie denken. Dass man deswegen inhaltlich nicht allem folgen muss, erklärt sich von selbst. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass es »Sunzi bingfa« darum geht, Randperspektiven einer linken deutschsprachigen Öffentlichkeit zugänglich zu machen, was auch die Vielfalt der Themen erklärt.

Über Interviews mit Kämpfenden, philosophischen Texten, historische Reflexionen oder prosaischen Erzählungen, die einen mitten im Getümmel aufwachen lassen, war bisher alles dabei. Es kommen Anarchist*innen zu Wort, die in den linken Protesten gegen die politischen Corona-Maßnahmen in Slowenien kämpfen[2], genauso wie Militante aus China, dem Libanon[3] oder antirassistische Aktivist*innen aus den USA. Die Redaktion verortet sich eindeutig in der Geschichte der militanten und internationalistischen Linken.

Neben historischen Beiträgen wie beispielsweise zu Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus oder zur Geschichte der Stadtguerilla, geht es auch um die Begrenztheit des strategischen Pazifismus von Teilen der Klimagerechtigkeitsbewegung. Und als ob dem nicht schon genug wäre, schafft die Redaktion auch noch einige der oft schwer zugänglichen, aber lesenswerten Texte italienischer Philosophen wie Giorgio Agamben oder Franco »Bifo« Berardi zu übersetzen. Bifo ist Marxist, schreibt viel zu post-industriellem Kapitalismus und kommt aus der italienischen Autonomia. Agamben ist als Philosoph vor allem für seine Ausführungen zu Biopolitik, dem »nackten Leben« und des Ausnahmezustands bekannt. So findet sich in der aktuellen Ausgabe Nummer 7 ein Artikel von Agamben, in dem er der Banalisierung des Masketragens, also der Verhüllung des Gesichts, das Politische des Gesichts entgegenstellt: Ohne Gesicht sei keine Politik denkbar. Das Gesicht sei sogar der Ort der Politik, weil es Offenheit und Blöße ausdrückt sowie die Verständigung mit anderen Menschen ermöglicht. Das unterscheide uns vom Tier. Eine nachdenklich und Mut machende These, die zeigt, dass noch nicht alle im Gleichschritt denken. Darüber hinaus leistet »Sunzi bingfa« noch einen kleinen, aber feinen Beitrag, die oft provinzielle Theorie(re-)produktion der deutschen Linken durch übersetzte Texte aus dem Ausland zu bereichern und zu internationalisieren.

https://sunzibingfa.noblogs.org

Links:

  1. https://twitter.com/sebastianlotzer
  2. https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2020/10/18/statement-der-anarchistischen-initiative-ljubljana/
  3. https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2020/10/05/in-dem-moment-als-ich-zu-den-verlorenen-gehoerte/