Wintersalat für den Balkon

Postelein wächst noch bei Temperaturen unter zwölf Grad Celsius

  • Anke Nussbücker
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein lange vergessener Wintersalat wird in jüngster Zeit wieder häufiger auf Wochenmärkten und in Bioläden zum Verkauf angeboten. Das als Postelein, Kubaspinat oder Winterportulak bezeichnete Gemeine Tellerkraut lässt sich sogar im Blumenkasten vor dem Fenster oder auf dem Balkon aussäen. Die genügsame Pflanze keimt und gedeiht bei Temperaturen unter zwölf Grad Celsius auch an halbschattigen Plätzen.

Zwischen Oktober und März können die zarten Blättchen von Postelein geschnitten werden, hierzulande oft bereits vier Wochen nach Aussaat. Im Spätherbst und in milden Wintermonaten liegen in Bioläden meist die herzförmigen, lang gestielten, zarten Grundblätter dieser Pflanze in den Kühlvitrinen.

Blattsalat mit Ingwerdressing

Je 50 Gramm Postelein, Feldsalat und Radicchio gründlich waschen, verlesen; zwei Möhren putzen, mit dem Sparschäler in lange Streifen hobeln; fünf Radieschen in dünne Scheiben schneiden. Für das Dressing ein fingerkuppenkleines Stück Ingwer fein reiben, mit zwei Teelöffeln flüssigem Honig, dem Saft einer Zitrone, 50 Millilitern Apfelsaft sowie zwei Esslöffeln Olivenöl und einem Esslöffel Leinöl gut vermischen und über den Salat geben. Dazu passen gebratene, panierte Zucchinischeiben oder frischer Fisch. anu

Zieht man diesen ausgesprochenen Wintersalat selbst auf dem Balkon, nachdem die letzten Tomaten abgeerntet sind, so kann man beobachten, wie sich die späteren Hochblätter entwickeln. Diese stehen paarweise zusammen und umschließen den Stängel. Es sieht so aus, als würde der Stängel durch ein einziges tellerförmiges Blatt hindurchwachsen. Daher trägt Postelein auch den Namen Tellerkraut - und heißt botanisch Claytonia perfoliata. Perfoliata bedeutet »mit durchwachsenen Blättern«.

Wie die meisten Blattgemüsearten enthält das Gemeine Tellerkraut vor allem viel Folsäure, ein B-Vitamin, durchschnittlich 30 bis 60 Milligramm Vitamin C pro 100 Gramm, außerdem Vitamin K, Chlorophyll sowie eine Vorstufe von Vitamin A. In den Frühsommerwochen im südlichen Alaska waren es Indigene und Goldgräber, die die jungen Blätter gegen Skorbut, Gelenk- und Zahnfleischentzündungen infolge eines Vitamin-C-Mangels nutzten und verzehrten. Auch wenn das Vitamin C, die »antiskorbutische« Säure, nach ihrer Wirkung »Ascorbinsäure« benannt, erst zwischen 1921 und 1932 genauer erforscht, chemisch isoliert und identifiziert werden konnte, wusste die Erfahrungsmedizin der Indigenen bereits viele Jahrhunderte zuvor das Kräutlein zu nutzen. Im Westen Nordamerikas ist das Tellerkraut daher auch unter Bezeichnungen wie »Indian lettuce« und »Miners lettuce« bekannt.

Postelein oder Winterportulak, so die häufig in Bioläden verwendeten Namen für das Gemeine Tellerkraut, ist im Grunde eine Wildpflanze geblieben. Wenige Blätter davon enthalten mehr Vitamine und Mineralstoffe als eine große Portion der meisten hochgezüchteten Salate, die in der industrialisierten Landwirtschaft angebaut werden und im Handel dominieren.

Wegen ihrer Wirkung gegen Skorbut nahmen Seeleute die Pflanze von Nordamerika mit auf den Weg in die Karibik, wo sie den Namen »Kubaspinat« erhielt. Als sogenannter Neophyt (gebietsfremde Art) gelangte das Kraut nach Europa. Es sieht dem vermutlich aus Südeuropa stammenden Sommerportulak recht ähnlich. Sommerportulak hat aber eher dickfleischige Blätter und ist eine wärmeliebende Pflanze. Das als Winterportulak im Norden, in Küstengebieten, Gebirgen oder auf den subantarktischen Inseln gedeihende Tellerkraut jedoch stirbt hierzulande während der heißen Sommermonate ab, nur die Samenkörnchen überdauern in der Erde oder in Alaska unter einer dicken Schneedecke.

Früher ordnete man Sommer- und Winterportulak gemeinsam in eine Pflanzenfamilie ein, daher auch der gemeinsame Name. Nach neueren molekularbiologischen Untersuchungen gehören sie aber zu verschiedenen Pflanzenfamilien - Sommerportulak zu den Portulakgewächsen, Winterportulak zu den Quellkrautgewächsen (lateinisch Montiaceae). Der Name Quellkraut ist ein Hinweis darauf, wo man den Winterportulak in unberührter Natur finden würde, nämlich in der Nähe von Quellen in den Bergen.

Beide Familien gehören aber zur Ordnung der Nelkenartigen. In dieser gibt es sehr viele Pflanzenfamilien mit einem besonderen Säurestoffwechsel. Manche Pflanzen oder bestimmte Zellen innerhalb der Einzelpflanze können bei Wassermangel auf den sogenannten Crassulaceen-Säurestoffwechsel umschalten (englisch: Crassulacean Acid Metabolism). Sie nehmen Kohlendioxid in der Nacht auf, das von der Pflanze in Apfelsäure umgewandelt, in den Vakuolen gespeichert und am Tage weiterverarbeitet wird. Der Vorteil dieses Vorgangs besteht darin, dass die Pflanze in den (heißen) Tagesstunden ihre Spaltöffnungen geschlossen halten kann, wodurch sie weniger Wasser durch Verdunstung verliert. Ein Teil der Apfelsäure wird unter anderem in Zitronensäure und Oxalsäure umgewandelt. Das zeigt sich bei beiden Portulak-Arten in dem leicht säuerlichen Geschmack.

Die ökonomische Bedeutung von Sommer- und Winterportulak ist eher gering geblieben, vor allem weil die Ernte der kleinen Blätter wenig rentabel scheint und sie sich außerdem nur einen Tag lang im Kühlschrank frisch halten lassen. Aber für das eigene Fenster und zur Selbstversorgung bietet sich Winterpostelein auf geradezu ideale Weise an.

In beiden Portulak-Arten ist eine geringe Menge der dreifach ungesättigten Fettsäure Alpha-Linolensäure enthalten. Im Fachmagazin »Ernährungs-Umschau« wurde kürzlich über den leicht vorteilhaften Effekt von mehrfach ungesättigten Fettsäuren zur Vorbeugung sowie Linderung von koronaren Herzkrankheiten und Herzrhythmusstörungen berichtet. Dabei kommt es vor allem auf eine Veränderung der einzelnen Anteile der verschiedenen Fettsäuren bei der Ernährung an: Weniger gesättigte Fettsäuren, etwa aus Speck oder Salami, stattdessen mehr ungesättigte Fettsäuren aus fettreichen Kaltwasserfischen, Leinöl, Walnüssen oder grünen Blattsalaten wie Postelein oder Rapunzel. Die Salate haben dabei den Vorteil, zugleich Antioxidantien wie die Vitamine A, C und E zu liefern, die die Anfälligkeit der ungesättigten Fettsäuren gegenüber oxidativem Stress verringern, der zum Beispiel durch Rauchen von Tabak oder die Feinstaubbelastung an viel befahrenen Straßen entsteht.

In Portulak sind außerdem Pflanzenfarbstoffe enthalten, die zur Gruppe der Betalaine gehören und zur Gesundheit der Augen beitragen. Zudem wird das Vitamin Folsäure im Organismus dafür gebraucht, das für die Blutgefäße schädliche Homocystein abzubauen - ein weiterer Pluspunkt für Herz und Kreislauf. Die enthaltenen Mineralstoffe wie etwa Magnesium, das als Zentralatom des grünen Blattfarbstoffs Chlorophyll fungiert, können aus dem grünen Wintersalat gut aufgenommen werden und den Herzrhythmus verbessern.

Aufgrund des unerwünschten Oxalsäuregehaltes, der aber relativ gering ist, empfiehlt sich beim Zubereiten von Salaten das Mischen mit anderen Pflanzenfamilien. Die zarten, selbst gepflückten Blättchen von Winterportulak können beispielsweise mit Feldsalat (Rapunzel), Radicchio und Winterkresse gemixt werden. Oder man kombiniert mit Weißkohlsalat oder geriebenen Möhren. Der säuerliche Geschmack der jungen Grundblätter von Postelein erinnert an Sauerklee und harmonisiert mit einem süßsauren Dressing aus Zitronensaft, etwas Honig, Joghurt oder Mayonnaise.

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