Schlangen vor den »Drive-in«-Stationen

In Italien wächst die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Corona-Management

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 4 Min.

Corona hat Italien erneut fest im Griff. Erneut schaut das ganze Land gebannt auf die allabendlichen Fallzahlen, die seit Wochen permanent steigen. Alle Medien widmen der Pandemie einen großen Teil der Seiten und der Zeit und auch auf den Straßen spricht man eigentlich nur darüber. Selbst der Fußball, der sonst als »schönste Nebensache der Welt« immer eine beliebte Abwechslung darstellte, ist heute fest in Covid-Hand und man redet weniger über Taktik als mehr darüber, welche Spieler denn nun positiv getestet wurden. Aber das allgemeine Klima ist heute anders als im März/April. Die Menschen sind angespannt und das Vertrauen in die Regierung und in die fast täglich wechselnden Maßnahmen schwindet.

Die Angst vor einem neuen Lockdown ist spürbar. Hamsterkäufe werden getätigt, vor den Geldautomaten bilden sich lange Schlangen, weil man sich schnell noch mit Bargeld eindecken will und selbst bei den Friseuren sind die Wartelisten lang, weil man nicht weiß, ob sie morgen noch offen sein werden. Immer wieder beteuert die Politik, »alles im Griff« zu haben, aber die Menschen sind diesbezüglich extrem skeptisch.

Die Erziehungsministerin Lucia Azzolina erklärte zum Beispiel, dass die Schulen »auf keinen Fall« wieder schießen werden und nur wenige Stunden später verordnete Vincenzo De Luca, Ministerpräsident von Kampanien (die Region mit Neapel) die Schließung aller Schulen für die kommenden zwei Wochen. Alle sind sich darüber einig, dass einer der wichtigsten Ansteckungsherde in den öffentlichen Verkehrsmitteln liegt, aber da die Städte kein Geld haben, wird dagegen nichts unternommen - außer, dass die Schulen jetzt unterschiedliche Öffnungszeiten haben, durch die aber niemand mehr durchblickt und die den Familien mit Kindern das Leben schwer machen.

Ein Kapitel für sich sind die Corona-Tests. In der Dreimillionenstadt Rom zum Beispiel gibt es fünf sogenannte »Drive-in«-Stationen, in denen die Tests durchgeführt werden. In den vergangenen Tagen haben sich davor zum Teil kilometerlange Autoschlangen gebildet, sodass die Personen manchmal bis zu acht Stunden warten mussten, bis sie endlich dran waren. Nicht nur für Kinder ist das einfach unzumutbar. Wer sich das ersparen will (und es sich auch leisten kann), kann auch auf private Strukturen ausweichen aber da muss man bis zu drei Wochen warten, bis man endlich einen Termin bekommt. Auf der Straße und in den Familien erzählt man sich Schauergeschichten über Testergebnisse, die erst nach über einer Woche oder auch überhaupt nicht kommen - aber in dieser angespannten Lage erzählt man sich natürlich auch nur von negativen Erfahrungen.

Des Weiteren haben die Bürger inzwischen das Gefühl, dass jede Institution einer anderen die Schuld für die steigenden Fallzahlen in die Schuhe schieben will. Zuerst hat der Ministerpräsident von Kampanien permanent die Lombardei angegriffen, weil die Krankheit dort besonders virulent war und ist. Inzwischen ist aber auch Kampanien zu einem Hotspot geworden und nun beschimpft der Bürgermeister von Neapel seinen Ministerpräsidenten, weil dessen Krisenmanagement scheinbar völlig falsch war. Regierungschef Giuseppe Conte hat in einer Fernsehansprache die Gemeinden ermahnt, sie sollten doch die Straßen und Plätze absperren und räumen, wenn sich dort vor allem in den Abendstunden Jugendliche tummeln und wenig Rücksicht auf die Sicherheitsregeln nehmen. Die Bürgermeister haben daraufhin erklärt, dass sie überhaupt nicht die Mittel und das Personal haben, um solche Anweisungen durchzusetzen. In den nächsten Tagen wird man deshalb in der Lombardei und auch in Kampanien eine Ausgangssperre zwischen zehn Uhr abends und fünf Uhr früh verhängen, was in einem Land, in dem man sich sowieso erst nach 20 Uhr zum Abendessen versammelt, die Gastronomie besonders hart trifft.

Und wenn man niemanden mehr findet, dem man die Schuld zuweisen kann, dann wälzt man sie eben auf die Bürger ab: Von ihnen und ihrer Vernunft, so sagen die politisch Verantwortlichen jetzt, hänge es ab, ob Italien die zweite Corona-Welle einigermaßen unbeschadet überstehen wird.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal