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Empörungswellen helfen Rechtsaußen

Der Politikwissenschaftler Maik Fielitz über Faschismus im Netz und linke Gegenstrategien

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 5 Min.

Ihr Buch heißt »Digitaler Faschismus«. Was ist damit genau gemeint?

Mit unserem Begriff des digitalen Faschismus beschreiben wir, wie zentrale Grundmuster faschistischer Bewegungen im digitalen Kontext neuen Auftrieb erhalten.

Maik Fielitz
Der Politologe forscht am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena zu rechtem Online-Aktivismus. Außerdem arbeitet er für das Institut für Friedensforschungs- und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und ist assoziiert mit dem Centre for Analysis of the Radical Right. Gemeinsam mit dem Sozialwissenschaftler und Journalisten Holger Marcks hat er jüngst das Buch »Digitaler Faschismus: Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus« veröffentlicht. 

Was sind die zentralen Grundmuster?

Im Zentrum steht die Vorstellung, dass die eigene Nation existenziell bedroht werde und es besondere Maßnahmen braucht, um ein nationales Erwachen zu erleben. Heute drückt sich dies im Gerede von einem »Bevölkerungsaustausch« aus: Der Idee, dass es einen Plan gäbe, das deutsche Volk durch Migranten und Muslimen zu ersetzen. Die Beschwörung eines solchen Szenarios hat die AfD mit den jüngsten Rechtsterroristen gemein. Um die Dramatik zu steigern, propagiert die extreme Rechte Ansichten, als würde das Land mit »Ausländergewalt« überzogen werden. Menschen sollen so in einen emotionalen Ausnahmezustand versetzt werden, in dem Gewalt notwendig erscheint, um sich zu verteidigen.

Inwiefern wirkt diese Erzählung im digitalen Kontext anders?

Während diese Ideen im vordigitalen Zeitalter von hierarchisch organisierten Gruppen verbreitet wurden, kann sich heute über soziale Medien jeder als Verkünder des Volkswillens aufspielen. Die horizontalen Strukturen sozialer Medien schaffen so auch eine neue Form des Faschismus. Die Narrative verbreiten sich viel schneller und erreichen Gruppen, die sonst nie in den Bann des nationalen Erwachens geraten wären.

In sozialen Medien können theoretisch alle empfangen und alle senden. Welche Rolle hat die organisierte extreme Rechte?

Für sie ist es gar nicht so leicht, in sozialen Medien die Kontrolle zu behalten. Viele Entwicklungen und Diskussionen verlaufen einfach zu schnell, als dass sie sich in eine kohärente Strategie einfügen würden. Zu viele Akteure wirken hier mit- und auch gegeneinander. Die AfD als die Partei, die etwa die größten Interaktionen auf Facebook auslöst, ist aber natürlich ein Anker.

Warum?

Mit ihrem koordinierten Verhalten kann sie Debatten anschieben und ihren Botschaften größtmögliche Reichweite geben. Dabei hilft auch der Einsatz von Fake-Profilen. Darüber hinaus sehen wir aber, wie sich eher ungebundene Schwärme spontan bilden und mit ganz unterschiedlichen Motivationen rechtsextreme Botschaften weiterverbreiten. Ohne die würde die Propaganda der AfD bei weitem nicht so gut funktionieren.

Inwiefern begünstigen Funktionsweisen sozialer Netzwerke solche Kampagnen?

Sie fügen sich gut in die Strategien rechtsextremer Akteure ein. Das sieht man in der Art, wie sie Inhalte schneller verbreiten, die Angst auslösen oder postfaktisch sind. Zudem lassen sich rechte Dynamiken multiplizieren durch Fake-Accounts und einem koordinierten Online-Aktivismus. Das gibt Akteuren, die manipulativ agieren, entscheidende Vorteile. Faktenchecker können den unaufhörlichen Strom von Fake News kaum aufhalten. Da jeder erst einmal unendlich viel posten kann, ist das ein Kampf gegen Windmühlen.

Gehen Medien und Politiker bewusst mit dem Phänomen um?

Einige Medien verstehen die sozialen Medien als Abbild der Gesellschaft. Das ist problematisch, weil oft schwer nachzuvollziehen ist, wer hinter bestimmten Online-Kampagnen steht. Aufmerksamkeit in den Medien zu provozieren, ist fester Bestandteil rechtsextremer Strategien, um Interaktionsketten zu multiplizieren und die Algorithmen zu befeuern. Schützenhilfe wird von rechts wie links gegeben. Denn neben vermeintlich Konservativen sind es doch vor allem Akteure, die Gegenrede betreiben, die den rechten Narrativen hohe Interaktionsraten und somit Reichweite bescheren.

Es macht also wenig Sinn, mit rechten Akteuren im Netz zu diskutieren?

Wir glauben, dass viele demokratische Akteure die Tragweite des Problems noch nicht verstanden haben. Durch die ständigen Empörungswellen in sozialen Medien arbeiten viele gut gemeinte Initiativen daran mit, die polarisierenden Strategien der extremen Rechten anzuheizen. Nicht selten wird dabei die Kraft des eigenen Arguments überschätzt. Durch den mit angefeuerten Strom an Wut und Häme wird auch das Potenzial genommen, eine Form von verständigungsorientiertem Diskurs zu pflegen. Somit lässt man sich doch stark auf rechte Provokateure ein.

Was können Antifaschisten am sinnvollsten tun, um die digitalen Strategien der extremen Rechten zu durchkreuzen?

Antifaschisten sollten sich überlegen, inwiefern sie daran mitwirken wollen, Debatten in soziale Medien zu verlagern. Denn sie haben da nicht viel zu gewinnen, wollen sie nicht ebenso manipulativ agieren, wie die extreme Rechte. Wichtig ist, die Aufmerksamkeitsstrategien zu bedenken und nicht über jedes Stöckchen zu springen. Zudem muss der digitale Antifaschismus die Strukturen politisieren, die den digitalen Faschismus befeuern. Denn indem man sich zu sehr an der Vielzahl der verschiedenen einzelnen Akteure aufhängt, gerät nicht selten das große Bild verloren.

Welche Rolle spielen abseits der sozialen Medien besondere Online-Subkulturen für die extreme Rechte?

An der Rolle der digitalen Subkulturen kann man nachvollziehen, wie unregulierte Räume heute zu Biotopen des Rechtsextremismus und gar Rechtsterrorismus werden können. Die jeweiligen Foren, wie etwa das Imageboard 4Chan, über die sich zur Zeit Rechtsterroristen sozialisieren, sind davon geprägt, dass hier jeder alles sagen darf und auch nichts zu krass ist. Hier stehen Manga-Figuren und Memes neben Hakenkreuzen und Gewaltfantasien. Rassismus, Frauenverachtung und Homophobie gehören hier zum normalen Umgang. Gewalt erhält da Unterhaltungscharakter.

Viele rechte Terroristen haben ihre Taten im Netz gestreamt oder im Zusammenhang mit ihren Taten Videos veröffentlicht. Was wurde damit bezweckt?

Es gab mindestens sieben solcher mediatisierter Anschläge in den vergangenen Jahren. Und die fanden durch die Übertragung vor einem globalen Publikum statt. Die Livestreams sind fester Bestandteil des Vorgehens dieser Täter. Sie lassen Menschen teilhaben. Es ist eine digitale Form der Vergemeinschaftung über Gewalt, die auch im klassischen Faschismus zentral ist. Die Möglichkeit, sich inspirieren zu lassen, soll die Schwelle zur Gewalt bei anderen senken und schafft über eigene »Highscore-Listen« neue Anreize, einem digitalen Publikum ein Spektakel zu liefern.

Maik Fielitz, Holger Marcks: »Digitaler Faschismus: Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus«. Duden Verlag; 18 Euro; 256 Seiten.

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