Blaublütige Zombieköpfe müssen rollen

Die Netflix-Serie »La Revolution« erzählt den französischen Epochenumbruch als durchgeknalltes Pop-Drama

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.

In der neuen Netflix-Serie »La Revolution«, einem wilden, frühneuzeitlichen Kostümdrama mit Fantasy-Elementen, haben die Adeligen im wahrsten Sinn des Wortes blaues Blut. Zumindest diejenigen, die mit einem geheimnisvollen Virus infiziert wurden, das aus ihnen eine Art Zombie macht.

Angesiedelt ist der reißerische französische Achtteiler zwei Jahre vor der Französischen Revolution von 1789. In einer Grafschaft verschwinden Menschen, manche werden später brutal verstümmelt aufgefunden. Eingesperrt und angeklagt wird ein Unschuldiger, aber hinter den bestialischen Morden steckt kein Geringerer als der Graf höchstselbst, der mit besagtem Virus infiziert ist und sich von Bauern und anderen Proletariern nährt. Währenddessen gärt es in der Grafschaft. Eine revolutionäre Bruderschaft kämpft für die Rechte der Armen und gegen die Privilegien des Adels. Mittendrin versucht der junge Arzt Joseph Guillotin (Amir El Kacem), der Krankheit auf die Spur zu kommen und ein Mittel zur Heilung der blaublütigen Zombies zu finden. Einen Arzt dieses Namens, der die wenige Jahre später zur Überwindung des Ancien Régimes so fleißig arbeitende Guillotine erfand, gab es tatsächlich; wobei die Serienfigur im Gegensatz zur historischen Vorlage aus der Unterschicht kommt und schließlich Mitglied der revolutionären Bruderschaft wird, zu der sich sogar noch die Tochter des Grafen gesellt.

»La Revolution« erzählt eine alternative Version der großen titelgebenden Französischen Revolution in Form eines durchgeknallten Pop-Dramas, dessen Bildästhetik mitunter an Comics und Computerspiele erinnert. Die Fiktionalisierung der großen Geschichte mit reichlich Fantastik wirkt stellenweise ziemlich konstruiert, etwa wenn nach Aufstand und Barrikadenkampf in der heruntergekommenen Altstadt weiße Bettlaken über die Verwundeten gelegt werden, ein Teil vom proletarischen Blut rot, der andere vom adeligen blau gefärbt wird und so die französischen Nationalfarben entstehen.

Es gibt auch eine Revolutionärin namens Marianne, die unerschrocken gegen die untoten Adelszombies kämpft und am Ende den Marsch nach Versailles anführt. Trotzdem ist diese mitunter sehr splattermäßige Geschichte über Aufstände und Revolten durchaus spannend und stimmungsvoll inszeniert. Außerdem gibt es auffällig viele starke Frauenfiguren in diesem Epos voll widerlicher Männer, egal ob es die Agentin des nach ewigem Leben trachtenden Königs ist, die revolutionäre Ärztin, die dem naiven Guillotin unter die Arme greift, oder die Tochter des Grafen, die schließlich geläutert auf alle Titel verzichtet und sich dem militanten Widerstand anschließt.

Die starken Frauenfiguren prägen ikonografisch verdichtet auch das gemalte Filmplakat der Serie, in der eine vermummte Frau zu sehen ist, die ausholt, um einen Molotowcocktail zu werfen.

Frankreich hat im vergangenen Jahrzehnt im Zuge von Gewerkschaftskämpfen, riesigen Black-Block-Demonstrationen und der Gelbwesten-Proteste, als diese für zahlreiche Bürger*innen zur routinierten Wochenendbeschäftigung wurden, viele Aufstände erlebt. Vor diesem Hintergrund kann eine radikal militante Geste wie auf dem Plakat sogar quotenträchtig wirken und der Kampf gegen politische und ökonomische Herrschaft zur massenpublikumstauglichen Abendunterhaltung werden. Dabei bietet die Serie »La Revolution« keinerlei substanzielle, geschweige denn differenzierte, Herrschaftskritik. Immer wieder schwingt auch ein geradezu unangenehmes Pathos mit. Zumindest wird dieses insofern ein wenig konterkariert, als die große, bedeutsame Nationalgeschichte unseres Nachbarlandes hier als popkultureller Trash inszeniert wird.

Am Ende der Serie gibt es den fast schon obligatorischen Cliffhanger. In den Schlussszenen marschieren die Proletarier auf Versailles und die Bastille zu - und noch lange nicht alle blaublütigen Köpfe mussten rollen. Denn die Revolution steht noch ganz am Anfang.

»La Revolution« auf Netflix

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal