Großbritannien schottet sich ab

Zur Abwehr von Flucht und Migration erhöht Großbritannien seine militärische Präsenz im Ärmelkanal

  • Christian Bunke, Manchester
  • Lesedauer: 3 Min.

In der vergangenen Woche sorgte das Schicksal einer kurdisch-iranischen Flüchtlingsfamilie in Großbritannien für Entsetzen. Am 27. Oktober hatten sich das junge Paar und seine drei Kinder von Frankreich aus auf den Weg nach Südengland gemacht. Das Schlauchboot mit etwa 30 Flüchtlingen an Bord kenterte, die ganze Familie kam ums Leben. Laut »Huffington Post« soll das Paar für die Überfahrt 20 000 Pfund an Schleuser gezahlt haben.

Die britische Regierung nutzte die Tragödie aus, um die von ihr forcierte Aufrüstung der Überwachung des Ärmelkanals zu rechtfertigen. Seit August sind hier Kriegsschiffe der britischen Marine sowie Späh- und Kampfdrohnen gegen Flüchtlinge im Einsatz. Unter anderem werden so genannte »Watchkeeper«-Drohnen verwendet, wie sie das britische Militär in Afghanistan zum Aufspüren gegnerischer Kampfverbände nutzt. Auch Aufklärungsflugzeuge der britischen Luftwaffe überfliegen inzwischen regelmäßig den Ärmelkanal.

Flüchtlinge werden vom britischen Staat als militärische Gefahr betrachtet und auch so behandelt. Am 9. August war von Innenministerin Priti Patel ein »Kommandant für die Bekämpfung klandestiner Bedrohungen« ernannt worden. Er soll die Zusammenarbeit mit den französischen Behörden koordinieren, um zu verhindern, dass sich Flüchtlingsboote auf den Weg nach Großbritannien machen. Dan O’Mahoney heißt der Mann, der auf Twitter bald Erfolgsmeldungen verkünden konnte. Die »Partnerschaft mit den Franzosen« habe Ergebnisse gebracht. 5000 Kanalüberquerungen habe man im Jahr 2020 bereits verhindert, schrieb er am 26. Oktober. »Allein letzte Woche haben wir 650 Personen gestoppt«, so O’Mahoney weiter. Laut Angaben des britischen Innenministeriums sind in diesem Jahr bislang 50 Personen verurteilt worden, weil sie Flüchtlingen beim »illegalen Eintritt in das Vereinigte Königreich« geholfen haben sollen. Ende November wurden wieder zwei Männer zu Haftstrafen von jeweils 24 Monaten verurteilt.

Offensichtliches Ziel ist es, Großbritannien zur unerreichbaren Festung zu machen. Innenministerin Patel sagte nach dem Unglück der Flüchtlingsfamilie im Ärmelkanal, sie sei »wirklich traurig über den tragischen Verlust von Menschenleben«. »Diese Tragödie hebt die Gefahren, die mit einer Kanalüberquerung einhergehen hervor, und ich werde alles tun, um rücksichtslose Kriminelle zu stoppen, die verletzbare Personen ausbeuten möchten.«

Mitte Oktober hatte sich Patel mit Griechenlands Asylminister Notis Mitarakis zum Austausch über Erfahrungen bei der Flüchtlingsbekämpfung im Mittelmeer getroffen. Die Prioritäten der Politik sind im Ärmelkanal tatsächlich die gleichen. Am Dienstag twitterte Dan O’Mahoney: »Wir werden jedes der Regierung zur Verfügung stehende Mittel ausschöpfen, um Kriminelle aufzuspüren, die für Profite Leben riskieren. Wir werden die Nutzbarkeit dieser Route beenden.«

Kritik an dieser Strategie kommt von Menschenrechtsorganisationen und den Vereinten Nationen. Deren Flüchtlingsorganisation UNHCR äußerte sich im August »sehr besorgt« darüber, dass Kriegsschiffe gegen »kleine Schlauchboote« eingesetzt werden. Dadurch könne es zu »gefährlichen und tödlichen Zwischenfällen« kommen, warnte die UNHCR. Das Ende Oktober gesunkene Flüchtlingsboot nahm die britische Menschenrechtsorganisation »Refugee Action« zum Anlass, die Öffnung sicherer Fluchtrouten nach Großbritannien zu fordern. Solche seien für Menschen, die vor Krieg und Verfolgung aus ihren Ländern flüchten müssen, eine unabdingbare Notwendigkeit, sagte ein Sprecher der Organisation der linken Tageszeitung »Morning Star«.

Solche Routen wird es mit Innenministerin Patel nicht geben. Sie wurde von Premierminister Boris Johnson eingesetzt, um ein zentrales Wahlversprechen zu erfüllen. Dass der Brexit die Rückgewinnung der Kontrolle über die Außengrenzen Großbritanniens bedeute, war eine oft gehörte Parole der britischen Konservativen. »Wir werden alle nach Hause schicken, die kein Recht dazu haben, hier zu sein«, erklärte Patel jüngst.

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