Hautfarbe und Haltung

Warum auch Latinos und Afroamerikaner für Trump gestimmt haben.

  • Johannes Simon
  • Lesedauer: 5 Min.

Viele Amerikaner hatten sich wohl erhofft, Trump und den Politikstil, für den er steht, durch eine eindeutige Niederlage von der politischen Bühne fegen zu können. Doch selbst wenn Trump die Wahl verliert: Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Ein Grund für den knappen Wahlausgang waren ausgerechnet Trumps überraschend starke Ergebnisse bei nicht-weißen Minderheiten. Laut CNN-Umfragen haben ein Drittel der Latinos und 18 Prozent der Afroamerikaner für ihn gestimmt. Sollten sich die ersten Umfragen bestätigen, steht damit fest: Nach vier Jahren im Amt hat sich Trumps Rückhalt bei nicht-weißen Wählern deutlich vergrößert. Zwar lag Biden bei Latinos und besonders bei Schwarzen immer noch weit vor Trump. Doch seit 60 Jahren hat kein republikanischer Präsidentschaftskandidat derart gute Ergebnisse bei nicht-weißen Wählerinnen und Wählern erzielt wie Trump.

Für Amerikas Liberale sind das düstere Nachrichten. In den vergangenen Jahren hatte sich die Ansicht durchgesetzt, dass die demografische Entwicklung in den USA langfristig die Demokraten stärkt. Die USA werden immer diverser, schon in wenigen Jahrzehnten könnten Weiße keine Mehrheit mehr darstellen. Weil die Republikaner hauptsächlich von Weißen gewählt werden - Umfragen zufolge haben diesmal rund 57 Prozent für Trump gestimmt -, verheiße das nichts Gutes für ihre langfristigen Aussichten. Doch die Präsidentschaftswahl 2020 zeigt, dass die Republikaner womöglich eine Zukunft jenseits ihrer weißen Kernwählerschaft haben. Das hat weitreichende Implikationen für die US-Politik und könnte einige identitätspolitische Gewissheiten der Liberalen durcheinanderwirbeln.

Afroamerikaner gewürdigt

Trump macht schon lange Minderheiten Avancen. In seiner letzten »Rede zur Lage der Nation« würdigte er eine Reihe von afroamerikanischen Bürgern. Auf dem jüngsten Parteitag der Republikaner erhielten People of Color zentrale Redeplätze. Trump griff auch das für Afroamerikaner wichtige Anliegen der Millionen Gefängnisinsassen auf. 2018 unterzeichnete er mit viel PR-Aufwand eine bescheidene Reform des Strafrechts, während des Parteitags begnadigte er den Afroamerikaner Jon Ponder, der wegen Bankraubs im Gefängnis saß und sich nun für die Integration ehemaliger Häftlinge einsetzt.

Im Wahlkampf warf er seinem Kontrahenten Joe Biden vor, für die drakonische Strafrechtsreform von 1994 verantwortlich zu sein, die Afroamerikaner besonders hart getroffen hatte. Dieser Vorwurf ist zwar heuchlerisch, angesichts der Positionen, die Trump und die Republikaner damals selbst vertraten, doch im Kern trifft er zu: Die Strafrechtsreform wurde damals von Bill Clinton unterzeichnet und Joe Biden hatte sich für sie eingesetzt. Sind Trump und seine Anhänger also gar nicht so rassistisch wie weitläufig angenommen? Diese Frage muss differenziert beantwortet werden. Trump betrat die politische Bühne als Vertreter der Birther-Theorie, derzufolge sein Vorgänger Barack Obama nicht in den USA geboren sei und deshalb nicht Präsident sein dürfte; dahinter standen rassistische Haltungen der weißen Republikaner. Trumps zentrales politische Anliegen war stets die nativistische Ablehnung der Einwanderung. Und im zurückliegenden Wahlkampf porträtierte er die anti-rassistischen Massenproteste des Sommers als radikalen Angriff auf die amerikanische »Identität«.

Nun zeigt sich aber möglicherweise, dass Nationalismus, auch wenn er migrantenfeindlich ist, »race« im engeren Sinne transzendieren kann. Besonders Latinos sehen sich womöglich primär als Amerikaner, und neigen nicht automatisch zur Solidarität mit neuen Einwandern aus Zentralamerika.

Zumindest aber muss die besonders bei Liberalen verbreitete Annahme in Frage gestellt werden, dass nicht-weiße Minderheiten automatisch im Lager der Progressiven zuhause sind. Schon Ronald Reagan sagte einmal: Latinos »sind Konservative. Sie wissen es nur noch nicht.« Tatsächlich sind viele Latinos durchaus konservativ, etwa bezüglich des Werts der Familie oder der Religion. Ähnliches gilt für Afroamerikaner.

Umfragen zeigen auch, dass Latinos illegale Einwanderung noch kritischer sehen als Weiße, und dass Afroamerikaner sich insgesamt weniger Einwanderung wünschen. Der Soziologe Musa al-Gharbi schrieb deshalb kurz vor der Wahl, dass Trumps Rhetorik um Themen wie Einwanderung und Law and Order »keineswegs Minderheiten von ihm entfremdete,« sondern vielmehr viele People of Color angesprochen habe - »während sich gleichzeitig viele Weiße deshalb von ihm distanzierten.«

Schwächen der Demokraten

Es gibt bei einigen Liberalen die Tendenz, bei nicht-weißen Menschen von der Hauptfarbe auf die politische Haltung zu schließen. Dabei fällt oft unter den Tisch, dass natürlich auch nicht-weiße Menschen ökonomische Interessen haben, die von den Demokraten kaum noch offensiv angesprochen werden. Laut Umfragen war die Wirtschaft für Trumps Wähler das mit Abstand wichtigste Thema. Womöglich hat Trumps wirtschaftspolitischer Populismus, der vor allem einfache Jobs für Industriearbeiter versprach, auch bei einigen nicht-weißen Wählern verfangen. Im Wahlkampf hatte Trump immer wieder damit geprahlt, dass er, bevor Corona die Wirtschaft einbrechen ließ, die Arbeitslosenquote der Afroamerikanern auf einen historischen Tiefpunkt gesenkt hatte. Zwar ist die wirtschaftliche Lage der meisten Afroamerikaner immer noch desolat - doch auch während Obamas Amtszeit hatte sich kaum etwas zum Besseren geändert. Und nach wie vor machen die Demokraten einen großen Bogen um eigentlich populäre Forderungen wie eine staatliche Krankenversicherung, mit denen sie womöglich größere Teile der Arbeiterklasse ansprechen könnten.

Zwar wählt immer noch knapp die Hälfte der Menschen mit geringerem Einkommen die Demokraten. Aber ein anderer Trend ist eindeutig: Die Republikaner werden immer mehr zur Partei der Menschen ohne Hochschulabschluss, während die Demokraten vor allem bei Akademikerinnen und Akademikern stark sind.

Trump hat zwar de facto neoliberal regiert, seine wichtigste Reform waren Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen. Aber seit seinem Überraschungserfolg 2016 spielen immer mehr Konservative mit der Idee eines »ökonomischen Nationalismus«, wie es Stephen Bannon damals nannte, um die Arbeiterklasse anzusprechen. Einer der wichtigsten Vertreter dieser Strömung ist der Fox-News-Star Tucker Carlson. Nach der Wahl sprach er von einer »Neuausrichtung« der Wählerkoalitionen: »Nicht alles dreht sich um race, für die meisten Menschen sind Wirtschaft und Kultur am wichtigsten.« Die Republikanische Partei werde »immer mehr zur Partei der Arbeitnehmer.« Dieser rechte Sozialpopulismus kann leicht als Mogelpackung entlarvt werden - doch das bedeutet nicht, dass er in Zukunft keinen Erfolg haben könnte, vor allem wenn die Demokraten dem nichts Glaubhaftes entgegensetzen können.

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