Wie vom Blitz getroffen

Die Bundespolizei setzt seit Montag probeweise sogenannte Taser als Waffe ein

An drei Orten setzt die Bundespolizei seit Montag probeweise sogenannte Taser ein: in Berlin, Frankfurt am Main und Kaiserslautern. 30 dieser »Distanz-Elektroimpulsgeräte« (DEIG) genannten Waffen sollen ein Jahr lang in Situationen genutzt werden, »in denen andere Hilfsmittel der körperlichen Gewalt oder Waffen im Hinblick auf eine sichere oder angemessene Lagebewältigung nicht geeignet oder zulässig sind«, wie es in einer Mitteilung des Bundespolizeipräsidiums heißt. Fragen von »nd« zu Details des Projekts konnte die Pressestelle der Behörde am Montag bis zum Redaktionsschluss nicht beantworten. Fest steht, dass in Berlin der Ostbahnhof und in Frankfurt am Main der Hauptbahnhof die Einsatzorte sind. Wenn sich die Taser bewähren, könnten sie anschließend bundesweit zum Einsatz kommen, hieß es zu dem Testlauf bereits im August aus dem Bundesinnenministerium.

Laut Bundespolizeipräsidium dient das Projekt dazu, »Angreifer« ohne »das Risiko einer tödlichen Verletzung wie bei der Schusswaffe« besser »auf Distanz halten« zu können. Es sollen also Todesfälle durch Schusswaffeneinsatz vermieden werden. Bei den Tasern handelt es sich um Elektroschockpistolen. Aus einer Distanz von zwei bis fünf Metern wird damit ein mit Draht verbundener Pfeil abgeschossen, der beim Opfer etwa einen Zentimeter tief in die Haut eindringt und einen »schwachen Stromimpuls« abgibt.

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Der Elektroschock verursacht für mehrere Sekunden eine Lähmung des ganzen Körpers. Für Betroffene ist das nicht nur extrem schmerzhaft, sondern auch lebensgefährlich. Darauf weisen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International (AI) seit Jahren hin. So hat die US-amerikanische Sektion von AI zwischen 2001 und 2016 mindestens 700 Tote durch den Einsatz von Tasern gezählt. Nach einer Recherche der Nachrichtenagentur Reuters starben in den Vereinigten Staaten in den vergangenen 20 Jahren mehr als 1000 Menschen nach Taser-Beschuss durch die Polizei.

In mindestens 153 Fällen war der Taser die alleinige Todesursache oder trug nachweislich zum Tod bei, wie Obduktionsberichte und Prozessakten belegen. In vielen Fällen konnte die Todesursache jedoch nicht eindeutig geklärt werden. Laut Reuters liegt das auch daran, dass Taser-Hersteller Axon gezielt Einfluss auf medizinische Gutachten nimmt.

Besonders groß ist die Gefahr für Menschen mit Herzfehlern oder Herzschrittmachern. Der Kriminologe Thomas Feltes von der Uni Bochum erklärte zudem gegenüber dem Onlinemagazin »Telepolis«: »Wer von einem Taser getroffen wird, fällt um wie ein Baum.« Es sei somit unvorhersehbar, wo eine Person »mit dem Kopf aufschlägt«.

Dennoch ist der Einsatz auch in Deutschland in immer mehr Bundesländern erlaubt oder geplant. So will die Koalition von CDU, FDP und Grünen in Schleswig-Holstein im Zuge der geplanten Verschärfung des dortigen Polizeigesetzes den Taser-Gebrauch auch im Streifendienst erlauben. Begründet wird das mit der angeblich auch im Norden wachsenden terroristischen Gefahr. In Berlin, Hessen und Rheinland-Pfalz, also in den Ländern, in denen das Taser-Projekt der Bundespolizei läuft, gestatten die geltenden Polizeigesetze bereits den Taser-Einsatz für die Landespolizeien. Der Testlauf bei der Bundespolizei wurde bereits Anfang August beschlossen. Laut der dafür erlassenen Verwaltungsvorschrift des Bundesinnenministeriums sollen die Beamten Schüsse auf Herzkranke und Schwangere ebenso »vermeiden« wie das Zielen auf Kopf, Hals, Nacken und Genitalien. Darüber hinaus darf der Pfeil nur nach vorheriger Warnung abgeschossen werden. Polizeiwissenschaftler Feltes gab mit Blick auf Herzkranke zu bedenken, dass selbst Kardiologen diese »nicht am äußeren Erscheinungsbild« erkennen. Wohl auch deshalb sollen die Beamten auch in der Bedienung von Defibrillatoren im Falle eines Herzstillstands eines »Angreifers« geschult werden. Ein Defibrillator muss auf den Bahnhöfen und in Streifenfahrzeugen vorhanden sein.

Bisher hatte die Bundespolizei nur das Sonderkommando GSG 9 mit Tasern ausgerüstet, wo sie nach einem »Spiegel«-Bericht vom August aber nie zum Einsatz kamen. Während sie bei der GSG 9 aber noch als Waffen eingestuft waren, werden sie im jetzigen Bahnhofstest nur noch als »Hilfsmittel bei unmittelbarem Zwang« bezeichnet. Dies, obwohl es auch in Deutschland nachweislich mehrere Todesfälle nach einem DEIG-Einsatz gegeben hat.

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