Kaum Strafen bei Polizisten mit Rechtsdrall

Die meisten Ermittlungsverfahren wegen rassistischer Vorkommnisse bei der Polizei werden eingestellt

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Berliner Polizeischüler hält seinem Mitschüler ein Feuerzeug unter die Nase. Er lässt Gas ausströmen und kommentiert das »fremdenfeindlich und antisemitisch«. Ermittelt wurde in diesem am 19. Februar 2020 bei der Polizei aktenkundig gewordenen Fall wegen Beleidigung. Das Verfahren wurde eingestellt, da es keinen hinreichenden Tatverdacht gibt. Am gleichen Tag aktenkundig geworden ist eine fremdenfeindliche Beleidigung unter Polizeischülern im Umkleideraum. Das Verfahren ist eingestellt worden, weil es keinen hinreichenden Hinweis gab, »dass die Äußerungen in Richtung des Geschädigten getätigt wurden«.

Zwei von 20 offiziell erfassten rechtsextremen und rassistischen Vorfällen bei der Berliner Polizei zwischen 20. August 2019 und 20. Oktober 2020, bei denen Strafverfahren eingeleitet wurden. Sie werden von der Innenverwaltung der politisch motivierten Kriminalität - rechts - zugeordnet, wie diese in der noch nicht veröffentlichten Antwort auf eine Schriftliche Anfrage schreibt. Bei sieben Verfahren dauern die Ermittlungen noch an, zwei weitere werden von Staatsanwaltschaften in Brandenburg und Hessen geführt, dazu keine Auskünfte.

Gefragt hatten Linke-Fraktionschefin Anne Helm und Innenexperte Niklas Schrader. Mit den gewünschten Zahlen ab 2016 konnte die Innenverwaltung nicht dienen. »Eine strukturierte Erfassung von durch Polizeibedienstete begangene Straftaten mit Bezügen zu Phänomenbereichen der politisch motivierten Kriminalität (PMK) - rechts - erfolgt erst seit dem 20. August 2019«, schreibt sie.

Zu Verurteilungen ist es demnach bisher dreimal gekommen. Ein Polizeistudent, der sich im Unterricht mehrfach homo- und transfeindlich äußerte, wurde in einem von drei Fällen zu einer Zahlung an eine gemeinnützige Einrichtung verdonnert. Hier hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Ein rassistischer Kommentar in einer Chatgruppe hatte einen Strafbefehl zur Folge, der Angeklagte ging jedoch in Berufung. Juristisch abgeschlossen ist ein weiterer Fall aus einer Chatgruppe. Ein Polizist hatte dort eine Parole der Hitlerjugend veröffentlicht. Die Geldstrafe akzeptierte er.

Die gesamte Antwort der Innenverwaltung ist für Schrader unbefriedigend. »Da wird ausgewichen«, sagt er. So in der Frage, welche Disziplinarmaßnahmen eingeleitet worden sind. »Zum Beispiel der Vorfall mit dem Feuerzeug, da gibt es doch eindeutige Zweifel an der Verfassungstreue der Person. Wie geht die Polizei disziplinarrechtlich damit um?«, so Schrader.

Hier erfährt man von der Innenverwaltung nur allgemein, dass »Disziplinarverfahren beziehungsweise arbeitsrechtliche Maßnahmen eingeleitet worden« sind. In weiteren sechs Fällen, bei denen keine strafrechtlichen Ermittlungen eingeleitet worden sind, laufen Disziplinarverfahren. Ermittelt werde »wegen Verdachts der Anscheinserweckung rechter Gesinnung, diskriminierender Äußerungen, des Reichsbürgerbezugs und der Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten«.

»Besonders verstört mich, dass zwischen den Kategorien der politisch motivierten Kriminalität in der Erfassung überhaupt nicht unterschieden wird«, sagt Schrader. Er hofft auf Verbesserungen, wenn endlich der unabhängige Polizeibeauftragte seine Arbeit aufnimmt. Das entsprechende Gesetz soll in der Abgeordnetenhaussitzung am Donnerstag kommender Woche verabschiedet werden. »Dann geht es um die Verhandlungen in der Koalition zur konkreten Person des Polizeibeauftragten«, so Schrader. »Über die Kriterien sind wir uns relativ einig. Es darf keine Person mit Polizeivergangenheit sein.«

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