Daimlerwerk im Tesla-Fieber

2500 Beschäftigte, die Verbrennungsmotoren und Getriebe herstellen, fürchten das Aus für ihren Betrieb

Protest der IG Metall vor den Toren des Daimler-Werkes in Mariendorf gegen die geplante Schließung des Motoren -und Getriebewerkes und den Weggang des Werksleiters zu Tesla.
Protest der IG Metall vor den Toren des Daimler-Werkes in Mariendorf gegen die geplante Schließung des Motoren -und Getriebewerkes und den Weggang des Werksleiters zu Tesla.

Kurz vor 13 Uhr kommen am Donnerstag schätzungsweise 300 Beschäftigte des Mercedes-Benz-Werks in Berlin-Marienfelde aus den Toren des Betriebs zu beiden Seiten der Daimlerstraße. Auf einem Transparent steht: »Unser Werk, unsere Arbeit, unsere Familien. Tradition bewahren, Zukunft machen.« Die Gewerkschaft IG Metall verteilt ihre roten Fahnen. Es wird laut getrötet, ein Gewerkschafter schlägt auf eine Pauke und der Hund der Tempelhof-Schöneberger Bezirksverordneten Katharina Marg (Linke) bellt dazu. Marg ist gekommen, um ihre Solidarität zu demonstrieren, genauso wie Harald Gindra, der Wirtschaftsexperte der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Ein Song der Berliner Hip-Hop-Combo K.I.Z. wird abgespielt: »Hurra, diese Welt geht unter«.

Für die 2500 Beschäftigten ist es kein Grund zum Jubeln, dass die Zeit der Verbrennungsmotoren, die hier gebaut werden, langsam abläuft. Sie würden alternativ gern Teile für Elektroautos fertigen, um eine berufliche Perspektive zu haben. Wenn der Standort nicht auf Elektromobilität umschwenkt, droht eine Schließung des Werks auf Raten, da der Konzern nicht mehr in die Produktion von Verbrennungsmotoren investieren will. Das weiß auch der Betriebsratsvorsitzende Michael Rahmer nur zu genau. »Wir sind gesprächsbereit«, versichert der Mann, der seit 44 Jahren in dem Betrieb tätig ist. »Aber es gibt nichts, worüber man reden könnte. Es liegt kein Konzept vor.« Rahmer formuliert es bei der Kundgebung drastisch: »Wir sind am Arsch!« Dass die technische Berufsausbildung auslaufen soll, sei ein schlechtes Zeichen.

Ein schlechtes Zeichen ist auch, dass der Werksleiter zum US-Konzern Tesla wechselt, der 50 Kilometer entfernt im brandenburgischen Grünheide eine Fabrik für seine modernen Elektroautos errichtet, die im Sommer 2021 eröffnen soll. Ahnt er etwa, dass in Marienfelde bald Schluss ist? Das fragen sich die Zurückgelassenen. Betriebsratschef Rahmer erfuhr nach eigener Aussage am Montagabend per SMS, dass der Boss geht und bereits am Dienstag seinen Betriebsausweis abgibt. Rahmer erinnert das an den Mann, der mit seiner Freundin Schluss macht und nicht den Mut hat, ihr das ins Gesicht zu sagen. Dabei habe der alte Chef doch versprochen: »Wir kämpfen gemeinsam für den Standort.« Viele Kollegen fühlen sich nun im Stich gelassen.

Eigentlich ist diese Personalie nur eine Randgeschichte, wenn auch eine bezeichnende. Mit dem Schicksal des deutschen Traditionsunternehmens Mercedes Benz und der Zukunft des Marienfelder Betriebs hat Tesla nur indirekt zu tun. Jan Otto, Bevollmächtigter der IG Metall, betont ausdrücklich, dass er nichts dagegen habe, wenn Tesla in Grünheide 8000 Arbeitsplätze schafft. Das könne für Berlin und Brandenburg nur gut sein. Nicht geholfen wäre der Region allerdings, wenn dafür genauso viele Jobs anderswo wegfallen - zum Beispiel hier in Marienfelde. Es gebe leider Pläne, perspektivisch nur 500 bis 700 Jobs an diesem Daimler-Standort übrig zu lassen. Dagegen kämpft die IG Metall.

Schließlich zahlt Mercedes Tariflöhne, für Berliner Verhältnisse »Top-Gehälter«, wie Otto sagt. Bei Tesla weiß man nicht, wie viel Geld die Mitarbeiter in Grünheide bekommen werden. Otto hat in seiner Zeit bei der IG Metall noch nie erlebt, dass ein neues Unternehmen freiwillig Tarif zahlt. Da brauchte es immer den Druck der gewerkschaftlich organisierten Belegschaft. Otto nennt es eine Lüge, dass für die Produktion von Elektroautos weniger Mitarbeiter benötigt werden als für Autos mit Verbrennungsmotoren.

Dass der Daimler-Konzern trotz des angekündigten harten Sparkurses nicht plane, sein Berliner Motoren- und Antriebswerk in Marienfelde zu schließen, hatte Vorstandsmitglied Markus Schäfer erst Ende September vor Journalisten erklärt. Der Kommunikationschef der Daimler AG, Jörg Howe, bekräftigte am Mittwochabend gegenüber »nd«, dass der Standort erhalten werden solle. In welcher Konfiguration sei allerdings derzeit Gegenstand intensiver Verhandlungen. In einer schriftlichen Stellungnahme teilte der Konzern mit: »Mercedes Benz ist fest entschlossen, seine Antriebssparte konsequent zu transformieren und auf ›Electric First‹ sowie Digitalisierung auszurichten. Das Unternehmen geht damit einen weiteren wichtigen Schritt im Rahmen der Ambition 2039 - seinen Weg hin zur CO2-Neutralität.« Damit schaffe man interessante Perspektiven für die Beschäftigten, auch am Standort Marienfelde.

Zu den Gerüchten um einen angeblichen Wechsel des bisherigen Werksleiters zu Tesla wollte sich Howe nicht äußern. »Wir kommentieren Personalien anderer Unternehmen nicht«, heißt es. Bestätigt wird, dass der 57-jährige Rene Reif zum Jahresende vorzeitig ausscheide. »Auf eigenen Wunsch« trete er in den Vorruhestand. Indessen übernahm der 48-jährige Clemenz Dobrawa, bisher Geschäftsführer des Leitwerks für den globalen Batterieproduktionsverbund der Mercedes-Benz AG in Kamenz, zu Monatsbeginn die Standortleitung der Werke Berlin und Hamburg. Er verfüge über Know-how beim Übergang zur Elektromobilität, heißt es, und werde die Werke »auf ein zukunftsfähiges Fundament stellen«.

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