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Warum verdienen sie so wenig?

In der Pandemie sind beinahe unbemerkt Löhne in Behindertenwerkstätten gekürzt worden. Schon vorher ließ sich von den Geld kaum leben.

  • Fabian Hillebrand
  • Lesedauer: 13 Min.

Von wie viel Geld kann ein Mensch leben? Die Beschäftigten in einer kleinen sächsischen Werkstatt bekommen seit Anfang September 2020 nur noch 141 Euro im Monat. Dieses Geld ist ihr Lohn für fünf Tage Arbeit in der Woche. Als Grund für die Kürzungen nennt die Diakonie, der Träger der Behindertenwerkstatt in der sächsischen Kleinstadt, die Corona-Pandemie - es sei in den vergangenen Monaten eben kaum Geld hereingekommen.

Auch der Lohn von Seyda Pauer ist gekürzt worden. Für weniger als acht Euro am Tag zeichnete die kleine Frau mit den schwarzen Haaren Postkarten. Am liebsten malte sie Wale. Unter die blauen Säugetiere druckt ein anderer Mitarbeiter in orangefarbener Schrift: »Herzlich willkommen im Leben«.

Pauer hat Osteogenesis imperfecta, umgangssprachlich: Glasknochen. Mehrfach ist sie in den letzten Monaten in eine Klinik eingewiesen worden. Wegen einer Verformung der Wirbelsäule kann sie schlecht atmen. Anfang des Jahres hatte sie sich vorgenommen, die Dinge zu verbessern. Mehr Sport, gesunde Ernährung. »Bringt bei Ihnen nicht mehr viel«, haben ihr die Ärzte gesagt. Aber auf die hört Pauer schon lange nicht mehr. Doch wie sich gesund ernähren, wenn das Geld so knapp wird? Von den acht Euro muss sie drei Mahlzeiten am Tag bezahlen. Zum Abendessen gibt es meist Nudeln - wahlweise mit Ketchup oder mit Butter. Einen Euro hat sie nach ihrer Rechnung dafür zu Verfügung. Warum verdient Seyda Pauer so wenig?

Der Lohn der Beschäftigten in Behinderten-Werkstätten setzt sich in Deutschland aus mehreren Teilen zusammen: Ein sogenanntes Arbeitsförderungsgeld von 52 Euro wird aus Töpfen des Landes gezahlt. Dazu kommt ein Grundlohn von 89 Euro und ein individuell festgelegter Steigerungsbetrag. Diese beiden Posten müssen die Werkstätten selbst erwirtschaften. Als die Corona-Pandemie Deutschland erreichte, schlossen die Betreiber ihre Werkstätten für Menschen mit Behinderung. In der Folge konnten viele Aufträge nicht mehr erfüllt werden. Der Steigerungslohn entfiel.

Seyda Pauer ist nicht die einzige, die in der Folge auf einen Schlag mehr als 50 Prozent weniger Lohn bekommt. Die Werkstätten öffneten zwar nach dem ersten Teil-Lockdown vielerorts wieder. Doch nicht immer konnten die Löhne weiter voll gezahlt werden. Eine Umfrage der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten, die »nd« exklusiv vorab vorliegt, ergibt folgendes Bild: 19 Prozent der Werkstätten, die an der Umfrage teil nahmen, gaben an, Löhne gekürzt zu haben. Weitere 18 Prozent gaben an, dass Kürzungen absehbar sind. Insgesamt hat sich in der Umfrage gezeigt, dass die Auswirkungen der Krise verzögert in den Werkstätten ankommen. Das Auftragsvolumen ist bei 86 Prozent der Umfrageteilnehmer zurückgegangen. Im Mittel ist dabei das Volumen um 25 Prozent zurückgegangen. Die damit verbundenen Umsatzeinbußen werden erst im kommenden Jahr ihre volle Wirkung entfalten.

Dass Unternehmen mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen haben, ist kein exklusives Problem der Behindertenwerkstätten. Da sich die Beschäftigten hier aber nur in einem »arbeitnehmerähnlichen« Verhältnis befinden, können sie kein Kurzarbeitergeld beantragen. Ihre Löhne waren immer schon schlecht - im Durchschnitt 200 Euro verdienten die Menschen vor der Pandemie. Inzwischen dürfte es meist deutlich weniger sein. Hat die Politik die Menschen in den Behinderteneinrichtungen vergessen?

Nicht ganz. Im Juli beschloss der Bundesrat finanzielle Hilfen. Doch anstatt neue Gelder zu bewilligen, werden vorhandene umverteilt. Die Werkstätten bekommen den Zuschuss zur Sicherung der Entgelte aus dem Ausgleichsfonds, in den Unternehmen einzahlen, in denen keine oder prozentual zu wenige Menschen mit Behinderungen arbeiten. Der Fonds soll eigentlich dazu dienen, den ersten Arbeitsmarkt behindertengerechter zu machen, beispielsweise durch die Förderung von Umbaumaßnahmen. Doch in der Krise wird an der Inklusion gespart.

70 Millionen Euro sind so bereitgestellt worden. Sie sollen ausschließlich zur Sicherung der Entgelte verwendet werden. Warum wird nun trotzdem genau dort gekürzt?

In der Zwischenwelt

Seyda Pauer sitzt auf einem kleinen Balkon ihrer sächsischen Kleinstadt, unter ihr fließt eine Menschentraube dahin. Im März war die Straße hier menschenleer. »Es war so still.« Genauso leer und still wie in der Werkstatt, in der Pauer Postkarten gestaltete. Nun, im November, ist wieder Teil-Lockdown. Doch die Straße ist voll, und auch in ihrer Werkstatt sind die meisten an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt. Nur Pauer sitzt noch auf ihrem Balkon. Doch ihr Arbeitgeber will, dass sie zurückkommt.

Die Werkstätten sind in einer besonderen Situation. Sie haben zwei gesetzliche Aufträge, die sich oft widersprechen. Einerseits sollen Behindertenwerkstätten Zwischenwelten sein. Menschen sollen dort beruflich rehabilitiert und in den allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt werden. Andererseits sind die Werkstätten dazu verpflichtet, wirtschaftlich zu arbeiten, ihre eigenen Profite zu sichern. Dabei entsteht ein Zielkonflikt: Wenn Werkstätten ihre leistungsfähigen Beschäftigten gehen lassen, gefährdet das die Wirtschaftlichkeit.

Die Werkstätten sind gesetzlich dazu verpflichtet, für Notsituationen Rücklagen aufzubauen, doch diese sind nach neun Monaten Corona vielerorts aufgebraucht. Die bereitgestellten Hilfen werden auch nicht von allen Werkstätten in Anspruch genommen. Denn dafür müssten sie ihre Finanzen transparent machen. Doch davor scheuen sich viele, erzählt ein Forscher, der seit Jahren versucht, Licht ins Dunkel der Ökonomie der Behindertenwerkstätten zu bringen. Vielleicht, weil die Diskrepanz der Bezahlung zwischen Geschäftsführer und Werkstattangestelltem kaum zu erklären wäre. Lange würden die Hilfen der Bundesregierung aber sowieso nicht reichen - nur einmalig 230 Euro pro Mitarbeiter kommen aus dem Ausgleichfonds. Wenn der Staat nicht zusätzliche Gelder bereitstellt, heißt der einzige Weg aus diesem Dilemma: zurück an die Arbeit.

Während Pauer von ihrem Balkon schaut, der Himmel hat sich Lila gefärbt und es ist kalt geworden, erzählt sie vom Mariannengraben. Mit 17 Jahren zog sie sich einen grippalen Infekt zu. Kurz vor Weihnachten und wahrscheinlich im Schulbus. Aber wer weiß das schon genau, »damals gab es noch keine Kontaktnachverfolgung«, scherzt sie. Nach einigen Tagen beginnen ihre Lungen zu brennen. Das Schlimmste ist, dass sie nicht abhusten kann. Das liegt an der Wirbelsäule, die auf die Lungen drückt, die bei Pauer sowieso schon kleiner als bei den meisten Menschen sind. Die Funktion des Hustens besteht darin, die Atemwege von Substanzen zu reinigen, die diese verlegen oder verengen könnten. Pauer kann das nicht. Sie bekommt kaum mehr Luft, muss schließlich ins Krankenhaus. Sie erinnert sich, wie sie versucht, mit jedem Atemzug so viel Luft wie möglich einzusaugen. Die Gelegenheiten zum Luft holen werden immer kleiner. Dann wird es dunkel. »So dunkel wie am Boden des Mariannengrabens«, erzählt Pauer. Sie spricht ganz ruhig, mit gelassener Stimme, sehr bedacht. Lieber macht sie eine Pause oder sagt erst mal gar nichts als etwas Falsches oder falsch Ausgesprochenes. Bedächtig erzählt sie vom Aufwachen im Krankenhaus, von den Tränen ihres Bruders, der Erleichterung ihrer Eltern und dem ersten Schluck Tee. Das erste Mal, dass sich die Lunge nicht anfühlt, als würde sie brennen.

Als die Coronakrise im März kam, wollte Pauer zuerst weiter in die Werkstatt. Da durfte sie nicht - zu gefährlich. Nun will sie nicht mehr zurück zu dem Arbeitsplatz, der doch während des Beginns der Coronakrise noch als lebensgefährlich für sie galt. Sie war noch nicht mal mehr am kleinen Baggersee, der weniger als einen Kilometer von ihrer Wohnung entfernt liegt.

Einer von Hundert

Die Geschichte von Pauer zeigt beispielhaft, welche Schwachstellen das System Behindertenwerkstatt hat. Weil sie wirtschaftlich sein sollen, arbeiten sie oft im Akkord, stellen hohe Ansprüche an ihre Mitarbeitenden und bedienen Fertigungsaufträge großer Unternehmen. Sie werben mit ihrer Zuverlässigkeit. Gleichzeitig sollen sie als Schutzorte für Menschen mit Behinderung dienen. Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin im Bundestag, erzählt, dass es vielen behinderten Menschen momentan wie Pauer geht. Während die einen Freudensprünge machen, weil das Herumsitzen ein Ende hat, sind andere verunsichert, ob sie zurück zur Arbeit gehen sollen.

Während die Grünenpolitikerin das erzählt, knarzt und ruckelt ihre Verbindung im Videochatdienst Zoom immer wieder. »Mensch, du musst dir endlich mal vernünftiges Internet legen lassen«, witzelt ihr Mitarbeiter Lukas Krämer, der sich ebenfalls im Videochat eingewählt hat.

Krämer ist einer von Hundert. Nur ein Prozent der Menschen schaffen es aus den Werkstätten auf den ersten Arbeitsmarkt. Krämer hat bis 2018 in einer Werkstatt gearbeitet, dort Wasserhähne montiert. Das langweilte ihn. Er findet schließlich einen Job im Altenheim. Aber nur über die Vermittlung der Werkstätten. Außenarbeitsplatz heißt das, wenn Beschäftigte dauerhaft außerhalb der Werkstatt arbeiten gehen, aber weiter Mitglied derselben bleiben. Skurrile Blüten treibt das, wenn der gleiche Träger die Behindertenwerkstätten und die Altenheime leitet.

Lukas Krämer arbeitete 35 Stunden die Woche für zehn Euro am Tag. Damit war er einer der Besserverdiener. Wer wie viel Lohnsteigerungsbetrag bekommt, wird beim Einstieg in die Werkstätten bestimmt. »Kannst du Sicherheitsschuhe tragen?« »Kannst du alleine essen?« Solche Fragen entscheiden über die Höhe des Gehalts, das zusätzlich zum Grundlohn, den die Länder übernehmen, von den Werkstätten bezahlt wird. »Man bekommt sehr wenig Geld für sehr harte Arbeit«, erzählt Lukas Krämer.

Das Entgelt sei nicht besonders hoch, meint auch Martin Berg, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten, dem Zusammenschluss der Trägervereine, in einer aktuellen Publikation. Aber es handele sich eben auch nicht um Erwerbsarbeit, »sondern um Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderungen, die voll erwerbsgemindert sind«. Und alles, was Werkstätten als Arbeitsergebnis erwirtschaften, komme den Beschäftigten zugute.

Lukas Krämer trifft irgendwann eine Entscheidung - und macht blau, geht einfach nicht mehr in die Werkstatt. Auf seinem Youtube-Kanal »Sakultalks« beginnt er über seine Behinderung und die Werkstätten zu sprechen. Er schreibt Bewerbungen, ist sich sicher: Er schafft es da raus. Dann kommen die ersten Absagen. Kramer ballt die Faust, wenn er das erzählt. »Du musst hartnäckig sein!«, berichtet er in einem seiner Videos.

Einen Job findet Krämer dann doch: Auf ungewöhnliche Art und Weise bei einem Nickerchen. Als er bei einer Besucherstunde bei der Bundestagsabgeordneten Corinna Rüffer einschläft, spricht die ihn an. Er fragt sie, ob sie ihn nicht einstellen will. Sie will. Das Einschlafen, so stellt sich später heraus, hatte medizinische Gründe, keine Langeweile. Nun ist er, zumindest für diese Legislaturperiode, Mitarbeiter im Bundestag. Was danach kommt: unklar. Nur eines ist sicher. In die Werkstätten will er nicht mehr. »Es gibt genug andere Dinge auf dieser Welt zu erledigen«, meint Krämer.

»Stellt sie einfach ein«

Warum folgen nicht mehr Menschen seinem Vorbild? »Viele Menschen haben Angst, ihre Wohnung zu verlieren und ohne Geld dazustehen, dabei bekommen die Leute weiter Grundsicherung«, erzählt er. Dazu kommt: Auch der erste Arbeitsmarkt ist meist nicht besonders behindertengerecht. Vielleicht ist dies das Dilemma der Behindertenwerkstätten: Solange der allgemeine Arbeitsmarkt wenig inklusiv ist, braucht es sie. Doch sie verhindern gleichzeitig, dass mehr Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gelangen.

Ein weiteres Motiv dafür, dass nicht mehr Menschen Krämers Weg wählen, könnte die fehlende Absicherung von Menschen mit Behinderungen im Alter sein. Für die Rentenansprüche wird ein fiktiver höherer Verdienst angenommen. Der Beitrag bemisst sich an 80 Prozent des durchschnittlichen Verdienstes aller Rentenversicherten. Der Bund stockt dafür den Differenzbetrag zu den Rentenbeiträgen der tatsächlichen Entgelthöhe auf. Das entspricht im Schnitt einem Zuschuss von über 400 Euro monatlich. In Rente gehen können Menschen, schon nach 20 Jahren Arbeit in einer Werkstatt. Klingt gut?

Das findet Katrin Langensiepen nicht. Sie ist Berichterstatterin zum Thema Menschen mit Behinderung und Arbeitsmarkt in Brüssel und die einzige Abgeordnete im europäischen Parlament mit einer sichtbaren Behinderung. Das ist das erste, was ihr die Wut in die Stimme treibt. Das zweite ist das System der Behindertenwerkstätten. »Wir brauchen die nicht«, sagt sie. Große Sozialunternehmen wie die Caritas, das Deutsche Rote Kreuz und die Lebenshilfe hätten keine Lust, an dem Ast zu sägen, auf dem sie sitzen, sagt sie. Profitieren würden vor allem große Firmen.

»Gucken Sie sich doch einmal die Unternehmen an, für die die Werkstätten produzieren. VW, Conti, Daimler Benz. Es kann mir doch niemand erzählen, dass die nicht genug Geld haben, den Menschen einen ordentlichen Lohn zu zahlen«, sagt Langensiepen und fordert: »Stellt sie einfach ein!«

Wenn die Unternehmen aber auf die Beschäftigten in den Werkstätten zurückgreifen, hat das für sie viele Vorteile. Sie müssen keine Abgaben zahlen, wenn sie selber zu wenige Schwerbehinderte einstellen. Zudem ist ihre Arbeit sehr günstig, da die Beschäftigten arbeitsrechtlich als »Rehabilitanden« gelten.

Aber ist da nicht was dran? Sind Behindertenwerkstätten nicht auch tatsächlich Orte der Inklusion, in denen Menschen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können?

Im Jahr 2015 empfahl der Fachausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die Werkstätten schrittweise abzuschaffen. Sie ständen im Widerspruch zu dem in der UN-Behindertenrechtskonvention garantierten Recht auf Arbeit, denn die Beschäftigten könnten ihren Lebensunterhalt damit nicht bestreiten. Doch statt den Empfehlungen zu folgen, füllen sich die Werkstätten in Deutschland immer weiter.

»Da ist ein sehr geschlossenes, sich selbst erhaltenes System entstanden«, erzählt Raul Krauthausen. Der Behindertenrechtsaktivist betreibt das Portal Job.Inklusive, das Aufklärung über die Arbeit in den Werkstätten liefert und mehr Menschen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bringen will. »Der Ruf der Werkstätten ist viel besser, als er sein sollte«, meint Krauthausen und fügt hinzu: »Eigentlich ist das moderne Sklavenarbeit, die dort geleistet wird.« Aber die deutsche Gesellschaft würde eben oft mit Behinderten so umgehen: »Aus dem Auge, aus dem Sinn.« Krauthausen will die Behinderten aus den Werkstätten herausholen. Gegen diese Initiative wird immer wieder das Argument hervorgebracht, es bräuchte geschützte Räume für Behinderte und die Atmosphäre auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt würde für sie nur zu Frustration führen. »Hat nicht jeder auch das Recht auf Rückschläge, darauf, sich auszuprobieren?«, fragt Krauthausen.

Aber gibt es nicht Menschen, die wirklich nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten können? »Natürlich kann nicht jeder Astronaut werden«, antwortet Krauthausen. Aber das Perfide sei doch, wie viele Menschen aus dem ersten Arbeitsmarkt in die Behindertenwerkstätten kommen. »Die Werkstätten sind zu einem Arbeitsmarktinstrument geworden«, meint er.

Das funktioniert in Kürze so: Die Werkstätten brauchen Arbeitskräfte, um Aufträge abzuarbeiten. Die Arbeitsagenturen wiederum brauchen gute Vermittlungsquoten. Das ist nicht immer einfach, gerade bei Menschen, die viel individuelle Betreuung brauchen. Die Arbeitsagenturen sind aber froh über jeden, der aus ihren Statistiken heraus und hinein in die »gut geölte Maschine Werkstatt« fällt, beschreibt Krauthausen. Die Räder greifen gut ineinander. Acht Milliarden Euro setzt diese Branche im Jahr um, meint der Behindertenaktivist. Profitieren würden davon viele - nur die Menschen mit Behinderung nicht.

Ein Anrufer kann keinen Tee machen

Droht nun durch Corona die Krise der Werkstätten? Wahrscheinlich nicht. Zu wenige, so scheint es, haben ein ernsthaftes Interesse daran, an dem System zu rütteln. Und auch wenn Seyda Pauer weiter blau macht und von ihrem Balkon den Blick schweifen lässt, wird das nicht zum Zusammenbruch führen.

»Die Leser Ihrer Reportage werden sich mich wohl als einen unglücklichen Menschen vorstellen«, bemerkt sie. Das sei falsch. Ihr Leben hat sich seit der Pandemie nicht groß verändert, erzählt sie im Videotelefonat aus ihrem kleinen Zimmer. Wer immer schon mit Tod und Krankheit zusammengelebt hat, dem fällt es vielleicht einfacher, ihr Auftreten auf der großen Bühne zu billigen. Küsse könne man sich auch per Telefon zuwerfen, aber ein Anrufer könne keinen Tee machen. Und ein wenig mehr Geld, das wäre auch nicht schlecht. Dann gäbe es abends einmal etwas anderes als Nudeln mit Ketchup.

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