Mit der DDR starb die Völkerfreundschaft

Opfer der »Baseballschlägerjahre« erinnern an den Hass und die neofaschistische Gewalt in den 90er Jahren

»Neger«, »Bimbo« - Augusto Jone Munjunga kann sich nicht erinnern, diese Schimpfworte in der DDR jemals gehört zu haben. Diese bittere Erfahrung musste er erst in der Bundesrepublik machen. 1987 kam der damals 22-jährige Angolaner nach Eberswalde und arbeitete dort im Schlachthof. »Mit den Kollegen im Betrieb war alles okay. Wir haben zusammen gelacht.« Wenn sie sich draußen auf der Straße begegneten, haben einige Kollegen die Angolaner nicht gegrüßt. Aber das war es dann auch schon. Das änderte sich mit der deutschen Einheit. Rassistische Beschimpfungen wurden alltäglich. Einkaufen sind die jungen Afrikaner nur noch zu fünft oder zu sechst gegangen. Allein sei es nun zu gefährlich gewesen, erinnert sich Munjunga.

Am 24. November 1990 wurde in Eberswalde der angolanische Vertragsarbeiter Amadeu Antonio Kiowa von Neonazis ins Koma geprügelt. Einige Tage später erlag er seinen schweren Verletzungen. Amadeu Antonio - eine netter, ruhiger, hilfsbereiter Mensch, wie Munjunga sagt, er nennt ihn »mein Bruder« - gilt als erstes Todesopfer faschistischer Gewalt im wiedervereinigten Deutschland. Es brach die Zeit an, in der Skinheads mit Baseballschlägern Jagd auf Migranten und Linke machten. Man spricht deshalb im Rückblick von den »Baseballschlägerjahren«. Im 30. Jahr der Wiedervereinigung geben der Verein Opferperspektive und das brandenburgische Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit denen eine Stimme, die damals Opfer des deutschnationalen Einheitstaumels wurden und an deren Leiden bis heute in den Festreden nicht erinnert wird.

»Besser ihr geht zurück nach Hause«

Ein Gespräch via Videokonferenz war am Montagabend der Auftakt zu einer kleinen Veranstaltungsreihe, wie Judith Porath, die Geschäftsführerin der Opferperspektive, ankündigt. Es soll weitere Gespräche in Eberswalde und Frankfurt (Oder) geben und als nächstes eins am 9. Dezember in Cottbus. Munjunga berichtet, wie den Angolanern von der Polizei und vom Arbeitsamt gesagt worden sei: »Es ist besser, wenn ihr nach Hause geht.« Viele seien dann auch wirklich nach Afrika zurückgekehrt. Aber anderen hatten beispielsweise eine deutsche Freundin, die schwanger war, oder auch Kinder. Deshalb sind sie trotz aller Gefahr geblieben.

Ähnlich erging es Hai Bluhm und ihren Landsleuten. »Warum geht ihr nicht zurück nach Vietnam?« - Das sei ab Mitte 1990 die Standardfrage der deutschen Kollegen im Betrieb gewesen, die vorher immer freundlich zu den 350 dort beschäftigten Vietnamesen gewesen waren, erzählt sie. »Die DDR-Bürger hatten jetzt fast alle Angst, dass wir ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen.« Die Polen, die Kubaner und die Vietnamesen seien zuerst entlassen worden. Aus dem Wohnheim mussten sie ausziehen - auch die Vietnamesen. Die Betreuer waren weg, eine eigene Wohnung schwer zu finden. Viele der Vietnamesen machten sich selbstständig mit einem Blumenladen, einem Imbiss oder einem Kiosk, weil sie keine Chance hatten, irgendwo eingestellt zu werden. Im Dunkeln seien die Vietnamesen besser nicht mehr rausgegangen, die Kubaner auch nicht. »Da lagen die Nerven blank«, sagt Bluhm.

»Es klingt ein bisschen so, als ob es in der DDR keinen Rassismus gab und als sei er 1990 vom Himmel gefallen«, sagt Almuth Berger. Die Pfarrerin hatte schon vor der Wende diskriminierenden Umgang mit Migranten mitbekommen. In den letzten sieben Monaten der DDR war Berger Ausländerbeauftragte, was sie bis 2006 in Brandenburg blieb.

In der DDR war Rassismus weniger offen

Doch Abdou Rahime Diallo, 1966 geboren in Halle/Saale, kann gut nachvollziehen, was der Angolaner und die Vietnamesin berichten. Rassistische Vorurteile habe es freilich schon früher in der Bevölkerung gegeben, aber nicht in dieser entfesselten Form wie dann in den »Baseballschlägerjahren«, sagt Diallo. Es sei »weniger offen rassistisch geschimpft und angegriffen« worden in der DDR, sagt auch Berger. Wenn es doch vorkam und bekannt wurde, dann sei es »hart bestraft worden«, ohne diese Fälle öffentlich zu machen. Denn es sollte für diesen Staat gelten, was Munjunga im damals ebenfalls sozialistischen Angola in der Schule gelernt hatte und was er fest glaubte: »Im Sozialismus gibt es keinen Rassismus.« Nach der Wende dachten die Rassisten unter den Ostdeutschen, »nun dürften sie ungestraft alles sagen und machen«, bedauert Berger. Irgendwie stimmte das auch. Die ehemaligen Volkspolizisten genossen keine Autorität mehr und ließen die jugendlichen Skinheads viel zu oft gewähren. Ältere Nachbarn beklatschten deren Untaten.

Wie ist es heute?

Ist es seitdem besser geworden? Es gibt mittlerweile viele antirassistische Initiativen, seit 1997 das Aktionsbündnis gegen Fremdenfeindlichkeit und seit 1998 das Handlungskonzept »Tolerantes Brandenburg«. Doch erst vergangene Woche sagte eine Frau in einer Potsdamer Straßenbahn zu Hai Bluhm, dass sie abhauen solle, da sie eh nur Geld vom Staat kassiere und es sich auf Kosten der Deutschen gutgehen lasse. »Ich fahre gerade zur Arbeit«, antwortete Bluhm. Daraufhin hieß es dann: »Ihr nehmt uns die Jobs weg.«

Politiker beziehen heute eher Stellung gegen Rassismus als in den 90er Jahren, doch für Berger immer noch nicht deutlich genug. Vor allem dürfte es nicht bei schönen Worten bleiben, es müssten auch Taten folgen, findet sie. Hai Bluhm weist darauf hin, dass die AfD bei Wahlen viel mehr Stimmen erhält, als NPD und DVU jemals bekommen haben. Das mache Angst, erklärt sie. Augusto Jone Munjunga schließt mit den Worten: »Wir sind Menschen genauso wie andere. Wir wünschen uns, nicht diskriminiert zu werden.«

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