Klimakrise bedroht Kleinbauernfamilien

Mit Wiederaufforstung und nachhaltiger Landwirtschaft in eine bessere Zukunft in Vietnam

  • Sarah Grieß, INKOTA
  • Lesedauer: 5 Min.
Hat wegen Wetterkapriolen 2020 nur drei Säcke Reis geerntet und fürchtet nun Hunger: Kleinbäuerin Duong Thi Ly mit Tochter.
Hat wegen Wetterkapriolen 2020 nur drei Säcke Reis geerntet und fürchtet nun Hunger: Kleinbäuerin Duong Thi Ly mit Tochter.

Duong Van Chuong erinnert sich noch gut an den tropischen Wirbelsturm im Mai dieses Jahres: »Bei vier Häusern in unserem Dorf wurde das Dach weggefegt. Viele weitere wurden schwer beschädigt.« Mit einem Seufzer streicht er sich die Haare aus dem Gesicht. Sein Blick wandert hinüber zum nahen Akazienwald - oder zu dem, was noch davon übrig ist. Auch dort wütete der Taifun, mehr als 80 Hektar des Waldes sind komplett zerstört. Für die Menschen der vietnamesischen Gemeinde Tan Loi - rund 90 Kilometer nördlich der Hauptstadt Hanoi - ist das ein herber Verlust. Denn die meisten von ihnen bestreiten ihren Lebensunterhalt ausschließlich mit Land- und Forstwirtschaft. Der Verkauf der schnell wachsenden Akazienhölzer stellt eine wichtige Einkommensquelle dar.

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Nicht nur der Sturm machte den Bewohner*innen von Tan Loi dieses Jahr zu schaffen. »2020 hatten wir mit vielen unüblichen Wetterphänomenen zu kämpfen«, erzählt Quach Thi Huong, eine resolute Frau mittleren Alters. Ihre Nachbarin pflichtet ihr bei: »Als wir zu Jahresbeginn den Reis aussäen wollten, hat es gehagelt. Einen solchen Hagel habe ich seit Langem nicht mehr gesehen! Während der Blütezeit im März und April war es schließlich so kalt, dass der Boden gefror. Ein Großteil der Reisernte ging verloren.«

Doch es kam noch schlimmer: Von Juni bis August folgte eine extreme Dürrephase, die nicht nur Wassermangel, sondern auch viele Schädlinge mit sich brachte. Vor allem die Teepflanzen starben reihenweise ab. Erst als im Herbst der nächste Monsun über das Land hereinbrach, hat sich die Situation zwar nicht entspannt, entsprach aber wieder den Erwartungen.

So ist der menschengemachte Klimawandel, der für viele Menschen in Europa lange schwer greifbar schien, in Vietnam schon deutlich zu spüren. Regelmäßig listet der Globale Klima-Risiko-Index Vietnam als eines der zehn am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder weltweit - allerdings mit deutlichen regionalen Unterschieden: In den nördlichen Gebieten Vietnams nehmen die jährlichen Regenfälle durchschnittlich ab und verursachen Perioden der Dürre, wie dieses Jahr in der Gemeinde Tan Loi. Die südlicheren Provinzen hingegen erleben tendenziell eine Zunahme an Niederschlägen, die zu Erdrutschen und Überflutungen führen.

Quach Thi Huong berichtet bei einer Dorfversammlung über Klimawandelfolgen.
Quach Thi Huong berichtet bei einer Dorfversammlung über Klimawandelfolgen.

Besondere Aufmerksamkeit verlangt der stetig ansteigende Meeresspiegel, der vor allem die über 1500 Kilometer lange Küste Vietnams bedroht. So werden die Deltaregionen des Roten Flusses und des Mekongs bis zum Ende des Jahrhunderts fast vollständig im Meer versunken sein, sollte es tatsächlich zu einem Anstieg von einem Meter kommen, wie prognostiziert. Es wäre eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes, im Zuge derer viele Millionen Menschen ihre Heimat verlieren würden.

Zumindest davor brauchen Chuong und Huong sich nicht zu fürchten: Die Gemeinde Tan Loi liegt hoch genug in den Bergen. Aber auch ohne eine drohende Überschwemmung ist ihre Existenz bedroht. Denn die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen sind in besonderem Maße von den klimatischen Bedingungen abhängig. Ein Jahr wie 2020 darf da nicht allzu oft kommen. »Die diesjährige Frühlingsernte ging verloren.« Duong Thi Ly schluckt und fährt dann fort: »Nur drei Säcke Reis haben wir geerntet. Gerade genug zum Essen. Wenn wir auch die nächste Ernte verlieren, wird meine Familie Hunger leiden.« Sie drückt ihre kleine Tochter fest an sich. Wie Ly geht es vielen im Ort.

Sinkt die landwirtschaftliche Produktivität immer weiter, werden sich viele Kleinbauernfamilien alternative Einkommensquellen suchen müssen. Die Migrationsbewegungen in die Städte werden zunehmen, was insbesondere in den Metropolregionen Hanoi und Ho-Chi-Minh-City neue Herausforderungen mit sich bringt. Zudem droht eine ernstzunehmende Lebensmittelknappheit.

Über diesen Staudamm wird selbstverwaltet eine Brücke gebaut.
Über diesen Staudamm wird selbstverwaltet eine Brücke gebaut.

Derzeit zählt Vietnam noch als fünftgrößter Reisproduzent der Welt, mit einer kultivierten Fläche von 7 570 741 Hektar und einem Ertrag von mehr als 44 Millionen Tonnen im Jahr 2018. Sollten allerdings größere Flächen unfruchtbar werden, sei es durch Versalzung oder durch Bodenerosion, wird das Hauptgrundnahrungsmittel Reis zu einem Luxusgut werden.

Die vietnamesische Regierung kennt all diese unterschiedlichen Herausforderungen. Sie hat den Klimawandel deshalb ganz oben auf die politische Agenda gesetzt. Nach Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens 2015 dauerte es nicht mal ein Jahr, bis Vietnam einen umfassenden Plan zur Umsetzung vorlegte. Er enthält erstens Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasen, bei denen der Ausbau erneuerbarer Energien eine besondere Rolle spielt. Zweitens sind eine Reihe von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel geplant, etwa in den Bereichen Küstenschutz, Landwirtschaft und nachhaltige Wasserwirtschaft. Ein Paradebeispiel für Klimaschutz ist Vietnam trotz dieser Initiativen noch lange nicht. Zu groß ist der Wunsch nach wirtschaftlichem Wachstum, zu oft wird ein Auge zugedrückt, wenn Umweltregularien nicht eingehalten werden.

Auch auf dem Weg in die Gemeinde Tan Loi kann man den Eindruck gewinnen, dass der Schutz der Umwelt bei vielen Vietnames*innen keinen hohen Stellenwert hat. Im Straßengraben finden sich achtlos weggeworfene Plastikverpackungen, im Gebüsch verrosten nicht mehr funktionierende Elektrogeräte. »Der Klimawandel wird auch von uns verursacht«, sagt Duong Van Hoa selbstkritisch. »Die Menschen hier haben die Angewohnheit, alles zu verbrennen. Das Stroh auf dem Feld, aber auch den Abfall im Garten. Selbst Pestizidverpackungen sind dabei, die sehr giftig sind. Und überall wird unkontrolliert Müll hingeworfen.« Es habe einige Zeit gebraucht, bis sie das erkannt hätten. Nun aber wollen die Bewohner*innen der Gemeinde Tan Loi nicht mehr tatenlos zusehen, wie ihre Lebensgrundlage zerstört wird. Sie selbst wollen etwas ändern.

Unterstützung erfahren sie dabei von der INKOTA-Partnerorganisation DWC. Sie hat die Bewohner*innen ermutigt, ihr Verhalten kritisch zu hinterfragen und eigene Lösungsvorschläge zu entwickeln. Herausgekommen ist ein bunter Strauß an Maßnahmen. Das Themenspektrum reicht von einer angemesseneren Müllentsorgung über die Wiederaufforstung der zerstörten Wälder, den Bau von Bewässerungssystemen bis hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft. So versuchen die Bewohner*innen unter anderem, auf chemische Pestizide zu verzichten und stattdessen selbst hergestellte Biodünger zu verwenden. Auch das Stroh vom Feld wollen sie künftig nicht mehr verbrennen, sondern es zum Kompostieren nutzen.

Duong Thi Ly hat sich zudem noch ein ganz eigenes Projekt vorgenommen: »Wenn wir uns wirklich erfolgreich gegen Naturkatastrophen und Krankheiten schützen wollen, gibt es eigentlich nur einen Weg: Wir müssen ein Gewächshaus bauen!« Zwar fehlen ihr bislang die finanziellen Mittel, Motivation hingegen hat sie genug: »Ich werde alles tun, was ich kann, um damit zu beginnen!«

Unterstützen Sie Duong Thi Ly und ihre Mitstreiter*innen dabei, ihre eigenen Projekte erfolgreich umzusetzen: Jede Spende hilft!

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