Spannung auf Crushed Ice

Die Skispringer starten im polnischen Wisla in einen ungewissen Winter

  • Lars Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

In dieser Woche fand die finale Inspektion für die Nordischen Skiweltmeisterschaften in Oberstdorf statt, passend zur aktuellen Situation als Videocall. Drei Monate vor Beginn des Wintersporthöhepunktes in Deutschland planen die Organisatoren die Titelkämpfe vom 24. Februar bis 7. März 2021 immer noch optimistisch mit Zuschauern, beispielsweise mit 2500 beim Skispringen - in einer Arena, in die sonst zum Auftakt der Vierschanzentournee zehnmal so viele kommen.

Auch der Weltcupauftakt der fliegenden Männer im polnischen Wisla war sonst immer ein echtes Fest mit Zehntausenden Fans. An diesem Wochenende darf niemand zuschauen - und trotzdem lassen sich die Athleten den Spaß nicht verderben. »Wir sind froh, dass es überhaupt wieder internationale Wettkämpfe gibt! Wir haben das Glück, dass wir eine Fernsehsportart sind. Da müssen wir eben die Fans vor dem Fernseher begeistern. Emotionale Ausbrüche wird es trotzdem geben«, verspricht Markus Eisenbichler.

Der dreimalige Weltmeister von 2019 ist nach dem für ihn schwierigen vergangenen Winter wieder in Topform. Bei den Deutschen Meisterschaften Ende Oktober hatte er sich überlegen seinen ersten nationalen Einzeltitel gesichert. Eisenbichler weiß allerdings nicht, was dieser Erfolg wert ist, denn der sonst im Sommer beim Grand Prix übliche Vergleich mit der Weltspitze fiel coronabedingt aus. »Ich habe keine Ahnung, wie gut Stefan Kraft oder Ryoyu Kobayashi sind. Die habe ich im vergangenen Winter zum letzten Mal nach dem Weltcup gesehen, als sie in Trondheim ins Flugzeug geflüchtet sind«, berichtet auch Karl Geiger, der deutsche Vorflieger im vergangenen Winter.

Wegen der außergewöhnlichen Situation glaubt nicht nur Bundestrainer Stefan Horngacher, dass dieser Winter »heuer so spannend und überraschend wie selten zuvor« werden könnte. Schon der Auftakt in Wisla verspricht deshalb coole Wettkämpfe, und das hat nicht nur etwas mit dem sportlichen Wettstreit zu tun. Auf der Adam-Malysz-Schanze wird nämlich auf Crushed Ice gelandet. Also jenem Eis, das gewöhnlich für Mixgetränke verwendet wird. Die Substanz ist zu diesem frühen Zeitpunkt vor dem Winter die einzige Chance für die polnischen Organisatoren, den Weltcup auch bei deutlichen Plustemperaturen abzusichern.

»In den letzten Jahren war die Schanze nicht optimal präpariert, weil sich Crushed Ice nicht gut bearbeiten lässt. Ich erwarte nicht die beste Landungszone«, befürchtet der deutsche Chefcoach Horngacher. Das dürfte speziell für Olympiasieger Andreas Wellinger eine Herausforderung sein, der ein Jahr und acht Monate nach seinem letzten Weltcupauftritt sein Comeback nach einem Kreuzbandriss feiert: »Es war eine lange und schwere Phase, mich nach der Knieverletzung wieder zurück zu kämpfen. Ich muss erst mal wieder in die Wettkämpfe reinkommen, Punkte sammeln, und darf nicht gleich Podestplätze erwarten. Wir werden hoffentlich als starkes deutsches Team den Winter bestreiten, wie auch immer er werden wird.«

Wie stark das deutsche Team sein könnte, zeigt schon der Fakt, dass sich Wellinger neben Eisenbichler, Geiger, Severin Freund, Constantin Schmid, Martin Hamann und Pius Paschke mit Ach und Krach das siebte und letzte Ticket für den Weltcupauftakt gesichert hat. Ein Star wie Richard Freitag oder auch der nach einer Kreuzbandverletzung zurückkehrende David Siegel müssen dagegen zuschauen. Beweisen kann sich das Team gleich am Sonnabend im Mannschaftswettbewerb, bevor am Sonntag die Einzelkonkurrenz startet.

Natürlich gilt auch bei den Skispringern, ähnlich wie in anderen Profisportarten, ein striktes Hygienekonzept. Coronatests fanden daheim vor der Abreise zu den Wettkämpfen und dann noch mal vor Ort in Wisla statt. Nach dem Auftakt in Polen setzt der Internationale Skiverband sogar ein Charterflugzeug ein, das Athleten am 25. November von München direkt ins finnische Ruka bringt. Von Finnland geht es dann mit dem Flieger weiter zum nächsten Weltcup im russischen Nischni Tagil und von dort dann direkt zum ersten Saisonhöhepunkt, den Skiflug-Weltmeisterschaften im slowenischen Planica.

Die Fernsehverträge, die die langen Wintersportwochenenden bei ZDF und ARD absichern, sorgen zumindest erst mal für das finanzielle Überleben von Verbänden und Sportlern. Ausfallversicherungen decken zudem einen Teil der Verluste ab, die durch fehlende Zuschauer bei Titelkämpfen und Höhepunkten wie der Vierschanzentournee entstehen. Schon jetzt steht zum Beispiel fest, dass das Neujahrsskispringen in Garmisch-Partenkirchen gänzlich ohne Fans stattfinden wird.

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