Als der Konsum der Wirtschaft einheizte

Die deutsche Wirtschaft ist im Sommer etwas stärker gewachsen als zunächst angenommen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Pünktlich zum Vorweihnachtsgeschäft erstrahlt Hamburgs Jungfernstieg nach einer monatelangen Umbauphase in neuem Glanz. Neben einigen Schönheitsoperationen wurde vor allem der Kfz-Verkehr in einer der umsatzstärksten Einkaufsstraßen Deutschlands spürbar reduziert. »Wir wollen die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Freiraum deutlich steigern«, heißt es aus dem rot-grünen Senat. Senat, Handelskammer und Geschäftsleute hoffen nun auf mehr kauffreudige Kundschaft in der Innenstadt. Ob das angesichts von Corona klappen kann?

Die Zahlen sehen erst einmal besser aus, als am Anfang der Pandemie allgemein befürchtet worden war. Am Dienstag veröffentlichte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden die endgültigen Zahlen für das dritte Quartal. Demnach ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von Juli bis September um 8,5 Prozent gestiegen. Allerdings lag das BIP damit noch um 4,0 Prozent niedriger als vor Corona. Neben dem Exportgeschäft sorgten vor allem die privaten Haushalte für den Aufschwung. Ihr Konsum heizte im Sommer zeitweilig die Konjunktur an.

Doch die Ängste vor einem erneuten Aufflammen der Pandemie und einem zweiten Lockdown haben sich im November bewahrheitet. Die meisten Ökonomen erwarten nun für den Euroraum ein erneutes Schrumpfen der Wirtschaftsleistung. Vor diesem Hintergrund hat der Sachverständigenrat mit seinem kürzlich an die Bundesregierung überreichten Jahresgutachten eine Kontroverse ausgelöst. »Während sich der Großteil der Welt Sorgen macht, scheint es dem Sachverständigenrat vor allem darum zu gehen, dass Stützungsmaßnahmen zügig wieder zurückgedreht werden«, kritisiert Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK).

Dullien wirft der Mehrheit des auch Wirtschaftsweise genannten Gremiums vor, möglichst schnell wieder zur schwarzen Null zurückzuwollen. »Die grundsätzliche Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse wird nicht diskutiert, obwohl das Thema politisch an Bedeutung gewinnt und für die Koalitionsverhandlungen im Bund 2021 eine Rolle spielen dürfte.« Der Rat sei damit auch in der Theorie nicht auf der Höhe der Zeit.

Angesichts der Corona-Folgen hat der Staat im November erneut milliardenschwere Hilfen bereitgestellt. Nicht jede Maßnahme wirkt ausgewogen. Einige Branchen und vor allem kleinere Firmen klagen, dass sie zu wenig von den Maßnahmen profitieren. Doch die Krise reißt riesige Löcher in die Staatskassen. Erstmals seit der Finanzkrise 2009 sind die Steuereinnahmen in diesem Jahr im Sinkflug. Etwa 300 Milliarden Euro will Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) notfalls bis Ende kommenden Jahres aufnehmen. Keine solche Neuverschuldung zu planen, so Scholz, wäre »unverantwortlich«.

Dennoch wird wieder heftig gestritten. So lehnte Rechnungshofpräsident Kay Scheller jüngst die Vorlage des Finanzministers und Forderungen nach einer Reform der Schuldenbremse strikt ab. »Die Schuldenbremse hat sich bewährt« - Enkelgenerationen dürften nicht die Zinsen für unsere Schulden zahlen. Kritiker halten dagegen: Nur Schulden ermöglichen Investitionen für eine faire Zukunft unserer Enkel.

Derweil hält sich die Einkaufslaune in Grenzen. Vor allem bei Bekleidung und Lederwaren liegen die Umsätze laut Handelsverband weit zurück, und die Weihnachtssaison könne das Minus wohl kaum ausgleichen. Das Ifo-Geschäftsklima ist im November deutschlandweit deutlich gefallen. Corona und der Lockdown fordern ihren Tribut. Dennoch sind die Signale unterschiedlich. So nährt der KfW-Konjunkturkompass die Hoffnung auf eine kräftige wirtschaftliche Erholung - nach schwierigem Winter.

Die Startbedingungen scheinen recht günstig. Aufgrund der zahlreichen Stützungsmaßnahmen des Staates ging die Beschäftigtenzahl lediglich um 1,4 Prozent zurück. Die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte liegen sogar um 0,7 Prozent über ihrem Vorjahreswert - um den privaten Konsum brauchen sich Geschäftsleute also eigentlich keine Sorgen zu machen. Hoffnung macht sich auch die deutsche Exportindustrie. Wichtige Kundenländer in Asien haben weit erfolgreicher die Pandemie bekämpft als Deutschland. So steuert der globale Seeverkehr wieder auf ein Allzeithoch zu. Davon könnten mittelbar auch die Geschäfte am Jungfernstieg profitieren. »Die Wende beim Umschlag zeichnet sich ab«, heißt es nämlich auch aus dem Hamburger Hafen.

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