nd-aktuell.de / 26.11.2020 / Gesund leben / Seite 7

Leiden lindern, Abschied nehmen

»Letzte Hilfe«-Kurse bieten Wissen für ein gutes Lebensende in Begleitung

Elke Bunge

Einen Menschen in seinen letzten Lebensstunden zu begleiten, ist eine Aufgabe, die in der Regel ängstigt. Es handelt sich meist um eine völlig unbekannte Situation, der sich viele Menschen hilflos ausgesetzt fühlen und in der sie mental an ihre Grenze kommen - ähnlich wie bei einem Verkehrsunfall. Für den Umgang mit einer verunglückten Person jedoch gibt es seit langem »Erste Hilfe«-Kurse, die bei einem Unfall ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Genau dies will auch der »Letzte Hilfe«-Kurs erreichen. Denn in beiden Situationen können Menschen aktiv Hilfe leisten, je besser sie die Situation verstehen, desto weniger ängstigend ist diese. Enthält die »Erste Hilfe« das Verbinden von Wunden oder Wiederbelebungsmaßnahmen, so ist eine aktive Unterstützung auch in der »Letzten Hilfe« möglich. Es geht um Mundpflege, das Haltgeben bei Unruhe oder Verwirrtheit, aber auch das ruhige Dasein in schweren Stunden.

Bereits 1859 stand Henry Dunant, Begründer der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung, verletzten Soldaten auf dem Schlachtfeld von Solferino bei. Er versorgte sie und leistete damit »Erste Hilfe«. Er stand aber auch Sterbenden in ihren letzten Augenblicken bei und leistete ihnen somit »Letzte Hilfe«. In einem Bericht über die Schlacht von Solferino bei Mantua heißt es: »Dunant kniete neben schwer Verwundeten, die ihn anflehten an ihrer Seite zu bleiben, bis zu ihrem letzten Atemzug, damit sie nicht allein sterben sollten.«

Die Idee, das Beistehen in den letzten Stunden eines Sterbenden als Kurs anzubieten, hatte Georg Bollig aus Schleswig. Sein Konzept für »Letzte-Hilfe-Kurse« publizierte der Notarzt und Palliativmediziner 2008. In den Folgejahren verbreiteten sich Ideen und Konzept erfolgreich. 2015 wurde Bollig für seine Arbeiten von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin mit einem Förderpreis ausgezeichnet. Bollig zeigt sich zufrieden mit der Umsetzung seiner Idee: »Es wurden bisher über 30 000 Bürger und Bürgerinnen ausgebildet und es gibt mehr als 2500 Kursleiter und Kursleiterinnen. Die derzeitigen Anbieter sind vielfältig, so bieten Hospizdienste, Palliativteams, Kirchengemeinden, Krankenkassen, Hilfsorganisationen wie ASB und Malteser, aber auch Bestattungsunternehmen und Volkshochschulen die von mir entwickelten Kurse an.«

Heute kann er sich vorstellen, dass der Besuch seines Kurses wie ein »Erste-Hilfe-Kurs«, ein allgemeiner Bestandteil des Lebens wird. Dabei, so Bollig, ist der Kurs nicht für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Pflegebereich, Krankenpfleger oder Ärzte gedacht. Er richtet sich seiner Meinung nach an die gesamte Bevölkerung. Denn irgendwann könnte jeder von uns in die Situation kommen, seine Eltern, den Partner oder auch jeden anderen Angehörigen oder Freund in diesem schweren Moment zu begleiten. Bolligs Wunsch wäre es deshalb, die Kursinhalte in Zukunft in den Schulunterricht zu integrieren. Vier Unterrichtsstunden in Biologie, so sein Vorschlag. Ein großer Zeitaufwand sei nicht notwendig, so der Palliativmediziner.

Die »Letzte-Hilfe«-Kurse werden in vier Module à 45 Minuten aufgeteilt. Sie umfassen die Themen: Sterben als Teil des Lebens, Vorsorgen und Entscheiden, Leiden lindern und Abschied nehmen.

Im ersten Modul geht es darum, den Sterbeprozess zu erkennen, den Menschen am Ende seines Lebensweges zu begleiten und Angehörigen und Freunden die Angst vor dem Tod zu nehmen. Das zweite Modul behandelt das Thema Vorsorge, darunter rechtliche Grundlagen zu Patienten- oder Betreuungsverfügung. Hier werden auch medizinisch-ethische Fragen besprochen und Hilfsangebote erörtert. So lernen die Teilnehmenden, welche palliativmedizinische Unterstützung es für Sterbende gibt, welche Hospizdienstleister oder ehrenamtliche Sterbebegleiter in der Wohnumgebung zu finden sind. Das dritte Modul behandelt praktische Fragen: Was ist etwa bei Atemnot zu tun? Wird ein Medikament gebraucht oder hilft schon ein Umlagern des Betroffenen, das Öffnen des Fensters oder ein beruhigendes Gespräch oder die reine Anwesenheit? Wichtig ist auch für Sterbende die Versorgung mit Flüssigkeit - angefangen vom Befeuchten der Lippen bis zum Reichen von Getränken. Am praktischen Beispiel lernen die Betreuenden die Methoden der Flüssigkeitsgabe kennen. Etwa, dass es durchaus sinnvoll sein kann, statt des mit Glycerin getränkten Zitronenstäbchens dem Betroffenen ein Fruchteis oder ein Schlückchen Wein zu reichen. Im abschließenden Teil des Kurses geht es um das Abschiednehmen. Woran ist das Eintreten des Todes zu erkennen? Welche Schritte sind dann nötig? Was ist möglich, etwa eine Aufbahrung zu Hause betreffend? Zusätzlich werden Fragen der Trauerverarbeitung besprochen. Die Trauer soll als lebenswichtige Phase verstanden werden, die Hinterbliebenen zugleich ein Weiterleben, eine Zukunft ermöglicht.