Europas Cloud - Made in USA?

Gaia-X soll Europas Abhängigkeit von Google & Co. beenden, die wollen dennoch mitmischen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Verbraucher in Deutschland haben allerbeste Chancen, dass ihre persönlichen Daten auf einem Computer in den USA landen. Das mag bei einem Einkauf im Internet weniger erstaunen, als etwa beim Abschluss einer Lebensversicherung. In einer typischen Datenschutzerklärung lässt sich ein führender bundesdeutscher Versicherer von seinen Kunden zusichern, dass er alle Informationen auch an »externe Dienstleister« außerhalb des eigenen Konzerns weiterleiten kann. Dieser Dienstleister darf auch »außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums« beheimatet sein. Meist sind dies die Vereinigten Staaten. Die Speicherung riesiger Datenmengen wird nämlich - außerhalb Chinas - von wenigen US-Konzernen dominiert. Für den Suchdienst Google, den Softwareentwickler Microsoft oder den Versandhändler Amazon sind solche »Cloud«-Dienstleistungen mittlerweile lukrativer als das angestammte Geschäft.

In der EU-Kommission und Europas Hauptstädten wird diese Abhängigkeit von außereuropäischen Datenkraken zunehmend kritischer gesehen. Datenschutzbeauftragte in Deutschland sprechen von einer »Transferproblematik«, da die US-Wirtschaft weit laxer mit Daten umgehe, als es die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vorsehe, und US-Behörden leichten Zugriff auf Daten haben.

Die EU bastelt an einem Konzept zur »digitalen Souveränität«. Ein großer Baustein soll das Projekt Gaia-X werden. Nach monatelangen Vorbereitungen hatten im September 22 Unternehmen und Institutionen - je elf aus Deutschland und Frankreich - eine Gaia-X-Gesellschaft in Brüssel gegründet. Zu den Mitgliedern gehören Bosch, SAP und Telekom sowie die Forscher der Fraunhofer Gesellschaft. Die EU bastelt an einem Konzept zur »digitalen Souveränität«. Die Cloud-Initiative soll es Europas Unternehmen ermöglichen, Daten sicher miteinander zu teilen, auf Basis von EU-Recht und ohne, dass Amazon, Google oder Microsoft Zugriff haben.

Für Außenminister Heiko Maas (SPD) geht es um eine »Machtfrage«, um Europas Unabhängigkeit. Für Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ist der Aufbau einer europäischen Dateninfrastruktur »ein zentrales Vorhaben«, um Wettbewerbsfähigkeit, digitale Innovationskraft und zukunftsfeste Arbeitsplätze in Deutschland und Europa zu sichern. Er sei zuversichtlich, dass es schnell gelingen werde, genügend aktive Mitglieder zu gewinnen, damit Gaia-X nicht wie manch anderes europäisches, privat-staatliches Großprojekt im Sande verläuft.

Auch Deutschlands Industrieverband BDI erhofft sich einen kräftigen Digitalisierungsschub durch eine Euro-Cloud. »Es muss nun darum gehen, Gaia-X schnellstmöglich zu einem gesamteuropäischen Projekt auszubauen.« Nahezu alle Unternehmen in Europa seien »auf vertrauenswürdige Daten-Ökosysteme angewiesen«. Insbesondere Mittelständer benötigten einen einfachen Zugang zu Datennetzwerken, welche die hohen europäischen Sicherheitsstandards erfüllen.

Noch bleiben die Ankündigungen der Gaia-X-Initiatoren selbst für Fachleute nebulös. Mehr Details verspricht der Digitalgipfel des Bundeswirtschaftsministeriums, der ab Montag als virtuelle Veranstaltung stattfindet. Kanzlerin Angela Merkel hat ihr »Kommen« angekündigt.

Mancher Ansatz für die Euro-Cloud dürfte auf Kritik stoßen. So schlägt der BDI vor, Gesundheitsdaten über Gaia-X für die medizinische Forschung bereitzustellen. Ausgerechnet Chinesen und US-Amerikaner bekunden Interesse an einer Teilnahme oder sind, so berichtet der Infodienst »Heise«, bereits Partner oder Mitglieder technischer Arbeitsgruppen. Auf einem zweitätigen digitalen »Gaia-X Summit« Mitte November hatten Vertreter von Amazon, Microsoft & Co. versichert, Prinzipien wie Datenschutz, Interoperabilität und Offenheit einzuhalten. »Wir glauben an Open Source und eine offene Cloud«, erzählte Wieland Holfelder, Leiter von Googles Entwicklungszentrum in München.

In Fachforen stieß eine Beteiligung von US-Multis auf heftige Kritik: Wenn die erst mal wo mit drin seien, hielten die sich an gar nichts. Und selbst wenn, an US-Behörden führt dann kein Weg vorbei. Der »Cloud Act« zwingt seit 2018 US-Internetfirmen grundsätzlich dazu, jegliche Daten weltweit herauszugeben. Das gilt auch für Daten, die in der EU gespeichert und verwaltet werden.

Das US-Recht sei das Problem der Amerikaner, meint Boris Otto, Interims-Technikchef von Gaia-X und Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik in Dortmund. Gaia-X solle vor allem Spielregeln festlegen. Wer sich daran halte, dürfe mitmachen. Etwa müsse der Wechsel von einem Anbieter zu einem anderen einfach möglich sein - was US-Clouds ihren Kunden in der Praxis verwehren. Ein hoher EU-Cloud-Standard könne genau wie die europäische Datenschutz-Grundverordnung ein Exportschlager werden. Angeblich soll sogar China daran interessiert sein.

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