Der Billionen-Kompromiss

EU-Haushalt lässt viele Wünsche offen - Ungarn und Polen drohen für den nächsten Regierungsgipfel mit einem Veto

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit tritt die Politik. So blieb von der Ankündigung eines gewaltigen »Green Deal«, mit der Ursula von der Leyen ihre EU-Präsidentschaft vor einem Jahr begann, in ihrem ersten Haushalt wenig übrig. Der »Green Deal« sollte das Klima schonen und zugleich Wachstumsmotor für die Union werden. Rund 1,1 Billionen Euro umfasst der neue EU-Haushalt für 2021 bis 2027. Ein Rekordhaushalt, berücksichtigt man den Austritt Großbritanniens.

Größter Posten bleiben die Subventionen für die Landwirtschaft: 356 Milliarden Euro. Das hat Tradition. Immerhin ist der Anteil, der in die Agrarbranche fließt, geschmolzen: von 38,8 Prozent auf 33,2 Prozent. Kritik an der »Gemeinsame Agrarpolitik« (kurz: Gap) gibt es, seit sie 1962 eingeführt wurde. Nahezu jedes der heute 27 Mitgliedsländer vertritt eigene Interessen. So arbeitet noch jeder zehnte Pole in der Landwirtschaft. Zuletzt müssen dann alle drei Institutionen der EU - die Kommission, das Parlament und der Ministerrat - einen Kompromiss finden.

Kritiker bemängeln vor allem zwei Punkte: Industrielle Agrarunternehmen beispielsweise in Ostdeutschland werden gegenüber den traditionell kleinen Bauernhöfen etwa in Bayern bevorteilt; und insgesamt sei die Landwirtschaftspolitik zu wenig auf ökologische Ziele ausgerichtet. Drei Viertel der EU-Agrar-Mittel gehen künftig als Direktzahlungen an Landwirte, kaum weniger als bisher. Entscheidend ist vor allem die Größe der Fläche, die ein Betrieb bewirtschaftet, und die Zahl der Tiere. Ein großer Milchbetrieb kann so auf Millionenzahlungen kommen, während ein kleiner Bio-Bauer, der die Landschaft im Schwarzwald pflegt, nur wenige tausend Euro erhält.

Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftspolitik (ZEW) findet das Ergebnis »hochgradig enttäuschend«. Erneut hätten sich die »Besitzstandswahrer« durchgesetzt. Eine mutige Umschichtung des Budgets in Richtung echter europäischer öffentlicher Güter sei nicht gelungen. Allein mit den Direktzahlungen an große landwirtschaftliche Betriebe werde bereits ein Viertel des EU-Haushalts »vergeudet«. Umstritten sind auch die sogenannten Strukturhilfen, mit denen wirtschaftlich schwächeren Regionen geholfen werden soll. Über diese Programme fließt ein Großteil des Geldes, das die Bundesrepublik in den EU-Haushalt einzahlt, wieder nach Deutschland zurück, vor allem in ostdeutsche Länder und Nordrhein-Westfalen.

Das Europäische Parlament hat kleinere Korrekturen erreicht, mit nun etwas erhöhten Budgets unter anderem für Forschung, Gesundheit und das studentische Austauschprogramm »Erasmus«. »Außerdem konnte sich das Parlament auch beim Thema Naturschutzfinanzierung durchsetzen«, lobt die Umweltorganisation Nabu. Neben dem vagen Ziel, 30 Prozent aller EU-Gelder zukünftig für den Klimaschutz auszugeben, soll es nun ab 2024 eine eigenständige Quote für Biodiversität geben. Damit wird zum ersten Mal auf europäischer Ebene ein verbindliches Ziel verankert, Gelder in den Naturschutz zu investieren.

Die wochenlangen Verhandlungen, durch die am Ende der Mega-Haushalt um ganze 15 Milliarden Euro aufgestockt wurde, verhinderten allerdings einen schnellen Start der Corona-Hilfen. Schon im Juli hatten sich die Staats- und Regierungschefs auf einem Gipfeltreffen darauf geeinigt, im Kampf gegen die Coronakrise erstmals eigene EU-Schulden aufzunehmen. Dies gilt schon jetzt als ein Meilenstein in der Geschichte der Union. Die Kredite sollen bis 2058 abgestottert werden.

Bislang war eine »Vergemeinschaftung der Schulden«, wie auch eigene EU-Steuern etwa auf Finanztransaktionen, an dem Veto von Regierungen im Norden und Osten sowie der schwarz-roten Bundesregierung gescheitert. Doch die Pandemie hat die Ablehnungsfront aufgeweicht. Nun sollen Corona-Hilfen für wirtschaftlich angeschlagene Staaten in einer Höhe von insgesamt 750 Milliarden Euro fließen, die Hälfte als Zuschuss, die andere Hälfte als Darlehen. Damit soll vor allem Ländern wie Italien oder Griechenland geholfen werden, die besonders stark unter Corona zu leiden haben. Auch Spanien rechnet für dieses Jahr mit einem Einbruch der Wirtschaftsleistung von 12,4 Prozent - doppelt so viel wie in Deutschland.

Jetzt müssen alle 27 Mitgliedstaaten noch zustimmen, was in Polen und Ungarn unsicher ist. Die Auszahlung von Mitteln aus dem EU-Haushalt wird erstmals direkt an die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten geknüpft. »Wir werden über einen wirksamen Mechanismus verfügen, um das Geld der Steuerzahler zu schützen, falls es uns die rechtsstaatliche Situation nicht mehr erlaubt, EU-Gelder zurückzuverfolgen«, orakelt Haushaltskommissar Johannes Hahn.

Polen und Ungarn haben ihr Veto gegen die geplante Verbindung der EU-Gelder mit der Einhaltung von EU-Rechtsstaatsprinzipien eingelegt. Deshalb kann das insgesamt 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpaket nicht verabschiedet werden, und die darin enthaltenen 750 Milliarden des Corona-Wiederaufbaufonds können nicht fließen. Am 10. Dezember findet die nächste Gipfelkonferenz statt.

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