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Räkeln und Ruhe

Eine Ausstellung mit Werken von Harald Metzkes und Gero Troike in Soest - auch digital erlebbar

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Haben wir Augen, so haben wir das Geschenk der Welt gesehen: die Ankunft der Farben. Wer sich in Bilder versenkt, der weiß: Das Wichtige hat stattgefunden - Wirkung, nicht Wissen. Die Maler Harald Metzkes und Gero Troike stellen gemeinsam im nordrhein-westfälischen Soest aus - im Museum Wilhelm Morgner; es ist Bildkunst aus Räumen, in denen die Zeit nicht davonläuft. Bildkunst, in der das Dasein kein Splitterwerk aus Überstürzung ist. Beide Maler sind Mählichkeitsvirtuosen. Sie sehen in dem, was da ist, das nicht Erwartete. Wie man in einem Bekennerbrief gern ein Schweigen entdeckte. Oder sich Wechselgeld wünschte, das aus Glückspfennigen besteht. Diese beiden Künstler ruhen im Erdigen, diese Kraft lässt ihre Farben nie ins Nervöse, Unruhige kippen.

»Maler und Modell« heißt die Ausstellung. Metzkes zeigt nackte Frauen, Paare, Gegenden aus Tisch und Stuhl, Strand und Bett, mit Katze und Kaffeemaschine. Metzkes setzt mit seinen Modellen das Mütterliche in die Mitte, das Leibliche souverän in die Vordergründe, die Lust und die Sorge vereinen ihre Energien zur Balance. Ein Gleichgewicht, das den Schmerz und die Schönheit streiten lässt - feuerfarbig, meeresgrün, erfahrungsdunkel. Räkeln und Ruhe. Bewegung hält sich in dieser Malerei von vorgeblichen Hauptsachen der Existenz fern. Weil die am leichtesten zu verfehlen sind. Weil wir die wirklich großen Dinge ja fortwährend verfehlen, vor allem dann, wenn wir sie im Munde führen.

Gero Troike zeigt uns Interieurs als Bühnenbilder einer irrlichternden Szenerie, die an Kleists Marionetten, an E.T.A. Hoffmann, an den Fundus eines Theater denken lässt. Über den Gemälden liegt gern ein dämmriger Schleier, eine hauchdünne neblige Schicht: Die Unschärfe siegt über die Kontur - wir existieren im Verschwommenen. Die Motive, die Troike abtastet, sind übersichtlich; die Welt, die er entlanggeht, ist klein; der Rahmen, den er steckt, wagt sich nicht an gewaltige Horizonte - aber sieh nur, wie Kiste und Kugel, Hobel und Sägeblatt, Holzwürfel und Vase den Gedanken des Betrachters lösen! Nämlich jenen so einfachen Gedanken daran, dass die Stille der letzte Anarchist ist. Die Stille, bevor die Arbeit beginnt - das Malen, das Tischlern, das Sinnen vor offenem Fenster.

Ein Maler der grauen, ja tristen Wände und Flächen ist Troike. Er lässt uns auf Bretterfußböden schauen, deren Linien mit den Schatten eine fast nüchterne Geometrie aufziehen. Fenster bleiben aus Solidarität mit leeren Bilderrahmen blind. Auf Tischen immer wieder jene besagten alltäglichen Gegenstände, von denen man nicht weiß, ob sie auf Menschen warten oder von ihnen befreit sind, ob sie also von Nutzbarkeit träumen oder von dieser endlich entlastet wurden. Dinge im Gespräch miteinander, im Schweigen füreinander. Eher schüchtern als prunkend.

Das Wunder Leben steckt in der Feier der Begrenzung, im betrachtenden Ausgleich - der geringen Möglichkeiten mit den großen Sehnsüchten. Und der Maler sitzt vor seiner Staffelei, als habe er begriffen, dass alles Handeln, und sei es noch so meisterhaft, nur unser natürliches Ungeschick offenlegt: die Welt und uns selbst zu begreifen. Troike ist malend ein Regisseur des Ausschnitts. Das bringt die Dinge hervor. Erhebt sie zu tätigen Wesen, die somit auf ihre Weise erzählen, dass nichts je an sein Ende kommt, dem wir eine feststehende Form geben wollen. Es weht eine »zerbrechliche Anmutung« herüber, schreibt Dorit Litt im Katalog.

Troike, 1945 geboren, war viele Jahre einer der bedeutendsten Bühnenbildner der DDR. Sein Name ist mit den großen Inszenierungen von Manfred Karge, Matthias Langhoff, Alexander Lang, Thomas Langhoff und Jürgen Gosch verbunden. Er ging 1984 in den Westen, lebt im Sauerland, in einem Forsthaus. Die gemeinsame Exposition führt ihn mit dem 91-jährigen Metzkes zusammen, den er - als Kascheur - 1970 an der Berliner Volksbühne kennengelernt hatte. Benno Besson inszenierte Molière, Metzkes schuf das Bühnenbild. Jetzt also: späte Wiederbegegnung zweier Theaterleute, die von ihrer eigenen Bühne auf die Welt blicken. Ist sie leer geworden? Will sie noch etwas sagen? Nein, aber sie hat zu tun - sie bereitet sich auf ihre Verwandlung in den Bildern der Maler vor. Bilder wie Höhlen, in denen man verstanden wird, indem man endlich aufhört, immer nur das Richtige sagen zu wollen.

In Troikes »Triptychon Atelier - morgens, am Tag, abends« spiegelt sich im geöffneten Fenster das Draußengrün. Auf einem Stuhl steht eine leere Vase: Sie besitzt Präsenz auch ohne Blumen - nichts auf dieser Welt ist nur Mittel zum Zweck. Auf Metzkes’ Bild »Modellpause« sitzt die Nackte auf dem Boden, erholt sich von der Haltung, die das Gemaltwerden fordert; ein leichter Wind bewegt einen Vorhang so, dass Helle hereinweht, und die Gardine tanzt eine Gelöstheit vor, für die der Mensch die Kunst erfinden musste, um sie für lebbar zu halten.

»Harald Metzkes - Gero Troike: Maler und Modell« als Video zu sehen unter: www.soest.de

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