nd-aktuell.de / 03.12.2020 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 15

Das Erdöl der Zukunft

Die globale Windindustrie strotzt vor Optimismus und setzt auf Wasserstoff

Hermannus Pfeiffer

Immer mehr und immer größer: Dies sind zwei Megatrends in unserer Zeit. Die Weltbevölkerung wächst und immer mehr Menschen können sich einen «westlichen» Konsum leisten. Immer mehr und immer größere Pkw werden hergestellt, Arbeit und Alltag werden zunehmend digitalisiert, die globalen Handelsströme werden noch reißender, die durchschnittliche Wohnungsgröße in den Metropolen steigt, und der Umbau der Energieversorgung sowie die Modernisierung der gesellschaftlichen Infrastruktur verschlingen immer größere Billiardensummen. All diese stoffliche Fülle benötigt Unmengen an Rohstoffen - und an neuer Energie. Davon will die Windindustrie an vorderster Stelle profitieren. Dies ist die Botschaft, die von der internationalen Leitmesse «Wind Energy» in Hamburg ausgeht, die erstmals ausschließlich im Internet stattfindet.

Corona hat auch der Windindustrie eine Flaute beschert. Global ging das Volumen der Neuinstallationen in diesem Jahr um sechs Prozent zurück. «Nur!», meint der Chef des Welt-Windenergie-Organisation GWEC, Ben Backwell, dazu. Und die Zukunft erscheint stürmisch: Seien heute in Europa noch weit weniger als 200 Gigawatt installiert, werden es im Jahr 2050 fast 800 sein. Einen ähnlichen kräftigen Aufbau erwartet Backwell nicht allein für die USA und China - «den führenden Windmächten» -, sondern auch für weniger entwickelte Länder und Regionen wie Vietnam, Indien, Thailand oder Südamerika. Das ist ein Optimismus, den international agierende Konzerne wie Siemens Energy, Vesta und Zulieferer ebenfalls auf der viertägigen Messe ausstrahlten.

Derweil stockt in Deutschland der Neubau an Land. Die Gründe sind den Experten zufolge divers und reichen von sinkenden Subventionsanreizen durch die Bundesregierung bis hin zu lokalem Widerstand gegen Windkraftanlagen. Etwas optimistischer sieht die Branche die aktuellen Entwicklungen in Nord- und Ostsee. Die EU-Kommission hat erst im November eine Strategie zum Ausbau der Offshore-Energie vorgelegt. Demnach soll bis 2050 fast die Hälfte der Windenergie in europäischen Gewässern installiert sein. Nur so könne das Ziel einer «klimaneutralen» EU erreicht werden, assistiert Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).

Doch auch die hiesige Windindustrie steht «vor einer deutlich besseren Entwicklung als in den Vorjahren». Zu diesem Ergebnis kommt eine Befragung von Betriebsräten im Auftrag der IG Metall. Noch besser bewerten die Arbeitnehmervertreter die internationalen Märkte - insbesondere Asien und das restliche Europa. «Wir haben in den vergangenen Jahren erheblich an Arbeitsplätzen und Wertschöpfung in Deutschland verloren. Darüber dürfen diese aktuellen Zahlen nicht hinwegtäuschen», so Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste. «Auch in diesem Jahr hat sich der Kahlschlag in einigen Unternehmen - etwa bei Enercon in Aurich und Magdeburg - fortgesetzt.» Laut der Befragung stabilisiert sich die Beschäftigungsentwicklung aber langsam. Dabei müsse der Ausbau der Windenergie von der Politik mit der Einhaltung von Tarifverträgen und regionaler Wertschöpfung verbunden werden.

Jüngster Hoffnungsträger der Windindustrie ist das «Erdöl der Zukunft», Wasserstoff. Es wird bislang in verschiedenen Verfahren aus fossilen Brennstoffen hergestellt. Wird das Gas jedoch durch Elektrolyse unter Verwendung von Windstrom erzeugt, wird daraus «Grüner Wasserstoff» mit vergleichsweise geringem CO2-Fußabdruck. Als äußerst vielseitiger Mehrzweck-Energieträger ist Wasserstoff für unterschiedlichste Anwendungsformen geeignet, beispielsweise als Treibstoff oder zur Speicherung überschüssiger Energie.

In Industrie, Logistik und Schifffahrt ist geradezu ein Grüner-Wasserstoff-Hype ausgebrochen. Flankiert wird der geplante massive Ausbau der Kapazitäten durch europäische, nationale und regionale Wasserstoffstrategien. Diese sind besonders für energieintensive Branchen und Warentransport interessant. Gleichzeitig lassen sich «mehr als 60 Prozent des Energieendverbrauchs durch direkte Elektrifizierung der Verbraucher decken», erklärte Giles Dickson vom europäischen Dachverband Wind Europe.

Nicht der gesamte benötigte Strom wird hierzulande produziert werden können. Dies erwarten zumindest Industrie und Politik. Wie heute Erdöl und Gas importiert werde, müsse man zukünftig erneuerbare Energien einführen, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Altmaier übergab daher am Mittwoch einen ersten Förderbescheid über 8,2 Millionen Euro für ein grünes Wasserstoff-Projekt in Chile an den Vorstandsvorsitzenden von Siemens Energy, Christian Bruch. Im Projekt «Haru Oni» wird mit Windstrom ein synthetischer Treibstoff hergestellt. Als Abnehmer in Deutschland steht Porsche bereit. Ähnliche Projekte sind dem Vernehmen nach unter anderem mit Australien, Mexiko und Saudi-Arabien in Planung.