Eröffnung mit Distanz

Die U5 fährt nun durch Berlins Mitte - an weiteren Strecken scheiden sich die Geister

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Umsteigemöglichkeit zwischen U5 und U6 am neuen Bahnhof Unter den Linden wurde von Anfang an rege genutzt.
Die Umsteigemöglichkeit zwischen U5 und U6 am neuen Bahnhof Unter den Linden wurde von Anfang an rege genutzt.

Nach 26 Jahren fühlt man sich auch befreit. Man gibt das Kind jetzt ab«, sagt Architekt Axel Oestreich. 1994 begann für ihn die Planungsgeschichte des U-Bahnhofs Unter den Linden, der am Freitag als Teil der Verlängerung der U5 vom Alexanderplatz zum Hauptbahnhof seine Premiere im Fahrgastbetrieb feiert. Mit dem Eröffnungstermin richtet sich Berlin nach dem katholischen Heiligenkalender - ungewöhnlich für eine in großen Teilen atheistische Stadt. Denn der 4. Dezember ist der Tag der Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute und Tunnelbauer.

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Es ist nicht das einzige Ungewöhnliche an dieser Eröffnung. Denn Architekt Oestreich war in einem Videoeinspieler zu sehen. Der ganze Einweihungsklimbim findet für die Presse online statt, bis auf die Filmchen immerhin live. Los geht es um 10 Uhr am U-Bahnhof Rotes Rathaus. Seine weißen Pilzkopfstützen, die die Decke tragen, sollen eine Reminiszenz an die bei den Bauarbeiten gefundenen Überreste des alten Berliner Rathauses aus der Gotik sein, so Architekt Oliver Collignon. Die schwarzen Betonsteinelemente an den Wänden mit ihren Rundungen und schrägen Kanten sollen wiederum die Dynamik der Züge im Untergrund aufgreifen. Weil jedes Teil der Wandverkleidung ein Einzelstück ist, brachte dieses Puzzlespiel die Bauleute ganz schön ins Schwitzen.

»Das ist ein toller Tag für Berlin«, freut sich der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), bevor er zusammen mit BVG-Chefin Eva Kreienkamp und einer Handvoll weiterer Personen in den Sonderzug einsteigt.

Dann rauscht der Zug in Richtung Westen und fährt ohne Halt im Bahnhof Museumsinsel durch. Die schöne, von Schinkel inspirierte kobaltblaue Decke mit einem Sternenhimmel aus Lichtpunkten über den Gleisen werden bis Sommer nächsten Jahres eigentlich nur die Zugführer der U-Bahn bewundern können. Auf der Gleisebene ist alles fertig, nur die Ausgänge sind es noch nicht. Der Bahnhof soll im Sommer 2021 in Betrieb genommen werden.

»Wir hätten uns ein großes Fest gewünscht. Wir hoffen, dass wir bei der Eröffnung des Bahnhofs Museumsinsel etwas mehr Glück haben«, sagt BVG-Chefin Kreienkamp an der Endstation des Sonderzuges, dem Bahnhof Unter der Linden. Dort kreuzen sich U5 und U6, auf letzterer geht im Gegenzug nach 97 Jahren der U-Bahnhof Französische Straße außer Betrieb. Mit nicht einmal 150 Metern ist die Distanz einfach zu kurz.

»Der beengte Umsteigebahnhof Friedrichstraße der U6 wird entlastet«, freut sich Jens Wieseke, Sprecher des Berliner Fahrgastverbands IGEB über den neuen Knotenpunkt. Die vor Corona erstellten Fahrgastprognosen gingen von 155 000 Passagieren auf dem neuen U5-Teilstück aus. Sowohl die U2 als auch die Stadtbahnstrecke der S-Bahn dürften entlastet werden. Wieseke sieht auch großen Nutzen darin, dass nun bei Störungen oder Bauarbeiten eine leistungsfähige Alternative zur Verfügung steht.

In der Baugeschichte der neuen Strecke spiegelt sich auch die Nachwendegeschichte wider. Deren Bau hatte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) gefordert. Als der Hauptstadt das Geld ausging, wurde der Bau gestoppt und später dann doch wieder aufgenommen, weil der Bund drohte, Zuschüsse zurückzufordern. 2009 ging die Stummellinie U55 vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor in Betrieb, im März 2020 wurde die fast nur von Touristen genutzte Linie stillgelegt. Die Arbeiten für die nun fertige, 2,2 Kilometer lange Strecke vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor dauerten da bereits fast zehn Jahre. Am Ende wird der Bau wohl 540 Millionen Euro gekostet haben. Eine ziemliche Punktladung, wenn man bedenkt, dass 2013 mit 525 Millionen Euro kalkuliert wurde.

»Dauer und Kosten dieser U-Bahn-Verlängerung zeigen, dass U-Bahn-Bau nicht geeignet ist, das Angebot öffentlicher Verkehrsmittel schnell und preiswert zu verbessern«, sagt Fahrgastvertreter Wieseke. Nur mit einem zügigen Straßenbahnausbau sei die Verkehrswende zu schaffen. Eine bittere Pille ist für ihn, dass mitten in der Pandemie die Busanbindung der Charité verschlechtert wird. Ab Fahrplanwechsel am 12. Dezember wird die Linie 245 das Gelände der Klinik nicht mehr anfahren - sie fährt weitgehend parallel zur U5.

Etwas vermiest hat dem Regierenden Bürgermeister den großen Tag offenbar eine am Mittwoch vorgestellte Studie, derzufolge die von der SPD favorisierten weiteren U-Bahn-Bauten wegen geringer Fahrgastzahlen den Klimawandel beschleunigen würden. Stahl und Beton sind wahre CO2-Schleudern. »Dass wir nicht mehr große neue Linien bauen werden aus Kosten- und Umweltgründen, ist wohl klar«, sagt Müller. Es gebe aber Situationen in der Stadt, wo kurze Verlängerungen wichtig seien. Er nennt Strecken ins Märkische Viertel, von Rudow nach Schönefeld und die Verlängerung der U3 zum Mexikoplatz. »Die Gegenrechnung der Betonmassen, bis der Bau sich amortisiert hat, halte ich für eine Milchmädchenrechnung«, so Müller weiter.

Auch der technische Geschäftsführer der BVG Projekt GmbH, Jörg Seegers, möchte gern weiter Tunnel bauen. Zunächst steht die Sanierung des sogenannten Waisentunnels an, einer Betriebsstrecke von der U5 zur U8 nahe dem Alexanderplatz. »Es ist ein kleines Projekt, aber superspannend«, sagt er zu »nd«. Der Tunnel ist seit Jahren wegen Baufälligkeit gesperrt. Seitdem ist die U5 und damit auch die Betriebswerkstatt Friedrichsfelde vom restlichen Netz isoliert. Ein großes Problem für die Wartung. Die Bauarbeiten könnten 2023 starten.

»Die U5 ist die langsamste Linie im Großprofilnetz der U-Bahn«, kritisiert Linke-Verkehrsexperte Kristian Ronneburg. Wegen alter Signaltechnik ist nur Tempo 60 zulässig und nicht bis zu 70 Kilometer pro Stunde wie auf U6 bis U9. Die BVG hat neue Signaltechnik für die Linie ausgeschrieben, doch bis zur Inbetriebnahme wird es noch lange dauern. Spätestens für 2030 plant der Senat das. Damit würde die Reisezeit von Hönow zum Hauptbahnhof von aktuell 41 Minuten rund zehn Prozent kürzer, die BVG und damit das Land könnte sogar bares Geld sparen. Für das gleiche Fahrtangebot würde ein Zug weniger benötigt werden. So etwas summiert sich auf Hunderttausende Euro pro Jahr.

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