Die Leiden der grünen Geostrategen

Partei will mehr deutschen Einfluss in der Welt.

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass der kleinere Koalitionspartner den Außenminister stellt. Auch deswegen richten sich viele Blicke nun auf die Grünen, die nach der nächsten Bundestagswahl eine Regierung mit der Union bilden könnten. Als die Partei erstmals das Außenressort übernahm, bedeutete das eine Zäsur in der deutschen Politik. Unter Minister Joschka Fischer und der rot-grünen Koalition beteiligte sich die Bundeswehr Ende der 1990er Jahre erstmals an einem Kriegseinsatz. Dieser richtete sich im Konflikt um das Kosovo gegen Jugoslawien. Damals strebte die Bundesrepublik auch nach einer größeren Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten. Rot-Grün hielt sich beim Irak-Krieg zurück, den die USA und Verbündete vom Zaun brachen, und baute in dieser Zeit an der Achse Paris-Berlin-Moskau.

Doch diese existiert nicht mehr. Inzwischen will die Bundesregierung im Rahmen der EU oder der Nato eigene außenpolitische Ziele durchsetzen. Der Kampf um Einfluss in früheren Sowjetrepubliken zwischen westlichen Staaten und Russland ist zuletzt in der Ukraine eskaliert. Die Große Koalition sieht Moskau zwar als geostrategischen Konkurrenten, will aber nicht auf die geschäftliche Ebene verzichten, zum Beispiel beim Energieimport. Mit den Grünen in der Regierung würde sich zumindest der Ton verschärfen. Sie fordern härtere Sanktionen gegen Russland und den Stopp der Pipeline Nord Stream 2.

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Das nordatlantische Militärbündnis und die Partnerschaft mit den USA sind aus Sicht der Grünen unverzichtbar, um weiter Weltpolitik zu machen. Ansonsten würden andere Staaten in die Lücke stoßen, die der Westen hinterlässt. Das sagte kürzlich Parteichefin Annalena Baerbock der »Süddeutschen Zeitung«. Als Beispiel nannte sie den Konflikt um Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan, der wieder aufgeflammt war, und in dem Russland und die Türkei zentrale Rollen spielen. Dass das russische Militär die Einhaltung des Waffenstillstands überwachen soll, dürfte für Baerbock und andere deutsche Geostrategen sehr schmerzhaft sein. Denn damit sichert sich Russland den Ruf, eine Ordnungsmacht in der Kaukasusregion zu sein. Das wären EU und Nato auch gerne. Doch dafür braucht man regionale Verbündete. Zwar hat die EU mit Armenien vor drei Jahren ein Abkommen über eine umfassende und verstärkte Partnerschaft unterzeichnet und mit Aserbaidschan Verhandlungen aufgenommen, doch das hat den russischen Einfluss in der Region nicht brechen können. Russland pflegt mit beiden Staaten wirtschaftliche Beziehungen und ist ein enger Verbündeter Armeniens. Die Regierung in Aserbaidschan erhält zudem Unterstützung aus der Türkei.

Auch im Nahen Osten wollen führende Grüne eine stärkere deutsche Präsenz. So sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt vor einigen Jahren, es könnten Bodentruppen der Bundeswehr im Rahmen eines möglichen UN-Einsatzes gegen die Terrormiliz »Islamischer Staat« in Syrien eingesetzt werden. Der Vorstoß hatte auch deswegen wenig Substanz, weil Bundesrepublik und EU in dem Land keine ernst zu nehmenden Partner haben. Auch hier geben Russland, das den Präsidenten Baschar al-Assad stützt, und die Türkei, die mithilfe islamistischer Milizen kurdische Gebiete in Syrien überfallen und besetzt hat, den Ton an. Hinzu kommt, dass deutsche Militäreinsätze in der eigenen Bevölkerung unbeliebt sind, wenn Särge mit toten deutschen Soldaten aus den Einsatzgebieten zurückkommen. Deswegen ist die Regierung im Unterschied zu den Grünen zurückhaltend, was gefährliche Einsätze von Bodentruppen angeht.

Stattdessen setzt die Bundesrepublik verstärkt auf Rüstungsexporte, die auch geostrategisch von Bedeutung sind. Das Wirtschaftsministerium ist federführend dafür zuständig. Deutschland rüstet vor allem Autokratien und Militärdiktaturen in Nordafrika auf. Sie sind Partner im Kampf gegen islamistischen Terror und bei der Flüchtlingsabwehr. Die Grünen versprechen in ihren Programmen eine restriktive Rüstungsexportpolitik und den Schutz der Menschenrechte. In einem Bündnis mit der Union ist beides realitätsfern.

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