nd-aktuell.de / 05.12.2020 / Politik / Seite 5

Rechte Machtspiele

Im Streit um den Rundfunkbeitrag nähert sich die CDU in Sachsen-Anhalt der AfD an. Nun ist Innenminister Stahlknecht entlassen worden.

Max Zeising

Es war ein Interview mit Sprengkraft: Die Magdeburger »Volksstimme« veröffentlichte am Freitag ein Gespräch mit dem Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht, das den Streit um den Rundfunkstaatsvertrag und die damit verbundene Erhöhung des Rundfunkbeitrages um 86 Cent pro Monat auf eine neue Eskalationsstufe hob. In einem Tonfall, der sich jeglicher Zurückhaltung entledigt hat, goss Stahlknecht Öl ins Feuer.

Man müsse sich fragen, ob das Verfahren zur Ermittlung des Rundfunkbeitrages »noch zeitgemäß« sei, sagte der CDU-Landeschef. Die Ankündigung von SPD und Grünen, eine gemeinsame Abstimmung von CDU und AfD nicht mitzutragen, nannte Stahlknecht »eine Verformung, eine Pervertierung der Demokratie«. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, »dass die Menschen das Gefühl bekommen, sie dürften nicht mehr sagen, was sie denken«. Obendrein kündigte er im Falle eines Koalitionsbruchs eine CDU-Minderheitsregierung an.

Das Interview war nichts anderes als eine Rebellion gegen Ministerpräsident Reiner Haseloff, der sich stets zur »Kenia«-Koalition mit SPD und Grünen wie auch zur Abgrenzung nach rechts zur AfD bekannt hat. Die Reaktion folgte umgehend: Am Nachmittag entließ Haseloff seinen Innenminister. Das Vertrauensverhältnis zu Stahlknecht sei so schwer gestört, dass er der Landesregierung nicht weiter angehören könne. Die Linksfraktion fordert Haseloff nun auf, die Vertrauensfrage zu stellen. Der Richtungskampf innerhalb der CDU Sachsen-Anhalt sei offen ausgebrochen, teilte die Fraktionsvorsitzende Eva von Angern in einer Pressemitteilung mit: »Die CDU ist tief gespalten, es stehen sich unversöhnliche Flügel gegenüber. Die Menschen in Sachsen-Anhalt haben ein Recht darauf, zu wissen, wer im Landtag von Sachsen-Anhalt eine Mehrheit hat.«

Die Entlassung Stahlknechts steht am Ende einer für alle Beteiligten nervenaufreibenden Woche. Der Rundfunk-Streit verändert das parteipolitische Koordinatensystem in Sachsen-Anhalt - mit weitreichenden Auswirkungen für ganz Deutschland. Die CDU in Sachsen-Anhalt lehnt eine Anhebung des Rundfunkbeitrages ebenso ab wie die AfD, Grüne und SPD sind dafür. Dreierlei steht auf dem Spiel: erstens die seit Beginn auf wackeligen Füßen stehende schwarz-rot-grüne Koalition in Sachsen-Anhalt, zweitens die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und drittens die Abgrenzung zur AfD - zu einer Partei, die für die Demokratie eine Gefahr darstellt.

Nur wenn alle Landesparlamente dem Rundfunkstaatsvertrag bis zum 31. Dezember zustimmen, kann dieser wie geplant am 1. Januar in Kraft treten. Sachsen-Anhalt ist das einzige Bundesland, in dem es bislang keine Mehrheit dafür gibt.

Auch in dieser Woche haben sich die Koalitionäre nicht geeinigt. Am Dienstag berieten sie stundenlang bis tief in die Nacht, um dann den vor der Staatskanzlei in Magdeburg wartenden Journalisten zu sagen, dass sie noch nichts sagen können. Am Mittwoch wurde die befürchtete Eskalation im Medienausschuss gerade so vermieden, der Ausschuss wurde unterbrochen und soll am kommenden Mittwoch fortgesetzt werden. Ziel ist die Erarbeitung einer Beschlussempfehlung für die Abstimmung im Landtag am 15. Dezember.

Im Machtkampf zwischen Haseloff und seiner Fraktion, die den Rundfunkbeitrag ablehnt, hat sich Stahlknecht mit dem Interview eindeutig positioniert. Er biedert sich jenen Abgeordneten in seiner Fraktion an, die offenbar glauben, mit Populismus und einer gewissen Offenheit nach rechts die Seele des »Volkes« zu erreichen. Insbesondere im Medienausschuss tummeln sich mehrere davon.

Da wäre zum Beispiel Lars-Jörn Zimmer, der einst mit seinem Fraktionskollegen Ulrich Thomas eine viel beachtete Denkschrift verfasste, in der die beiden forderten, »das Soziale mit dem Nationalen« zu versöhnen. In einem ZDF-Interview deutete Zimmer später an, eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht auszuschließen: »Ich kann keine 25 Prozent der Wählerinnen und Wähler vor den Kopf stoßen und sagen: Mit euren Vertretern rede ich nicht.«

Da wäre auch Detlef Gürth: Nachdem sich die medienpolitische Sprecherin der CDU-Bundestagsfraktion, Elisabeth Motschmann, in die Debatte um den Rundfunkbeitrag eingeschaltet und es gewagt hatte, ihre Parteikollegen in Sachsen-Anhalt zu kritisieren, fragte Gürth auf Twitter höhnisch, wer diese »Frau Butschmann« sei, und zog bei der Gelegenheit gleich über den »Zwergen-Sender Radio Brehmen« her. Der Ostbeauftragte Marco Wanderwitz erklärte ihm dann, wer Frau Motschmann ist - unter großem Gelächter des Twitter-Publikums.

Da wäre Markus Kurze, der einst im Landtag eine bemerkenswerte Rede hielt, die sich in ihrem Tonfall von jenem der AfD kaum noch unterschied. »80 Prozent der Menschen, die hierher gekommen sind, waren junge Männer, die normalerweise ihr Land aufbauen müssten«, zeterte Kurze und klopfte wütend auf das Rednerpult, als sei es der Tresen seiner Stammkneipe. Ein anderes Mal beklagte er sich über diese »hysterischen weiblichen Teilnehmer« bei Fridays for Future, sprach von »grünen Lügen« und »Klimawahn«.

Die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt blinke nicht zum ersten Mal nach rechts, sagte der Politikwissenschaftler Michael Lühmann dem »nd«. »Es gibt in Teilen der ostdeutschen CDU den seltsamen Glauben, dass man die AfD thematisch enteignen könne, wenn man nur weit genug nach rechts rückt.« Richtig sei aber das Gegenteil, wie beispielsweise in Schleswig-Holstein mit Daniel Günther oder Nordrhein-Westfalen mit Armin Laschet zu beobachten sei: »Je liberaler die CDU ist, desto weniger legitimiert sie AfD-Positionen, desto schwächer ist die AfD.«

Die CDU würde sich mit einem Scheitern von »Kenia« wohl selbst keinen Gefallen tun, darauf deuten die Erfahrungen in Thüringen hin. Anfang des Jahres wählten dort CDU und AfD gemeinsam den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum kurzzeitigen Ministerpräsidenten. Von diesem sogenannten Dammbruch profitierte in Umfragen vor allem die Linkspartei, die CDU stürzte zunächst ab und erholte sich nur langsam.

Man kann die Aussagen der CDU-Abgeordneten aber auch ganz anders deuten, als eine Art Ost-Rebellentum, nach dem Motto: Das »gallische Dorf« Sachsen-Anhalt wehrt sich gegen den »westdeutsch dominierten Mainstream«, auch in den Medien.

So beklagen beispielsweise manche CDU-Leute, dass das Saarland einen eigenen Rundfunkkanal habe, während sich drei Ost-Länder - Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen - den MDR teilen. Nur: Warum befinden sich diese Politiker in der gleichen Partei wie jener Helmut Kohl, der als Bundeskanzler erst blühende Landschaften versprach und dann die Abrissbagger in den Osten schickte?

Um Ost-Identität gehe es nur vordergründig, sagt Lühmann: »Die CDU nimmt eine Gegenposition zu der Idee von Weltoffenheit und Pluralismus ein. Damit spricht sie das kleinbürgerlich-weiß-deutsche Milieu der DDR an.«

Vermutlich hat die CDU eher Angst - um ihre Wahlkreise. Jahrelang hatten die Konservativen ein Abonnement auf die meisten Direktmandate im Land. Nun macht die AfD ihnen diese streitig. Schon bei der Landtagswahl 2016 ging fast der gesamte Süden Sachsen-Anhalts an die Rechtsradikalen. Nach aktueller Wahlkreisprognose sieht es heute kaum anders aus. In einer kürzlich veröffentlichten Insa-Umfrage steht die AfD bei 23 Prozent und ist damit so etwa stark wie bei der Wahl 2016.