Bundesregierung will Kurden nach Bulgarien abschieben

Linkspartei befürchtet Kooperation bulgarischer und türkischer Behörden bei Bekämpfung von Oppositionellen

Zwischen der Türkei und Bulgarien gibt es besonders enge Beziehungen. Dem bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borissow und dem türkischen Präsidenten Reccep Tayyip Erdogan wird eine Männerfreundschaft nachgesagt. Diese enge Beziehung hat Konsequenzen. Mitte September berichtete der »Spiegel« über den Fall des kurdischen Politikers Selahattin Ürün.

Der 39-jährige Ürün ist in der linken HDP aktiv, trat 2019 zur Bürgermeisterwahl in der Stadt Qilaban an, unterlag dort jedoch einem Kandidaten der Regierungspartei AKP. Ende des Jahres 2019 entschloss er sich - nach einer vorübergehenden Inhaftierung, bei der nach eigenen Angaben gefoltert wurde - zur Flucht aus der Türkei. Selahattin Ürün schaffte es nach Bulgarien, wurde dort jedoch im Januar 2020 festgenommen. Die Türkei hatte das bulgarische Innenministerium über Ürün informiert und ihm eine Mitgliedschaft in der PKK vorgeworfen. Die Forderung der türkischen Behörden: die Abschiebung Ürüns. Der kurdische Politiker wehrte sich dagegen jedoch juristisch, er wollte als politischer Flüchtling anerkannt werden. Daraus wurde nichts. Ürün erhielt nicht die Möglichkeit, vor Gericht seine Situation darzustellen. Elf Tage vor einem geplanten Gerichtstermin am 29. September wurde Selahattin Ürün aus Bulgarien in die Türkei abgeschoben. Seine Status wurde nicht gerichtlich geklärt.

Die Berichterstattung über den Fall Selahattin Ürüns bewegte die Bundestagsabgeordnete Helin Evrim Sommer (Linkspartei) zu einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung. Sommer wollte wissen, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit türkisch-kurdischen Asylsuchenden umgeht, die über Bulgarien in die Bundesrepublik einreisten. Sommer mahnt an, diese würden in Bulgarien »trotz offensichtlichen Schutzbedarfs« keinen internationalen Schutzstatus erhalten. Aus der Antwort des Bundesinnenministeriums, die dem »nd« vorliegt, geht hervor, dass vom BAMF in diesem Jahr in insgesamt 371 Fällen »Übernahmeersuche« an Bulgarien gestellt wurden.

In 86 Fällen stimmte Bulgarien der Übernahme zu. Drei dieser 86 Fälle betreffen »türkische Staatsangehörige mit kurdischer Volkszugehörigkeit«, wie es im Schreiben des Innenministeriums heißt. Den Personen seien von Bulgarien Visa ausgestellt worden, weswegen das Land »seine Zuständigkeit im Dublin-Verfahren« erklärt habe. Die Bundesrepublik habe die drei Kurden bisher allerdings nicht nach Bulgarien überstellt, da in Deutschland noch gerichtliche Entscheidungen abgewartet werden müssten.

Über Verletzungen des Schutzstatus von Asylsuchenden in Bulgarien - etwa ob Abschiebungen bevor Gerichtsverhandlungen stattfinden oder ähnliches - habe die Bundesregierung keine »eigenen Erkenntnisse«, heißt es in der Antwort des Innenministeriums. Eine Bewertung des Falles von Selahattin Ürün wolle man ohne diese Kenntnisse auch nicht vornehmen.

Helin Evrim Sommer sieht die Bundesregierung in der Pflicht, ihre Praxis zu ändern, wenn sie sich nicht »an der türkisch-bulgarischen Komplizenschaft mitschuldig« machen will. Der Fall Ürün verdeutliche so, »dass bulgarische Behörden bei der Verfolgung von kurdischen Oppositionellen aus der Türkei als Handlager des Erdogan-Regimes dienen«, so Sommer gegenüber dem »nd«. Ürün sei rechtswidrig abgeschoben worden. In der Türkei sitzt Ürün nun in Untersuchungshaft und müsse mit »politisch motivierten Strafverfolgungsmaßnahmen rechnen.«. Angesichts dieser Entwicklung sei es geboten, dass die Bundesregierung »umgehend die Überstellung weiterer kurdisch-türkischer Asylsuchender im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Bulgarien aussetzt«.

Der Fall von Selahattin Ürün ist nicht der erste, in dem Bulgarien der Türkei behilflich ist. Nach dem Putschversuch im Sommer 2016 hatten der bulgarische Präsident Bojko Borissov und sein Geheimdienst für die Abschiebung eines Anhängers der Gülen-Bewegung gesorgt - obwohl bulgarische Gerichte sich ausdrücklich gegen eine Auslieferung in die Türkei gestellt hatten. Im Oktober hatte das europäische Parlament eine Resolution zur Menschenrechtslage in Bulgarien verabschiedet. Es stellte darin eine »erhebliche Verschlechterung der Achtung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit« fest. Gegen die Resolution stimmte die EVP-Fraktion, in der CDU/CSU gemeinsam mit Borissovs GERB-Partei sitzen.

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