Polizeiramme statt Platz für Wohnungslose

Hausbesetzung in Hannover: Stadtverwaltung ließ leerstehende Gebäude räumen

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

»Da musst du deine Schuhe am Fußboden festnageln, sonst werden sie geklaut! Und wenn du dann aufmuckst und die Treter suchst, kriegst du was auf die Fresse!« So und ähnlich beschreiben wohnungslose Menschen, wie sie sich in Hannover beispielsweise hinter dem Hauptbahnhof treffen, die Zustände in »öffentlichen« Massenquartieren. Statt in solchen Behausungen zu nächtigen, schlafen viele Betroffene deshalb lieber draußen und frieren, riskieren den Kältetod. Sie sehnen sich nach zumutbaren Unterkünften, in denen sie auch mal allein sein können. Solidarisch mit ihnen fühlt die Initiative »Sonst besetzen wir«. Diese Ankündigung in ihrem Namen hatten die Aktivisten am Samstag wahr gemacht und Häuser besetzt, die Platz für derzeit wohnungslose Frauen und Männer bieten.

Der Aktion war am selben Tag eine Demonstration vorangegangen, bei der über 500 Engagierte in Hannovers Innenstadt würdige Unterkünfte für wohnungslose Menschen forderten. Rund 4000 davon gibt es nach Schätzungen sozialer Einrichtungen derzeit in Niedersachsens Hauptstadt. Nahezu zeitgleich mit diesem Protest besetzten etwa 15 Engagierte die seit eineinhalb Jahren weitgehend leer stehenden Gebäude einer Kleinwohnungssiedlung im Stadtteil Hainholz. Die Stadt hatte sie in den 1920er-Jahren für Bedürftige errichten lassen. Sanierungen waren angekündigt worden, doch nichts geschah seitens der Kommune als Eigentümerin der Immobilie.

Auf die Besetzung jedoch reagierte die Stadtverwaltung sofort: Sie rief die Polizei und stellte Strafantrag gegen die Aktivisten von »Sonst besetzen wir«, die ihre Gemeinschaft spontan in »Jetzt besetzen wir« umbenannt hatten. Ein im Verhältnis zu der kleinen Besetzerschar großes Polizeiaufgebot rückte an, verschaffte sich mit einer Ramme Zutritt, räumte die Gebäude, ohne ernste Konfrontationen, wie es heißt. Ruppiger, so wird berichtet, sollen die Ordnungshüter allerdings mit Frauen und Männern umgegangen sein, die von der Demo aus der Innenstadt zum Ort des Geschehens gezogen waren. Sie seien von der Polizei drangsaliert, geschlagen und eingekesselt worden, besagt eine Mitteilung von »Jetzt besetzen wir«.

Mit Blick auf das Ereignis am Samstag kündigt die Initiative an: »Wir werden mit weiteren offenen und heimlichen Besetzungen von Gebäuden, Wohnungen und Plätzen reagieren.« Die Stadt befeuere den durch das Fehlen angemessenen Wohnraums entstandenen Konflikt, mahnen die engagierten Hannoveraner.

Deren Stadtverwaltung, an ihrer Spitze Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne), war in den vergangenen Wochen gleich mehrfach wegen ihres Umgangs mit der Not wohnungsloser Menschen in die Kritik geraten. Bewusst geworden waren deren Probleme einer breiten Öffentlichkeit besonders, als Mitte Oktober jene zum Teil sehr kranken Wohnungslosen das »Naturfreundehaus« verlassen mussten, für die dieses Quartier zu Beginn der Corona-Pandemie im Februar als Notunterkunft hergerichtet worden war.

Zwar würdigte die Stadt die Unterbringung dort als »Modellprojekt«, beendete es aber zugleich, und das ausgerechnet zum Beginn der kalten Jahreszeit und der bedrohlichen Zunahme von Corona-Infektionen. Solch ein Handeln sei nicht hinnehmbar, hieß es von der SPD-Ratsfraktion, und die CDU im Kommunalparlament warf den Grün-geführten Entscheidern im Rathaus »soziale Kälte« vor, die nicht zu Hannover passe.

Der Vorsitzende der Ratsgruppe Linke und Piraten, Dirk Machentanz, fordert von der Stadtverwaltung, unverzüglich für menschenwürdige Unterkünfte in leer stehenden Hotels und Pensionen zu sorgen. Davon gebe es in Hannover genug. Der Hinweis auf herkömmliche Obdachlosenunterkünfte greife zu kurz, da es dort für vorerkrankte und auf der Straße lebende Menschen nicht das Mindestmaß an Intimsphäre und hygienischen Bedingungen gebe.

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