Freigehege für Alphatiere

In »Mank« porträtiert David Fincher das Leben des Drehbuchautors von »Citizen Kane«

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer wissen will, wo genau die Meinungsmanipulation moderner Prägung ihren Ursprung hat, woher die Vorbilder von Rupert Murdoch, Wladimir Putin oder Julian Reichelt stammen, was Wahrheitsverdreher von heute zu dem gemacht haben könnte, was sie sind, der sollte »Mank« streamen und sich nicht wundern, dass die Gegenwart dort schwarzweiß ist statt quietschbunt. Schließlich spielt der Film in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts - als die Bilder nach dem Laufen auch das Sprechen gelernt und propagandistisches Potenzial entfalteten. Dabei steht »Mank« für Herman J. Mankiewicz, dessen Name allein Kinoliebhaberherzen höher schlagen lässt, hat er 1940 doch das Drehbuch zu »Citizen Kane« geschrieben. Regie führte Orson Welles, und gemeinsam schufen sie ein epochales Meisterwerk der goldenen Jahre Hollywoods, für viele das beste aller Zeiten.

Unter David Finchers Regie ersteht dieser Mank als Star seines eigenen Biopics auf - obwohl er zunächst erst einmal liegen bleibt. Am Anfang des Dramas im Stil damaliger Hollywood-Schinken ist der Titelheld nach einem Autounfall hüftabwärts eingegipst ans Bett einer abgelegenen Ranch bei Los Angeles gefesselt. In zwei Monaten soll er dem umjubelten Außenseiter Orson Welles ein Skript über das Leben des Medienmoguls William R. Hearst schreiben, dessen real existierendes Zeitungs- und Radioimperium seinerzeit die Macht besaß, Präsidenten zu machen oder wie im Falle Kaliforniens zumindest Gouverneure.

Während sich der Regisseur und sein Autor fiktional mit dem mächtigsten Netzwerker der Mediengeschichte anlegen. Fincher dreht die Zeit zurück auf 1930: In den USA rüttelt die Depression am liberalen Selbstverständnis einer fortschrittssüchtigen Gesellschaft, in Deutschland steht ein illiberaler Antisemit vorm Reichstag, in Hollywood sammelt Medienmogul Hearst mit Hilfe des Filmmoguls Louis B. Mayer (»MGM steht für Mayers ganze Mischpoke«) seine Truppen, um die Wahl des sozialistischen Schriftstellers Upton Sinclair (»Der Dschungel«) zum Gouverneur von Kalifornien zu verhindern. Und mittendrin Mank, der zum neuen Stern am Himmel des blühenden Tonfilms aufsteigt.

Selbst in der Horizontalen spielt Gary Oldman diesen unwiderstehlichen, trunksüchtigen, lebenslustigen, aber autoaggressiv veranlagten Emporkömmling deutscher Herkunft mit bukowskihafter Lust an der Selbstverwahrlosung und lässt ihn genüsslich in die Produzentenelite rasseln - eine cabriofahrende, Cohiba-rauchende, whiskysaufende, frauenverachtende Schar Popkulturschaffender, die sich für Hochkulturschaffende hält und Rendite mit Meriten verwechselt. In diesem Freigehege für Alphatiere mit Namenskürzeln wie David O. Selznick, feiert sich Herman J. Mankiewicz um den Verstand und bleibt doch der rationale Ruhepol.

In einer brillanten, schier endlosen Szene etwa sprengt er Hearsts feine Geburtstagsgesellschaft mit Sottisen über Hitler, Sinclair, soziale Umverteilung und entlarvt den Gastgeber (grandios: Charles Dance) als reaktionären Krisengewinner, ohne ihn vor den Kopf zu stoßen. Der Unterschied zwischen rechts und links, sagt Mank mit schwerer, aber redseliger Zunge, »ist, dass man im Sozialismus den Wohlstand teilt, im Kommunismus die Armut«. Dann verzieht er sich mit Hearsts Geliebter Marion Davies (Amanda Seyfried) in den Privatzoo ihres obszön reichen Lovers und debattiert mit ihr über wahren Wohlstand und falsche Armut.

Fincher skizziert also nicht nur das System allgewaltiger Filmunternehmer, die Hollywood (dank jüdischer Emigranten) damals zum Filmnabel der Welt machten; er tut es mit großer Freude am ausgesprochenen Wort und echtem Interesse für Protagonisten, die ausnahmslos existiert haben. Der schwarz-weiße Schein soll dabei wie einst »The Artist« für Authentizität sorgen, nicht wie »Schindlers Liste« Empathie erzeugen. So gelingt Netflix ein fernsehcineatisches Wunderwerk: »Mank« ist politisch und persönlich, tragikomisch und bitterernst, ein Dokudrama über den Tyrannen von Fox News’ Gnaden und ein Märchen über Prinzen, die Königen tapfer die Stirn bieten. Darauf einen Gin für den Oscar.

»Mank«, verfügbar auf Netflix.

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