Hungerstreik gegen die Agrarreform

Indiens Bauern wollen die Regierung zur Rücknahme ihrer Reformen zwingen

  • Chandrika Yogarajah
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie sind fest entschlossen, so lange zu kämpfen, bis die Regierung einlenkt: Mit einem eintägigen Hungerstreik haben indische Farmer*innen am Montag ihre wochenlangen Proteste gegen eine Deregulierung der Landwirtschaft fortgesetzt. An der Aktion beteiligten sich 33 Anführer*innen unterschiedlicher Bauernverbände sowie Hunderte Farmer*innen. Sie befürchten, durch eine umstrittene Agrarreform im freien Wettbewerb vom Markt gedrängt zu werden.

Schon seit Ende November kampieren Zehntausende Farmer*innen aus Protest gegen das Gesetzespaket an den Stadträndern der indischen Hauptstadt und halten mindestens fünf große Einfallstraßen teilweise blockiert. Täglich kommen weitere Farmer*innen hinzu. Die Polizei, die die ersten Protestzüge am 26. November mit Tränengas und Wasserwerfern vor der Metropole gestoppt hatte, wurde massiv verstärkt. Sie baute Barrieren, um die Farmer*innen am Weiterziehen zu hindern.

Die indische Agrarreform, in drei Gesetzen am 27. September verabschiedet, löste zunächst lokale Proteste von Farmer*innen aus, vor allem in Punjab, Haryana und Rajasthan. Nach etwa zwei Monaten wurde die Bewegung »Dilli Chalo« formiert, was übersetzt bedeutet »Lasst uns nach Delhi gehen« und in Folge deren in den vergangenen Wochen etwa 300 000 Farmer*innen von Haryana und Punjab nach Delhi marschierten.

Die Agrarreform betrifft circa 16,6 Millionen registrierte Farmer*innen und 131 000 Händler*innen sowie deren Familien - alles in allem ein essenzieller Teil der indischen Gesellschaft und Wirtschaft. Etwa 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukt geht auf die Landwirtschaft zurück, die auf verschiedene Weisen Lebensgrundlage für mehr als die Hälfte der 1,3 Milliarden Inder*innen ist.

Die Gesetze wurden als Teil des Finanzstimulierungspakets der Regierung eingebracht, ein »Covid-19-Hilfspaket«, das der Wirtschaft sofortige Erleichterung in der Pandemie verschaffen sollte. Indiens hindunationalistische Regierung unter Premier Narendra Modi argumentiert, die Gesetze würden die Farmer*innen von antiquierten Marktordnungen befreien und ihnen bessere Preise auf dem freien Markt ermöglichen.

Die Farmer*innen verweisen auf den Bundesstaat Bihar, der seinen Markt weitgehend liberalisiert hat und wo die Produzent*innen nun ihre Waren mit einem Abschlag von bis zu 30 Prozent verkaufen müssten.

Das erste der drei Gesetze der Agrarreform, das »Gesetz zur Förderung und Erleichterung des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen«, erlaubt zum ersten Mal den Handel mit landwirtschaftlichen Produkten außerhalb von staatlich kontrollierten Märkten, den sogenannten Mandis. Private Mandis können nun im ganzen Land eingerichtet werden, jeder kann nun dort landwirtschaftliche Produkte kaufen. Laut der Regierung werden dadurch den Farmer*innen mehr Auswahlmöglichkeiten gegeben, wo und an wen sie ihre Produkte verkaufen können. Theoretisch können so die mächtigen Mittelshändler*innen wegfallen. Die Farmer*innen hingegen befürchten, dass einige wenige private Akteure sich als Kartelle organisieren und die Preise bestimmen werden.

Mit dem »Gesetz zur Stärkung und zum Schutz der Landwirte« wird darüber hinaus ein nationaler gesetzlicher Rahmen geschaffen, mit dem Farmer*innen vertraglich verpflichtet werden, ihre Erzeugnisse zu einem vorher festgelegten Preis zu verkaufen. Laut Regierung soll so die Einkommensunsicherheit beseitigt werden. Doch die Landwirt*innen kritisieren, dass so die bestehende Ungleichheit verstärkt werde, da die Abnehmerfirmen, oftmals riesige internationale Lebensmittelkonzerne, Preise diktieren können. Zudem befürchten sie, dass die Vertragslandwirtschaft es den Konzernen ermöglicht, ihr Land zu übernehmen, da das Gesetz keine angemessenen Rechtsbehelfsmechanismen für Farmer*innen enthält.

Das verbliebene »Gesetz zur Änderung der Regulierungen über lebenswichtige Güter« würde das Horten von Waren, die folgliche Preisansteigerung und den Schwarzhandel behindern und so die Lieferung bestimmter Waren gewährleisten. Auch dieses Gesetz wird von den Farmer*innen als Begünstigung des Großkapitals abgelehnt.

Im Mittelpunkt dieser Proteste ist die Frage des Mindeststützungspreises (MSP, minimum support price), der für 23 Feldfrüchte angekündigt ist. Der MSP ist der Mindestpreis, den die Regierung zahlt, wenn sie eine Ernte von den Farmer*innen kauft - größtenteils Paddy- und Weizen. Die Farmer*innen befürchten, dass die Regierung mit der Agrarreform diese Mindestpreise abschafft.

Aber auch das Elektrizitätsänderungsgesetz 2020 setzt den Farmer*innen zu. Derzeit profitieren sie in mehreren Bundesstaaten von subventionierten Stromtarifen, bei denen sie einen Bruchteil dessen bezahlen, was sie verbrauchen. Die jeweiligen Landesregierungen übernehmen den Restbetrag. Nach dem neuen Gesetzesentwurf müssten die Farmer*innen die vollen Stromkosten zahlen.

Die Proteste gegen die neuen Landwirtschaftsgesetze sind Teil einer schon lange andauernden Protestbewegung gegen den regierenden Hindunationalismus in Indien und findet eine heterogene Unterstützung von verschiedenen Akteur*innen in der indischen Gesellschaft. Mit der Unterstützung richten sie sich auf einen langen Kampf mit der Regierung ein, die bisher in Gesprächen jegliches Entgegenkommen verweigert.

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