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Romeo und Julia in Zeiten von Identitätspolitik

Hände flattern, Arme fliegen: Im queeren Drama »Port Authority« ringt ein Individuum mit Strukturen

  • Anna Gyapjas
  • Lesedauer: 5 Min.

Sehgewohnheiten prägen Sehnsüchte und was wir für machbar halten, diktiert der Common Sense, jene überlieferten Annahmen, die allgemeingültig scheinen, obwohl sie vieles ausklammern. »Schmuck ist was für Frauen« ist eine solche Vorannahme, die noch immer dafür sorgt, dass er am Körper eines Mannes - im Auge mancher Betrachter - eine entmännlichende Wirkung entfalten kann. Das erfährt auch Paul (Fionn Whitehead), ein in New York gestrandeter blasser Junge, der prompt von ein Paar Rowdys vermöbelt wird. Lee (McCaul Lombardi), der ihm zu Hilfe eilt, verarztet auch seine Wunden. »Du bist doch keine Schwuchtel, oder?«, fragt der Kümmerer mit Kurt-Cobain-Gesicht mittendrin. »Weil der Ohrring sieht ziemlich schwul aus.« Paul stößt Lee von sich weg, wie man Verbalattacken als echter Mann halt so begegnet. Damit scheint alles geklärt.

Tatsächlich hat sich Paul in eine junge Schwarze Frau verguckt. Hände flattern, Arme fliegen: Was Wye (Leyna Bloom) und ihre Freunde auf den Treppen vor dem Busbahnhof machen, ist Voguing, jener Tanz der queeren Subkultur, der frühestens seit Madonnas Hit »Vogue«, spätestens seit der Netflix-Serie »Pose« im Mainstream präsent ist. Der Name der jungen Frau klingt wie das Ypsilon, das auf Chromosom-Ebene den Unterschied zwischen den Geschlechtern ausmacht, aber auch wie das englische Wort für Warum. Nichts davon vermag Paul zu deuten.

Zu kathartisch ist der Flirt, als sich die zwei in einem »Ballroom«, dem Schauplatz von Voguing und queerer Selbstentfaltung, wiedersehen: Paul, der uneingeladen in diesen Schutzraum der LGBTQ-Community eindringt, wird bald rausgeworfen in die Welt, in der Leute wie er das Sagen haben. Aber Wye kommt nach, und damit ist alles wieder gut. Zu wahrhaftig ist auch das Gespräch, in dem Paul seine Sehnsucht nach Zugehörigkeit gesteht. Es folgt der erste Kuss, auf dem Balkon sitzend, weil der Vermieter nicht mitkriegen darf, dass in der Wohnung zu viele unverwandte Leute wohnen. Zu blöd, dass Lee einen Räumungsdienst betreibt und schon bald an Wyes Tür klopfen wird.

Was ist eine Familie, ab wann gehört man dazu? Mit dem räumlichen Aspekt dieser Fragen hat sich Regisseurin Danielle Lessovitz schon im Drehbuch für »Mobile Homes« beschäftigt. Darin ringt eine junge Alleinerziehende ohne Wohnsitz und Job damit, ihrem Sohn ein Heim zu schaffen. »Port Authority« ist der erste Spielfilm der ausgebildeten Dokumentarfilmerin, auch hier ringt ein Individuum mit Strukturen. Während sich Pauls Verbindungen zu Blutsverwandten in Luft auflösen, legt ihm das Leben zwei diametral entgegengesetzte Familienentwürfe zu Füßen. Da ist der Platz an Wyes Seite, unterm Dach ihres »houses«. Das Konzept dieser Ersatzfamilien ist eng verknüpft mit der New Yorker Ballroom-Kultur mit ihren Wettbewerben in dramatischer Selbstüberhöhung. Beides zusammen ergibt die Gegenkultur latein- und afroamerikanischer Menschen im Schatten der weißen, heteronormativen Dominanzkultur. Wie existenziell diese Zufluchtsorte für die Selbstbehauptung queerer und Trans-Menschen waren, hat der Dokumentarfilm »Paris is Burning« von Jennie Livingston festgehalten. Und auch für Paul soll hier Platz sein? Angesichts der Gewaltverbrechen, wegen derer man in queeren Kreisen weiße Cis-Männer fürchtet, kommt das Angebot jenem Zeugnis der Menschlichkeit gleich, zu dem sich die Mehrheitsgesellschaft jahrhundertelang nicht durchringen konnte.

Doch da ist auch der Platz in Lees Gefolgschaft, die Männlichkeit im Sinne von Übermannung kultiviert. Wie toxisch ihr Gebaren ist, inszeniert Lessovitz mannigfaltig. Mit einer Schlägerei im Obdachlosenheim, drei Weiße gegen einen Schwarzen, ob das queere Opfer überlebt - unklar. Mit einem Partyabend der Jungs, die nicht akzeptieren können, dass Paul dem Gruppenfummeln fernbleibt und ihm kurzerhand eine Frau auf den Schoß beordern. Es sind solche Momente, in denen Paul dämmert, dass er seine Liebe wird verteidigen müssen.

Das boy-meets-girl-Drama an die Selbst(er)findung eines Mannes zu knüpfen, zahlt sich aus. Denn die Bilder, die Paul in Bedrängnis zeigen, entwickeln die leise Wucht des Films. Queere Figuren haben sich schon mit »Euphoria«, »RuPaul’s Drag Race« und »Pose« in die Herzen des Publikums gespielt. Vor allem letztere Serien haben in Bild und Dramaturgie die Opulenz der Gefühle, die Freuden der Stilisierung gefeiert. »Port Authority« setzt dem etwas entgegen: Subtil erzählt der Film vom Herantasten beim Kennenlernen, von Transzendenz in authentischen Begegnungen. Jedes Mal, wenn Paul und Wye Nähe wagen, verweilt die Kamera dicht an ihren Gesichtern, bis die Wärme der sich erfüllenden Sehnsucht spürbar die Züge entspannt.

Wie sehr Paul trotzdem damit hadert, sich zu Wye zu bekennen, jenseits des Ballrooms, jenseits des »houses«, verdeutlicht die Last des Common Sense. Und zu erzählen, wie sie einen weißen Mann zu erdrücken droht, ist wichtiger denn je, es braucht seine Rehabilitierung. Nur, weil die ältere Generation dieser Gruppe ein fragwürdiges Image weg hat, muss es ja nicht so bleiben. Oder wie es im Wettbewerbsjargon der Ballroomszene heißen würde: »The category is: White Boy Realness« (Die Kategorie lautet: echter weißer Junge).

»Port Authority«: USA 2019. Regie und Drehbuch: Danielle Lessovitz. Mit: Fionn Whitehead, Leyna Bloom, McCaul Lombardi. 94 Minuten.

Starttermin: 17. Dezember (digital). Mehr Infos unter: www.salzgeber.de

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