Erfolgreiche Wendeverlierer

Die Bauerngarten-Manufaktur aus Ferdinandshof erzählt eine echte Erfolgsgeschichte aus der einst ärmsten Region Deutschlands.

  • Christel Sperlich
  • Lesedauer: 6 Min.

Wir haben in Ferdinandshof alles, was wir brauchen: Kirche, Gutshaus, Heimatstube, Schützenverein, Fußballverein, Apotheke, zwei Schulen. Nur kein Kino. Aber das Dorf hat uns», sagt Ilona Brenneiser und zwinkert. Seit 18 Jahren betreiben sie und ihr Mann Harald die kleine Original-Bauerngarten-Manufaktur nahe Pasewalk im Landkreis Vorpommern-Greifswald.

Am Anfang war es nur ein Experiment, das aus der Not heraus geboren war. Die ehemalige Laborantin und der einstige Leiter der Melkanlage einer Molkerei verloren nach der Wende ihre Arbeit. «Dann standen wir beim Arbeitsamt an und machten eine Umschulung im Bereich Umwelttechnik», sagt Ilona Brenneiser. «Nur einer von insgesamt 20 Leuten bekam einen Job. Auf unsere Bewerbungen haben wir nur Absagen oder gar keine Antwort erhalten. Ab und an steckte man uns in eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.»

Dauerhaft Almosen vom Staat annehmen, wollten sie nicht. «Uns war klar, wir wollen etwas tun. Wir haben uns gefragt: Was kann ich, und was will ich?» Sie ließen sich nicht entmutigen, besannen sich auf das Machbare.

In der DDR gab es im Einzelhandel wenig zu kaufen, weder im Konsum noch in der HO. Die Brenneisers waren es gewohnt, zu improvisieren, sich selbst zu versorgen. Ihre Eltern hatten Hühner und Kaninchen. Ilona und Harald bewirtschafteten einen Garten, ernteten Gemüse und weckten viel ein.

«Um würdevoll in eine Zukunft blicken zu können, schien die einzige Alternative, uns selbstständig zu machen mit Naturprodukten aus unserer Region», erinnert sich die heute 64-jährige Ilona Brenneiser. Der Anfang sei schwer gewesen. Die beiden standen vor dem Nichts, ohne unternehmerisches Know-how, ohne Grundkapital. «Wir waren nicht kreditfähig. Es gab hier in der ärmsten Region Deutschlands keine Kaufkraft, keine Nachfrage. Niemand glaubte an uns. Freunde, Bekannte, Nachbarn lachten etwas spöttisch.»

«Wir mussten erfinderisch sein mit einem Alleinstehungsmerkmal, sonst hätten wir nicht überlebt», ist Ilona Brenneiser überzeugt. Sie war von Anfang an für die Produktentwicklung zuständig, ihr Mann Harald für die Vermarktung. Nach intensiven Marktanalysen auf dem Gebiet der Veredlung einheimischer Rohstoffe stellten beide fest, dass innovative, ausgefallene Produkte, wie beispielsweise gewagte Fruchtaufstriche aus dem Kräuter- und Gemüsebereich, im Einzelhandel nicht vorhanden und Chutneys und Relishs kaum in den deutschen Haushalten anzutreffen waren. Es waren die Engländer, die die ursprünglich indischen Chutneys (scharfe Soßen) und Relishes (Pürees aus mariniertem Obst oder Gemüse) während der Kolonialzeit nach Europa brachten. Und weil fremdländische Gerichte und Zutaten nun auch in den neuen Bundesländern begehrt waren, überlegten die kreativen Geschäftsleute nicht lange. Umgehend stellten sie sich auf diese in ihrer Region noch weitestgehend unbekannten süß-sauren oder scharf-pikanten Würzsaucen ein.

Zutaten aus der Region

Ihre Geschäftsidee nannten sie «Sööter Imbiss». Süßer Imbiss mit Verkostung. Die damaligen Jungunternehmer setzten all ihre Ersparnisse, allen Mut ein und öffneten schließlich 2004 ihre Türen für Einheimische und Besucher aus nah und fern. Anfangs waren es vor allem Reisegruppen, die mit Bussen vorfuhren und die selbst produzierten Delikatessen ausprobierten. Marmeladen aller Art, fruchtige Curds (Quark), Pesto, Chutney oder Aioli, Würzmittel, Schmalzspezialitäten sowie verschiedene würzige Senfsorten. Der «Sööter Imbiss» sprach sich herum und wurde bald zu einem Paradies für Naschkatzen. Heute sind die Produkte in Hofläden und Feinkostläden in der Region und im Onlineshop erhältlich.

Die Zutaten stammen zu 70 Prozent aus der Region. Früher pflückten die Brenneisers selbst ihre Zutaten. Wald- und Gartenfrüchte, Holunderblüten, Holunderbeeren, Quitten, Schlehen oder Wildkräuter. «Dazu reicht die Zeit heute nicht mehr.» Die Brenneisers beziehen ihre Zutaten aus Gärten und Obstplantagen rund um Ferdinandshof. «Uns ist die möglichst noch heile Natur wichtig. Alles entsteht nach traditionellen Rezepten. Zum Beispiel ist der süße Schmalz mit Feigen und Pflaumen nach schlesischer Art. Meine Oma stammt von dort», erklärt Ilona Brenneiser.

In der anheimelnden Probierstube ist der Tisch gedeckt. Eine beinahe familiäre Stimmung. Feines Porzellan auf weißer Tischdecke, frische Blumen, Kerzen und allerlei Köstlichkeiten auf den großen Tellern. Very British: Afternoon Tea mit schmackhaften Scones, Lemon Curds, aber auch deutsche Speisen nach Großmutters Art: Milchreis mit Blaubeerzucker. Kleine Medaillons aus Wildleberwurst. Dazu frisches Brot und Kaffee mit Kardamom. Der Blick fällt unweigerlich auf die vielen Regale mit den liebevoll etikettierten Gläsern und Geschenkarrangements, den beliebten Präsentkörben.

In der «Schau Manufaktur» kann man dem Unternehmerpaar über die Schultern blicken, jeden einzelnen Schritt der Produktion verfolgen. Vom Zerkleinern von Gemüse und Obst bis hin zum Abfüllen. Am Ende gibt es eine Kostprobe der innovativen Erzeugnisse. Gewagte Fruchtaufstriche verarbeitet aus Kräutern und Gemüse. Darunter Kreationen wie Kürbis-Zuccini- oder Erdbeer-Rhabarbar-Chutney, Kräuteraufstriche mit Salbei, Basilikum, Lavendel und Minze oder Apfel-Holunderbeer-Relish. Auf künstliche Aromen, Geschmacksverstärker oder Farbstoffe verzichten sie vollständig.

Inzwischen ist die Bauerngarten-Manufaktur eine wahre Erfolgsgeschichte. Die anfangs kühne Idee setzte sich durch. Nach und nach konnte die Firma auf dem Markt Fuß fassen. Wie das Familienunternehmen die Produkte herstellt und erfolgreich den Weg auf den freien Markt gegangen ist und noch heute geht, davon erzählt das Paar seinen Gästen und will dabei besonders jungen Leuten Mut machen.

«Vor allem kommt es darauf an, immer wieder Neues zu probieren und die Spezialitäten auch überregional zu vermarkten», sagt Ilona Brenneiser. Es blieb nicht beim «Sööter Imbiss». Unter dem Motto «Land, Leute, Lecker» initiierten sie weitere Veranstaltungen. Heute sind sie bei verschiedenen Spezialitätengeschäften als örtliche Zulieferer gelistet. Sogar über eine Kooperation mit einer großen Supermarktgenossenschaft werden ihre Produkte vertrieben. «Wir waren die erste Firma, die ein regionales Regal bei Edeka erhielt. Das Schöne dabei, uns wird nichts vorgeschrieben. Wir wechseln fortlaufend die Inhalte, können eigenständig unsere Auswahl treffen und das Regal auffüllen», berichtet die Bauerngarten-Chefin stolz.

Inzwischen ist die Manufaktur bekannt in der ganzen Region wie auch in Brandenburg, in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt bis nach Niedersachsen und in den Hamburger Raum.

18 Stunden täglich im Einsatz

Rund 40 000 Gläser im Jahr setzt das Unternehmen um und stellt an die 100 verschiedene Produkte her, die saisonbedingt wechseln. Jede neue Kreation lassen sie von der amtlichen Lebensmitteluntersuchung mikrobiologisch kontrollieren. «Was wir bisher eingereicht haben, war stets tipptopp», freut sich Brennseiser.

Um alles am Laufen zu halten, sind die beiden sechs Tage in der Woche im Einsatz. «Oft stehen wir 18 Stunden am Tag entweder in der Küche oder sind unterwegs auf Messen oder Themenmärkten.»

Dieses Jahr fallen bedingt durch die Corona-Pandemie viele Reisegruppen weg und auch die Märkte, auf denen sie ihre Produkte verkaufen. «Wir sitzen das aus. Mal sehen, wie es weitergeht», sagt Ilona Brenneisen eher zuversichtlich. Bis jetzt haben wir alles richtig gemacht.« In zwei Jahren wollen sie Schluss machen. Ihr Sohn wird die Firma allerdings nicht übernehmen. »Er hat all die Jahre mitbekommen, wie wir für die Manufaktur gekämpft und kaum Freizeit oder Urlaub hatten. Aber uns macht es noch Spaß«, sagt Ilona Brenneiser.

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