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Eine irre Idee

Der Bundestag hat Werkverträge in Fleischfabriken verboten: Über Ausbeutung, die Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten und die Rettung des Grillsteaks.

  • Eva Roth
  • Lesedauer: 6 Min.

Über ein Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie ist schon vor fünf Jahren diskutiert worden, erzählt Dominique John. »Damals hat man uns noch den Vogel gezeigt«, sagt der bundesweite Leiter der Faire-Mobilität-Beratungsstellen für Arbeitsmigranten aus Osteuropa. Was seinerzeit noch als verrückte Idee abgetan wurde, hat der Bundestag am Mittwoch mit Zweidrittelmehrheit beschlossen: Ab Januar dürfen Werkvertrag-Beschäftigte in großen Unternehmen nicht mehr fürs Schlachten und Fleischzerlegen eingesetzt werden. Firmen wie Tönnies müssen nun mehr Menschen direkt anstellen. Für das Verbot haben SPD, Linke, Grüne und die meisten CDU-Abgeordneten gestimmt, dagegen sprachen sich FDP- und AfD-Politiker aus. Am Freitag stimmte auch der Bundesrat dem Gesetz zu.

Durch das Werkvertragsverbot werden viele Beschäftigte zunächst keine höheren Lohnansprüche haben. Dennoch spricht die Gewerkschaft NGG von einem »historischen Meilenstein«. Das Gesetz kann nämlich dazu beitragen, die Machtverhältnisse zugunsten der Beschäftigten zu verschieben, die bislang in einer extrem schwachen Position sind.

Boom und Abzocke
Der Umsatz in der deutschen Fleischindustrie ist 2019 um rund acht Prozent auf fast 40 Milliarden Euro gestiegen. Im gleichen Jahr wurden bei einer Kontrolle in NRW in 85 Prozent der überprüften Betriebe Arbeitsschutzmängel festgestellt. Oft wurde den Menschen keine Schutzausrüstung wie Handschuhe zur Verfügung gestellt oder Lohn für Schutzkleidung einbehalten.

Denn deutsche Fleischkonzerne haben in den vergangenen Jahrzehnten nach und nach den Kernbereich der Industrie - das Schlachten, Zerlegen und die Fleischverarbeitung - an Subunternehmen vergeben. Mit ihnen schlossen sie Werkverträge ab, etwa darüber, wie viel Tonnen Fleisch zu welchem Preis zerlegt werden.

Erledigt wurde und wird die Arbeit von Angestellten der Subunternehmen, viele kommen aus Rumänien und Bulgarien, wo die Verdienste extrem niedrig sind. So lag in Rumänien der mittlere Bruttostundenlohn zuletzt bei rund 3,70 Euro, in Bulgarien bei 2,40 Euro. Wie viel Geld die Menschen hierzulande erhalten haben, darüber gibt es keine offiziellen Erhebungen. Seiner Einrichtung seien Nettolöhne von rund fünf oder sechs Euro bekannt, sagt John. Forscher berichten von noch geringeren Entgelten.

Über Jahre waren solche Niedrigstlöhne legal. Seit 2015 haben die Beschäftigten, ob Inländer oder Ausländer, Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, der derzeit bei 9,35 Euro liegt. Ebenso gelten für alle die gesetzlichen Arbeitsschutz-Vorschriften.

Doch daran haben sich Unternehmen oft nicht gehalten. Immer wieder stellten staatliche Kontrolleure fest, dass die Menschen betrogen werden. So hat Nordrhein-Westfalen im vorigen Jahr 30 Betriebe mit über 90 Werkvertrag-Unternehmen überprüft und in 85 Prozent der Betriebe Arbeitsschutzmängel festgestellt. Allein 5863 Verstöße gegen das Arbeitsrecht wurden dokumentiert, so mussten Beschäftigte pro Tag mehr als 16 Stunden arbeiten. Auch Lohnabzüge für Schutzausrüstung oder wegen »Fehlverhaltens« wurden entdeckt. Bei einer Überprüfung von Unterkünften im Mai dieses Jahres stellten die Prüfenden in Nordrhein-Westfalen unzumutbare Wohnbedingungen fest, die Mängel reichten von Überbelegung über Rattenbefall bis zu Einsturzgefahr.

Leiharbeit für die Grillsaison

Die Politik hat den miserablen Umgang mit Beschäftigten aus Mittel- und Osteuropa über Jahrzehnte zugelassen. Erst als es im Frühjahr Masseninfektionen in Schlachthöfen gab, kündigte die Bundesregierung ein Verbot von Werkverträgen in der Branche an. Zwar waren auch diesmal migrantische Niedriglohn-Beschäftigte die Hauptleidtragenden, doch die Infektionsgefahr bestand auch für andere Personen in den Regionen. Nun war ein Verbot möglich, das nicht nur die Arbeitsbedingungen verbessern sollte, sondern auch den »Gesundheitsschutz der Bevölkerung«, so die Bundesregierung.

Ab Januar dürfen nun größere Unternehmen fürs Schlachten, Zerlegen und in der Fleischverarbeitung keine Werkvertrag-Beschäftigten mehr einsetzen. Das »Fleischerhandwerk« mit maximal 49 Beschäftigten (ohne Verkaufspersonal) bleibt außen vor.

Auch Leiharbeit ist ab April in großen Schlachtfabriken untersagt - es sei denn, Gewerkschaft und Arbeitgeber vereinbaren dazu einen Tarifvertrag. Diese Ausnahme ist auf Druck der CDU in das Gesetz aufgenommen worden. »Im Sommer werden Steaks und Bauchfleisch als Grillgut stärker nachgefragt. Darauf muss ein Unternehmen reagieren können«, argumentierte die Fraktionsvizechefin der Union, Gitta Connemann.

Die Konzerne könnten diese Sonderregelung wieder missbrauchen, fürchten manche. Immerhin ist sie relativ restriktiv: Die Tarifparteien dürfen Zeitarbeit nur in der Fleischverarbeitung vereinbaren und die Leiharbeitskräfte haben Anspruch auf gleiche Bezahlung wie Festangestellte.

Insbesondere durch das Werkvertragsverbot dürften künftig jedenfalls mehr Menschen bei Fleischfirmen direkt angestellt werden. Viele haben jedoch auch dann nur Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Denn große Konzerne wie Tönnies unterliegen zumeist keiner Tarifbindung, schreiben Serife Erol und Thorsten Schulten in einem Bericht der Hans-Böckler-Stiftung. Lediglich der Genossenschaftskonzern Westfleisch habe eine weitgehende Tarifbindung.

Dennoch bietet das Gesetz einen besseren Schutz der Beschäftigten. So sieht es vor, dass die Arbeitszeit »elektronisch und manipulationssicher« erfasst werden muss. Das erschwert überlange Schichten und unbezahlte Mehrarbeit. Hinzu kommt, dass die Beschäftigten künftig nicht mehr nahezu machtlos den Unternehmen ausgeliefert sind. Bislang sind viele Menschen aus Rumänien und Bulgarien abhängig von dem Werkvertrag-Firmen, weil Arbeitsverträge befristet und mit den Mietverträgen verknüpft sind. Teils wissen sie gar nicht, wer ihr Arbeitgeber ist, weil er sich bei Vertragsschluss von Dritten vertreten lässt und sie keine Kopie des Vertrags erhalten, heißt es in dem Gesetz.

Wenn künftig mehr Menschen direkt bei Fleischunternehmen angestellt sind, erhöht das die Chancen »für die Bildung eines Betriebsrats, der gewerkschaftlichen Organisation und der Durchsetzung eines Tarifvertrags«, sagt der Sozialforscher Gerhard Bosch von der Uni Duisburg-Essen. Elementar sei dabei, dass die Einhaltung des Gesetzes kontrolliert und Betriebsratswahlen nicht behindert werden.

Bislang seien Betriebsräte der Fleischkonzerne gar nicht befugt, Arbeitsbedingungen und Löhne der Menschen zu kontrollieren, die bei Subunternehmen unter Vertrag sind, so Bosch. Für direkt Angestellte haben sie hingegen klare gesetzliche Rechte.

Auch die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) ist künftig in einer etwas besseren Position. Bislang war es für sie faktisch unmöglich, in den vielen, wechselnden Subunternehmen Tarifregeln durchzusetzen. Nun hat ihr Vizechef Freddy Adjan die Unternehmensverbände der Fleischindustrie zu bundesweiten Tarifverhandlungen aufgefordert. Die NGG ist dabei auch bereit, über Leiharbeit zu verhandeln. Dahinter steht die Hoffnung, dass die Unternehmen per Tarifvertrag die Erlaubnis für Leiharbeit haben wollen und im Gegenzug zu branchenweiten Tarifregeln für alle Beschäftigten bereit sind. Anschließend könnte der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden.

Französische Verhältnisse

In Ländern wie Frankreich gibt es solche allgemeinverbindlichen Tarifverträge längst. Auch in Dänemark sind praktisch alle Unternehmen tarifgebunden. Darum war und ist in diesen Ländern ein Lohndumping wie hierzulande nicht möglich.

Für die NGG wird es indes schwierig, französische Verhältnisse durchzusetzen. So ist derzeit nicht einmal klar, mit welchem Unternehmensverband es die Gewerkschaft zu tun hat, darum hat sie gleich vier potenzielle Organisationen angeschrieben.

Denkbar ist auch, dass eine Organisation auftaucht, die sich Gewerkschaft nennt, und die einen Billigtarifvertrag abschließt. So etwas gab es schon, etwa in der Zeitarbeit, wo nach der Jahrtausendwende eine »Tarifgemeinschaft christlicher Gewerkschaften« Niedriglöhne abgenickt hat. Erst 2010 hat das Bundesarbeitsgericht diesen Verband für nicht tariffähig und ihre Tarifverträge für nichtig erklärt. In der Fleischindustrie ist bereits die »christliche Gewerkschaft« DHV aktiv. Im Mai hat das Landesarbeitsgericht Hamburg erklärt, dass dieser Verband nicht tariffähig sei. Die Entscheidung ist jedoch noch nicht rechtskräftig, die DHV hat beim Bundesarbeitsgericht Beschwerde eingelegt.

Trotz aller Unwägbarkeiten ist die dänische Lebensmittel-Gewerkschaft NNF froh über den Etappensieg in Gestalt des Werkvertragverbots. Dort liegt der Durchschnittslohn in der Fleischbranche bei umgerechnet rund 27 Euro pro Stunde. Wegen der deutschen Niedriglöhne haben Konzerne Teile der Produktion hierher verlagert. Nun hofft NNF-Vizechef Jim Jensen: Wenn die Arbeitsbedingungen in Deutschland besser werden, dann werden dänische Arbeitgeber aufhören, Druck auf die Beschäftigen auszuüben.

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