»Santa 1« als Umweltsünder

Bundesregierung betont Anstrengungen zum Klimaschutz – der militärische Bereich zieht da kaum mit

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

24. Dezember, 8:42 Uhr Zulu-Zeit. Im Tower des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74, das den Luftraum der Nato schützt, wird Alarm ausgelöst. Ein unbekanntes Flugobjekt nähert sich. Kurz vor dem Flugplatz stürzt es ab. Rettungskräfte finden Trümmer eines Schlittens. Daneben steht der verzweifelte Weihnachtsmann. Wie soll er nun all die Geschenke zu den Kindern bringen?! Ihm wird geholfen. Die Bundeswehr stellt dem rot berockten Bruchpiloten einen ihrer modernen »Eurofighter« zur Verfügung. Nur Minuten später hebt »Santa 1« mit donnernden Triebwerken ab. Die Bescherung kann beginnen.

Ein nettes Video, das die unweit der Donaustadt Neuburg stationierte Truppe, die ihren gesamten Flugbetrieb jüngst wegen Corona-Befalls gänzlich einstellen musste, gedreht hat. Aus Sicht des Umweltschutzes ist aber – auch ohne die genauen Daten des verunglückten traditionellen Weihnachtsmann-Transportmittels zu kennen – von so einem Materialtausch dringend abzuraten. Warum?

Kontinuierlich erkundigt sich die Linksfraktion nach dem Befinden der 74er Fliegertruppe. Die ziert sich etwas. Anders als in früheren Jahren ist die Anzahl der Flugstunden, die sich durch die außergewöhnliche Amtshilfe für den Weihnachtsmann ein wenig erhöht hat, inzwischen geheim. Sicher ist nur, dass das Militär mit der Industrie einen »deutlich positiven Trend« bei der Verfügbarkeit der »Eurofighter« erreicht hat.

Insgesamt hat die Luftwaffe 140 Eurofighter in ihrem Buchbestand. Sie werden von vier Geschwadern eingesetzt. Laut aktuellem »Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme« liegen die Spitzenwerte bei über 70 Prozent. Die Verfügbarkeit der Neuburger »Eurofighter«, so sagt das Verteidigungsministerium, lag 2019 »auf dem Niveau der Gesamtflotte«. Dass auch dort deutlich mehr geflogen wird, ergibt sich auch aus der Anzahl der Flugbewegungen in der Kontrollzone Neuburg und des Ausweichflugplatzes Lechfeld. 2009 gab es dort 5551 Starts, Landungen und andere Luftoperationen, 2019 addierte man 10 153.

Mehr Flüge bedeuten auch mehr Treibstoffverbrauch. 2009 verfeuerte man 6650 Tonnen Kerosin, zehn Jahre später waren es 12 190 Tonnen. 726 davon verflog man im Ausland. Die Statistik der Luftwaffe gibt noch mehr Zahlen her, die den oft betonten Anstrengungen der Bundesregierung zur Senkung des CO2-Ausstoßes zuwiderlaufen. 2009 pusteten die Maschinen des Geschwaders 20 947 Tonnen CO2 in die Luft, 2019 lag der Wert bei 35 220 Tonnen. Zum Vergleich: Laut Umweltbundesamt erzeugen Autofahrer pro Liter Benzin rund 2,33 kg CO2, pro Liter Diesel werden 2,65 kg CO2 freigesetzt.

Durch die Verbrennung des Treibstoffs entstehen weitere Abgaskomponenten. Wie hoch die sind, hängt von der Temperatur, dem Luftdruck, der Feuchtigkeit sowie den geflogenen Flugprofilen ab. Das Verteidigungsministerium betonte vor zwei Jahren, dass die Eurofightermotoren – jeder hat einen maximalen Schub von über 90 000 Newton – »weit unter den Werten älterer Triebwerke« liegen, doch seien die der weiteren Abgaskomponenten »nicht bekannt«. Über Feinstaubbelastungen könne man keine Aussagen treffen, sagt das Militär, wohl aber über Kraftstoff, der ins Erdreich gerät. In Neuburg wäre das nicht so schlimm, so die Bundeswehr. Im Umfeld des Flugplatzes sei es nur in zwei Brunnen zu geringfügigen Überschreitungen der PFC-Werte gekommen.

Auch die Auslandsverwendungen der Luftwaffensoldaten verlangen viel Vorbereitung. Schließlich lassen sich die Russen nicht so einfach abschrecken. 2019 und 2020 waren mehrere Jets im estnischen Ämari stationiert. Dazu kamen meist von der Nato organisierte Übungen in den Niederlanden, in Frankreich, Norwegen und Spanien. Auch im April 2021 wird man Soldaten und scharfes Material an die russische Grenze verlegen. Was eine Stunde Flugbetrieb mit dem »Eurofighter« kostet, kann man nur ahnen, denn »nach sorgfältiger Abwägung des parlamentarischen Informationsanspruchs« mit »dem Staatswohl« werden die Kosten geheim gehalten. Vor Jahren zeigte sich die Bundeswehr transparenter. Eine Anfrage der damaligen Linke-Abgeordneten Eva Bulling-Schröter ergab, dass die Luftwaffe 2014 für eine »Eurofighter«-Flugstunde 67 852 Euro aus dem Steuersack nahm. Insgesamt hat das Taktische Luftwaffengeschwader 74 damals 277,1 Millionen Euro verbraucht. 2019, so ist der aktuellen Antwort auf die Anfrage von Bulling-Schröters Nachfolgern zu entnehmen, rechnete das Geschwader 560,3 Millionen Euro Kosten ab. Der Verteidigungshaushalt steigt 2021 von 45,65 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 46,93 Milliarden Euro. Der Haushaltsausschuss bewilligte – ohne Zutun des geretteten Weihnachtsmannes – für die Beschaffung im Bereich des Waffensystems »Eurofighter« weitere 248 Millionen Euro.

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