Trump möchte die eigene Haut retten

Kurz vor Amtsübergabe an Joe Biden pendelt der abgewählte US-Präsident zwischen Wut und Übermut

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 3 Min.

»Dies ist kein Präsident, der einfach in den Sonnenuntergang reitet, sich zur Ruhe setzt und nie wieder von sich hören lässt. Er wird auch weiter eine sehr große, aktive Rolle in der politischen Debatte spielen«, sagt der Chef des fürs Weiße Haus zuständigen Büros der »Washington Post« Philip Rucker.

Gewöhnlich streben scheidende Präsidenten nach einem seriösen Abgang aus dem Amt. Auch darin ist »Nr. 45« anders: Seit dem Wahltag im November ist Donald Trump in den Endzeitmodus gewechselt: noch narzisstischer, noch irrlichternder, aber entschlossen, die Wahlniederlage ungeschehen zu machen und, neu: auf der Suche nach Schutz gegen etwaige Strafverfolgung. Gegen ihn könnte wegen mehrerer Vorwürfe ermittelt werden. Sie reichen von Steuervergehen bis zur Justizbehinderung. Trump wiederum wird in seinem Vorgehen nicht nur von Wut über die Niederlage, sondern auch von Rache gegen eigene Parteigänger getrieben. Eine wachsende Zahl, darunter der Führer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, hatte zuletzt begonnen, den Sieg des Demokraten Joe Biden anzuerkennen.

William Barrs eiliger Abgang als Justizminister etwa vergrößert unter altgedienten Ministerialbeamten die Befürchtung, Trump werde Barrs Nachfolger verstärkt unter Druck setzen, damit dieser ihm gefällig ist. Der nur bis zur Amtsübergabe an Biden am 20. Januar amtierende Jeffrey Rosen besitzt für seine Aufgabe weit weniger Erfahrung als Barr. Das, fürchten Veteranen des Ministeriums, könne ihn weit anfälliger für erpresserischen Druck machen. Konkret erwarten sie, dass der Präsident ihn dazu drängt, einen Sonderermittler zur Untersuchung der angeblichen weit verbreiteten Fälschung des Wahlergebnisses zu ernennen, obwohl zuletzt auch das Oberste Gericht diese Behauptung Trumps für gegenstandslos erklärt hatte.

Kritiker erwarten zudem, Trump könnte Rosen zu einem Rechtsspruch bewegen, der dem Präsidenten erlaubt, sich wie zuletzt Wladimir Putin Eigenimmunität gegen Strafverfolgung zu besorgen. Das allzeit folgsame russische Parlament hatte vor Weihnachten ein Amnestiegesetz verabschiedet. Es gewährt Putin ebenso wie den zwischenzeitlichen Präsidenten Medwedew und beider Familienmitglieder Immunität auf Lebenszeit. Nach der Verfassungsänderung vom Frühjahr, die Putin die Präsidentschaft theoretisch bis 2036 ermöglicht, eine weitere Farce.

Für Trumps Suche nach einem ähnlichen Schlupfloch müsste vor allem ein Grundsatz des US-Justizministeriums aus der Endphase der Nixon-Präsidentschaft (1969 bis 1974) gekippt werden. Er war auf dem Höhepunkt der Watergate-Affäre formuliert worden und verbot dem damaligen Präsidenten Richard Nixon die Selbstbegnadigung. Sollte sich Trump darüber hinwegsetzen, ist massiver öffentlicher Widerstand wahrscheinlich.

Die Sorge vor brachialem Druck auf Übergangsminister Rosen rührt vor allem aus Trumps Wutausbrüchen über Barr. Bis zur Novemberwahl liebedienerischer Helfer par excellence, hatte dieser sich Trumps Zorn danach umso mehr zugezogen, als er öffentlich äußerte, es gebe kein Anzeichen für signifikante Wahlfälschungen. Auf seiner letzten Pressekonferenz in der Weihnachtswoche bekräftigte der Justizminister, er habe weder vor, einen Sonderermittler zu möglichen Steuerunregelmäßigkeiten bei Joe Bidens Sohn Hunter noch für Trumps unbegründete Wahlfälschungsvorwürfe zu ernennen.

Paul Rosenzweig, 1998/99 Staatsanwalt unter Sonderermittler Ken Starr im Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Bill Clinton, sagte, Barrs Rücktritt deute darauf hin, dass Trump einen »gefügigeren Minister an der Spitze des Justizressorts haben will - einen, der sich Trumps Anomalien in letzter Stunde nicht widersetzt«. Trump seien in seinen letzten Amtstagen viele Befehle ans Justizministerium zuzutrauen. »Am wahrscheinlichsten ist die Ernennung eines Sonderermittlers gegen Hunter Biden. Ein weiterer ist die Beschaffung eines Urteils durch das Office of Legal Counsel (das das Justizministerium in Rechtsfragen gegenüber dem Präsidenten und allen Ministerien berät - «nd»), das den Grundsatzentscheid aus der Nixon-Ära aufhebt, demzufolge Selbstbegnadigungen illegal sind.« Rosenzweig sagte, es bleibe jedoch abzuwarten, ob Rosen »tatsächlich so gefügig sein wird, wie Trump hofft«.

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