Kapitalismusfundis vs. Klimarealos

Tadzio Müller über umweltpolitische Auseinandersetzungen zwischen den neuen Grünen-Lagern

  • Tadzio Müller
  • Lesedauer: 3 Min.

21. 11. 2020, Onlineparteitag der Grünen: Nach hinter den Kulissen hart ausgefochtenem Kampf bekennt sich die Partei zur »1,5-Grad-Grenze« - sprich: zu Deutschlands ohnehin schon vertraglich verankerter Verantwortung zum Klimaschutz. Man feiert sich dafür selbst und wird dafür auch hart gefeiert.

27. 12. 2020, interner Machtkampf: In seinem zunehmend verzweifelt wirkenden Versuch, das Image des bloßen Profi-Laubbläsers loszuwerden und zur Gravitas der sich clever in Kanzlerinnenposition bringenden Annalena Baerbock aufzuschließen, versucht Robert Habeck sich in Klimakommunikation. Seine »ambitionierte« Forderung: Deutschland solle seine Treibhausgasemissionen bis 2030 nicht bloß, wie in der EU vereinbart, um 55 Prozent gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 reduzieren, sondern um sage und schreibe 65 Prozent, wegen seiner höheren Pro-Kopf-Emissionen und - hat er zwar nicht gesagt, aber ich gönne ihm den Punkt mal - seiner größeren historischen Verantwortung für die Klimakrise.

Das Problem? Die beiden Aussagen - »Wir stehen zu 1,5 Grad« und »Deutschland soll seine 2030-Reduktionsziele marginal anheben« - stehen in einem krassen Missverhältnis zueinander, dessen sind sich auch alle Beteiligten bewusst. Ohne in die Details einzusteigen, müsste Deutschland bis 2031 auf Nullemissionen kommen, um seinen Beitrag zu einer 50-prozentigen Chance zu leisten, das 1,5-Grad-Limit nicht zu reißen. Wie üblich wird nun aus der Klimabewegung Kritik laut, die Ziele seien unzureichend, die Grünen würden mithin vor der Klimakrise kapitulieren. So weit, so bekannt, vor allem seit dem Kampf um den Dannenröder Wald.

Jetzt aber passiert etwas, was wir zwar schon seit Jahrzehnten kennen, was aber mit der zunehmenden Nähe der Grünen zur Regierungsmacht immer offensichtlicher und gleichzeitig mit der eskalierenden Klimakrise immer absurder wird: Die Kapitalismusfundis kommen aus der Deckung. Das sind diejenigen, die gegen jedes theoretische Argument, vom Rebound-Effekt bis zur Kritik an Effizienzsteigerungen, von der Überlagerung von Akkumulationsregimen - grüner vs. fossiler Kapitalismus - anstatt ihrer Verdrängung, und die auch gegen jede empirische Erfahrung, den ständigen Anstieg der globalen Emissionen immer wieder betonen: kein Stress, das Ziel mag nicht ausreichen, aber in Zukunft werden wir es schaffen, Emissionen zu reduzieren und gleichzeitig immer reicher zu werden. Irgendwie werde es eine »Dynamik« geben - ähnlich der Marxschen Teleologie -, die den bisher so umweltzerstörenden Kapitalismus in grüne Bahnen lenken wird, obwohl es völlig unklar ist, woher diese Dynamik kommen soll. Und wie sie das Ziel der radikalen Emissionsreduktion erreichen soll, mit welchen politischen Maßnahmen sie durchgesetzt und flankiert werden soll ...

Das Irritierende daran: Es gibt eine Politik, nämlich den Lockdown, die nachweislich klimaschutzrelevante Emissionsreduktionen produzieren kann. In dem Sinne sind es die Wachstumskritiker*innen, die Klimagerechtigkeitsbewegung und Verbündete, die in dieser Debatte die Klima-Realos sind. Auf der anderen Seite stehen uns gegenüber: vollkommen unrealistische, verträumte, ideologisch verblendete Kapitalismusfundis, die von einem nie erreichbaren Utopia träumen, an dem ihr geliebter Kapitalismus sowohl sie und ein paar andere reich macht, als auch das Klima und die wundervolle Natur schützt.

Wissen Sie eigentlich, wie wahnsinnig anstrengend es ist, mit Leuten zu diskutieren, die jeden empirischen Datensatz, jedes noch zu überzeugende theoretische Argument mit dem dogmatischen Satz »Aber es könnte doch noch irgendwie anders laufen« weiträumig ignorieren? Nicht nur das: Diese Leute bestimmen bei den großen Öko-Nichtregierungsorganisationen des Landes auch noch die politische Strategie, schmeißen die Klimabewegung und das Klima einfach unter den Bus, strecken stattdessen die Hände Richtung Staatssekretärsposten aus.

Die ökologische Konfliktlinie verlief früher zwischen »radikalen Fundis« und »pragmatischen Realos«. Heute läuft sie zwischen den Kapitalismusfundis (die dem Kapitalismus Zauberkräfte zuschreiben) und Klimarealos, die, immerhin, die Realität ernst nehmen. Auf welcher Seite stehen Sie?

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