»Ohne uns kein Fortschritt«

Fabien Roussel über die stolze Vergangenheit der Französischen Kommunistischen Partei und die gegenwärtigen Herausforderungen

  • Lesedauer: 5 Min.

Die Kommunistische Partei Frankreichs ist 100 Jahre alt. Was hat sich seit 1920 geändert?

Natürlich hat sich die Welt seit 1920 grundlegend verändert, die Welt der Arbeit durch die Entwicklungen des Kapitalismus und die politischen und imperialistischen Machtverhältnisse. Schon der Gründungskongress von Tours konnte viele strategische Debatten nicht beilegen, die noch heute die Arbeiterbewegung beschäftigen, genauso wenig wie er die Herausforderungen, Tragödien und Desillusionen des 20. Jahrhunderts voraussehen konnte. Aber noch heute und mehr denn je bedroht der Kapitalismus die Zukunft der Menschheit. Tagtäglich zeigt er, dass seine Unersättlichkeit, die Allmacht der Märkte und der Finanzwelt sowie die Verwüstung unseres Ökosystems den Planeten in eine gesundheitliche, wirtschaftliche, ökologische und klimatische Katastrophen führen.
Fabien Roussel

Der 1969 geborene Journalist, der seine publizistische Karriere nach dem Studium der Kommunikationswissenschaften als Bildreporter bei France 3 begann, war in jungen Jahren bereits Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes, wo er insbesondere gegen die Apartheid in Südafrika und für die Freilassung von Nelson Mandela kämpfte. Der Sohn eines Redakteurs der FKP-Zeitung »L’Huma-nité« und einer Bankangestellten war Ende der 90er Jahre Pressereferent der Tourismusministerin Michelle Demessine sowie Anfang der 2000er Jahre selbst Abgeordneter. Nationale Anerkennung erwarb er sich mit einer Petition für Gehaltserhöhungen beim französischen Konzern Bombardier.

Mit dem im November 2018 gewählten Vorsitzenden der FKP sprach unser Pariser Korrespondent Ralf Klingsieck.

Die Markt- und Finanzglobalisierung, die uns als Ende der Geschichte suggeriert wurde, schafft ein unbeschreibliches Chaos. Millionen Menschen werden skrupellos ausbeutet, in Arbeitslosigkeit und Prekarität gestürzt, Fabriken schließen, grundlegende soziale Rechte werden abschafft, die Demokratie wird ausgehebelt. Die verheerende Logik des »freien und unverzerrten Wettbewerbs« befeuert Konflikte, aus denen neue Kriege entstehen können. Eine Welt des Friedens und der Zusammenarbeit zwischen den Völkern und ein geeintes Frankreich zu schaffen, diese Herausforderung hat seit dem Kongress von Tours nichts an Aktualität verloren.

Was bedeutet es heute, Kommunist zu sein?

Unter den schwierigen Bedingungen des beginnenden 21. Jahrhunderts lassen wir uns von der Mahnung Paul Vaillant-Couturiers leiten: »Möge unsere Partei ... ihrer Vergangenheit, Männern wie Babeuf und Jaurès, Ereignissen wie der Revolution vom Juni 1848 und der Pariser Kommune würdig sein.« Es gibt heute gar mehr Gründe als zuvor, Kommunist zu sein, die Vorherrschaft des Kapitals nicht zu akzeptieren. Es gilt, die Arbeit so zu verändern, dass sie keine Qual mehr ist, sondern Kreativität, persönliche Erfüllung, soziales Lebens fördert.

Es gilt, Gleichheit und Solidarität hochzuhalten, ohne die die Würde aller Menschen nicht garantiert ist. Es gilt, für eine Gesellschaft zu kämpfen, die frei von Unterdrückung, Ausbeutung, Glaubensdiktat oder Rassismus ist, in der jeder nach Kultur, Informationen, Bildung strebt, nach Wissen, Sport und Freizeit. Wir glauben, dass es möglich ist, die Befriedigung und Entwicklung menschlicher Bedürfnisse mit dem Schutz von Ökosystemen und der biologischen Vielfalt zu vereinen.

Welchen Einfluss haben die Kommunisten in Frankreich noch auf das politische, soziale und gesellschaftliche Leben?

Hinsichtlich der Mitgliederzahl gehört die FKP zu den führenden Parteien in Frankreich. Sie hat Fraktionen in beiden Kammern des Parlaments und führt 170 Städte und Gemeinden mit mehr als 3500 Einwohnern. Zweifellos gab es bei den jüngsten Kommunalwahlen Verluste, es konnten aber auch ehemals kommunistische Kommunen zurückerobert werden, die ein lebendiges Beispiel für sozialen Fortschritt waren und wieder sein werden.

Welche Spuren hat die FKP in der Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert hinterlassen?

Die Kämpfe gegen Kolonialismus und Apartheid und für die Unabhängigkeit der Völker, die Volksfront 1936 mit bezahltem Urlaub und Betriebsräten, der Widerstand gegen die deutsche Okkupation unter Kommunisten wie Henri Rol-Tanguy oder »Oberst Fabien«, dem 1943 von den Nazis hingerichteten Jean Moulin, der Wiederaufbau Frankreichs 1945, die Schaffung des Sozialversicherungssystems und vieles mehr sind ohne die FKP undenkbar. Allerdings ist auch festzustellen, dass unsere Partei wie die Linken generell in Schwierigkeiten ist.

In der Vergangenheit gab es wiederholte Versuche des Zusammengehens mit anderen Kräften der Linken, die aber nicht nur einmal zur Folge hatten, dass die Partner auf Kosten der FKP gestärkt wurden.

Kommunisten lassen sich davon nicht abhalten, Bündnisse mit jenen zu schmieden, die gleichfalls die Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse überwinden wollen. Ohne diese großen kollektiven Impulse würde die Demokratie verdorren, der Weg zu einem neuen, sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Entwicklungsmodell versperrt. Die Klassenfrage bleibt wichtig. Wir wollen, dass die Arbeiter unseres Landes die Kontrolle über ihre Zukunft zurückgewinnen.

Angesichts der Coronakrise und der deshalb wahrscheinlichen Verschiebung der Regionalwahlen, die ursprünglich für März 2021 geplant waren, prüfen wir derzeit, wann wir unseren Parteitag abhalten können. Unser Ziel ist es, in den Regionen und Departements möglichst viele Stimmen zu gewinnen, um linke Politik führen zu können - von der Bekämpfung von Armut bis hin zur Dämpfung des Klimawandels. Wir setzen daher die Gespräche mit allen linken Kräften fort. Zudem wollen wir für die Präsidentschaftswahl 2022 einen eigenen Kandidaten aufstellen.

Wie kann die FKP die Wähler zurückgewinnen, die sie teils auch an die rechtsextreme Sammlungsbewegung Rassemblement National von Marine Le Pen verloren hat?

Indem wir uns auf die Probleme der Bürger einstellen, denen das Geld fehlt, auch nur ihren Kühlschrank zu füllen, denen Lebensnotwendiges fehlt. Wir müssen gemeinsam Antworten finden. Ich will keine Kommunistische Partei, die Lehren erteilt. Wir müssen konkret Solidarität üben. Viele Basisgruppen unserer Partei haben vor Weihnachten Spielzeug und Lebensmittel gesammelt für finanziell schwache Familien. Und wir müssen die von Marine le Pen irregeleiteten Menschen überzeugen, dass sie deren Probleme nicht lösen wird, sondern dass sie noch mehr verlieren werden. Und dass nicht die Einwanderer schuld an ihrer Misere sind, sondern das bestehende Wirtschaftssystem ihnen an die Gurgel geht. Wir müssen sie von uns und unseren Ideen überzeugen.

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