Nächster Angriff auf die Rente

Unternehmerverbandschef und Wirtschaftsweise fordern Erhöhung des Eintrittsalters in den Ruhestand

Immer wieder fordern insbesondere Vertreter von Unternehmerverbänden, aber auch Politiker und Fachleute die Anhebung der sogenannten Regelaltersgrenze. Am Montag verlangte der neue Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, die Leute müssten länger arbeiten, um die gesetzliche Rente finanzierbar zu halten. Ähnlich äußerte sich die Ökonomin Monika Schnitzer. Sie ist seit Februar 2020 Mitglied des von der Bundesregierung berufenen Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, also eine der fünf sogenannten Wirtschaftsweisen.

Dulger sagte der Deutschen Presse-Agentur, angesichts der steigenden Lebenserwartung sei eine Anhebung des Renteneintrittsalters unerlässlich. »In den kommenden Jahren wird die ›Babyboomer‹-Generation in Rente gehen, und der Druck auf unsere sozialen Sicherungssysteme wird aufgrund dieses demografischen Wandels immer stärker werden«, erklärte der BDA-Chef. Tatsächlich ist der Jahrgang 1964, zu dem auch Dulger gehört, der geburtenstärkste in der Geschichte der Bundesrepublik. Auch in den Folgejahren wurden viele Menschen geboren. Unter anderem mit dieser Begründung hatte die damalige Große Koalition bereits 2009 die Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre auf den Weg gebracht. Das im Mai 2010 vom Bundestag beschlossene entsprechende Gesetz sieht vor, dass alle 1964 und später Geborenen erst mit 67 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen können. Bereits seit 2012 wird die Altersgrenze in Monatsschritten heraufgesetzt.

Dulger findet, wegen der höheren Lebenserwartung müsse »unsere Lebensarbeitszeit zwangsläufig auch steigen«. Die Kosten der Alterung der Gesellschaft müssten auf diese Weise »auf die Generationen verteilt werden«, erklärte der BDA-Chef. Dazu gebe es »keine Alternative«.

Eine Zwischenfinanzierung der Renten über Schulden lehnt Dulger ab. Dergleichen sei »Augenwischerei«. Der Verbandspräsident verlangte auch, das Ziel, die Sozialversicherungsbeiträge nicht über 40 Prozent steigen zu lassen, müsse im Grundgesetz verankert werden. Offene Türen rennt er mit seinen Forderungen zumindest bei der CDU ein. Ihr Fachausschuss Soziale Sicherung und Arbeitswelt hatte Ende November ein Papier zur Rentenpolitik vorgelegt, in dem er den Ausbau der privaten Altersvorsorge und eine höhere Lebensarbeitszeit propagiert.

Dies hält auch Monika Schnitzer für nötig. Sie drängt zusätzlich zur Eile bei der Anhebung des Rentenalters: »Da müssen wir rasch handeln, weil es leichter zu akzeptieren ist, wenn die Menschen wissen: Diese Verlängerung setzt erst in ein paar Jahren ein«, sagte die Wissenschaftlerin dem »Handelsblatt«. Auch Schnitzer argumentiert mit der Generationengerechtigkeit: Weil sich durch die Hilfen in der Coronakrise die Staatsschulden »enorm erhöhen werden«, dürfe man diese Schulden »nicht allein der nächsten Generation aufbürden« und ihr zusätzlich die Finanzierung von immer mehr Rentnern zumuten.

Die Gewerkschaften, die schon gegen die Rente mit 67 protestiert hatten, weisen die Forderung nach einer weiteren Anhebung des Rentenalters oder gar der automatischen Kopplung an die Entwicklung der Lebenserwartung zurück. DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel nannte die Forderungen Dulgers inakzeptabel und warnte vor einer »Rentenkürzung durch die Hintertür«. »Schon heute scheiden viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer krankheitsbedingt vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus und haben dabei erhebliche Rentenabschläge hinzunehmen«, erklärte Piel. Höhere Altersgrenzen seien de facto eine »Gewinnmaximierung für Unternehmen« auf dem Rücken der Beschäftigten. IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban kritisierte, die »reflexartigen Forderungen« nach immer höheren Altersgrenzen seien »von der Lebensrealität älterer Beschäftigter weit entfernt«. Statt »Rentenpolitik auf Kosten der Gesundheit« seien »mehr flexible und sozial abgesicherte Optionen für den Übergang in den Ruhestand« nötig. Wer längere Lebensarbeitszeiten verlange, müsse auch die Arbeitsbedingungen verbessern, so Urban. Der Vorsitzende der Gewerkschaft verdi, Frank Werneke, hält es angesichts der demografischen Entwicklung hingegen für unerlässlich, die gesetzliche Rente künftig zu größeren Anteilen als bisher über Steuern zu finanzieren. So könne das Rentenniveau auch nach 2025 bei 48 Prozent der Nettoeinkünfte gehalten und gesteigert werden.

Auch Mitglieder der von Sozialminister Hubertus Heil (SPD) eingesetzten »Kommission verlässlicher Generationenvertrag« hatten im März 2020 für die weitere Anhebung der Altersgrenze plädiert. Es hatte in dem Gremium diesbezüglich aber keine Einigkeit gegeben.

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