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Aufklärung weiter blockiert

Auch 16 Jahre nach dem Feuertod von Oury Jalloh kämpfen Aktivisten um neue Ermittlungen

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Rekonstruktion dessen, was am 7. Januar 2005 mit Oury Jalloh passierte, ist nur lückenhaft möglich. Einen recht detaillierten Einblick bietet der Abschlussbericht der Sonderberater des Landtags, Jerzy Montag und Manfred Nötzel, die ihr Gutachten im Sommer 2020 vorstellten.

Demnach gingen in den frühen Morgenstunden zwei Anrufe im Polizeirevier Dessau ein. Oury Jalloh, Asylsuchender aus Sierra Leone und seit mehreren Jahren in Deutschland lebend, soll in alkoholisiertem Zustand Frauen der Stadtreinigung »anhaltend und bedrängend« nach einem Handy gefragt haben. Die Frauen riefen deshalb die Polizei. Als die Beamten eintrafen, war die Auseinandersetzung bereits beendet. Der Polizeiobermeister fragte Jalloh nach Papieren - ohne Begründung. Der Asylsuchende wehrte sich, worauf ihn die Beamten mit Gewalt in den Polizeiwagen beförderten. Vier Stunden später war Jalloh tot: Er wurde zur Unkenntlichkeit verbrannt auf einer Matratze liegend und an Händen und Füßen gefesselt in Zelle fünf des Reviers gefunden.

Die Aktiven der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, die wie jedes Jahr zu einer Kundgebung aufruft, sind sich sicher: Das war Mord! Der Vorwurf ist gravierend: Polizisten sollen Jalloh in der Zelle angezündet und verbrannt haben. Trotz zahlreicher politischer und juristischer Rückschläge glauben die Aktivisten weiterhin an Aufklärung.

Die kommt bislang nur schleppend voran. Die mühsam gewonnenen Erkenntnisse ergeben jedoch ein zunehmend klares Bild: Für die jahrelang von den Ermittlungsbehörden kolportierte These, Jalloh habe sich mit einem Feuerzeug selbst angezündet, fehlt bislang jeder Beweis. Stattdessen erhärten unabhängigen Ermittlungen den Verdacht, dass Jalloh tatsächlich getötet wurde.

So tauchte das Feuerzeug, mit dem Jalloh sich angezündet haben soll, erst Tage nach seinem Tod in der Asservatenliste auf. Späteren Untersuchungen zufolge waren auch keine DNA-Spuren Jallohs am Feuerzeug nachweisbar - wohl aber eingeschmolzene Fasern, die nicht vom Tatort stammten. Ebenso kam ein von der Initiative in Auftrag gegebenes Brandgutachten zu dem Schluss, dass die schnelle und völlige Zerstörung der feuerfesten Matratze sowie das Ausmaß und die Intensität der Verkohlung von Jallohs Körper nur durch Einsatz von Brandbeschleuniger möglich gewesen sei. Ein neues Ermittlungsverfahren zur Klärung der Todesursache wurde jedoch im Jahre 2017 von der Staatsanwaltschaft Halle eingestellt, nachdem diese den Fall von der Staatsanwaltschaft Dessau übernommen hatte.

Aus Dessau hörte man derweil ganz andere Töne. Sogar der damalige leitende Dessauer Oberstaatsanwaltschaft, Folker Bittmann, hielt in einem Schreiben an die Generalbundesanwaltschaft im April 2017 eine andere Version der Tat für möglich. Demnach könnten Beamte Jalloh tatsächlich angezündet haben. Das Motiv könnte gewesen sein, dass dem Asylsuchenden zuvor zugefügte Verletzungen vertuscht werden sollten. Auch hätten Ermittlungen zu früheren Todesfällen im Umfeld der Dessauer Polizei verhindert werden sollen.

Vor Oury Jalloh waren bereits zwei weitere Menschen an Verletzungen im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen gestorben: Hans-Jürgen Rose (1997) und Mario Bichtemann (2002). Auch diese Fälle sind bis heute ungeklärt. Möglicherweise kam es in Dessau also mehrfach zu Misshandlungen von in Gewahrsam Genommenen. Bei Oury Jalloh wurde ein Nasenbeinbruch festgestellt. »Wir haben ein radiologisches Gutachten in Auftrag gegeben, das zeigt, dass der Nasenbeinbruch zu Lebzeiten entstand«, sagt Nadine Saeed von der Initiative im Gedenken an Oury Jalloh und fügt an, dass Jallohs Verletzung denen der beiden anderen Todesopfer »sehr ähnlich« sei.

So schleppend wie die Aufklärung der Todesursache verliefen die Prozesse gegen zwei Polizeibeamte, die in unmittelbarer Verbindung zu Jallohs Tod stehen. Ein erster Prozess gegen den damaligen Dienstgruppenleiter wegen Körperverletzung mit Todesfolge und einen weiteren Polizisten wegen fahrlässiger Tötung endete zunächst mit Freispruch für beide, nach Revision wurde zumindest der Dienstgruppenleiter rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt.

Die lange Liste der Ungereimtheiten in dem Fall führten auch die Sonderberater Montag und Nötzel in ihrem mehr als 300 Seiten starken Gutachten auf. Darin stellten sie fest, dass der Tod Jallohs hätte verhindert werden können. Die polizeilichen Maßnahmen gegen ihn seien rechtswidrig gewesen, zudem sei der Landtag in drei Fällen nicht richtig informiert worden. Auch stellten sie auf mehreren Ebenen Alltagsrassismus, institutionellen Rassismus und menschenverachtende Äußerungen fest. Allerdings gebe es keine offenen Ermittlungsansätze zur weiteren Verfolgung eines Mordes oder Mordversuchs, so die Sonderberater.

Wirklich nicht? Möglicherweise könnte ein Untersuchungsausschuss weiteres Licht ins Dunkel bringen. Ein solches Instrument, das mindestens 25 Prozent Zustimmung des Landtags benötigt, hat es bislang nicht gegeben. Doch mittlerweile sprechen sich sowohl die Linkspartei als auch SPD und Grüne für einen Untersuchungsausschuss aus und könnten einen solchen in der kommenden Legislaturperiode beschließen.

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