nd-aktuell.de / 13.01.2021 / Kultur / Seite 8

Das nobelste Projekt der Kinogeschichte

Zum Tod des britischen Regisseurs Michael Apted

Kira Taszman

So kann Gerechtigkeit auf der Hollywood-Leinwand aussehen: Am Ende sind die korrupten FBI-Schergen in einer Schlucht eingekesselt, während die Native Americans aus dem Reservat geschlossen und mit gezückten Gewehren auf dem Felsen stehen und den ehrlichen Agenten retten. Diese auf Überwältigung setzende, aber eindrucksvolle Szene setzte der britische Regisseur Michael Apted 1992 ins Bild, in seinem packenden US-Drama »Thunderheart« (Donnerherz, wie der indigene Ehrenname des Helden). Hierzulande trug der Film den Verleihtitel »Halbblut«, da er von einem FBI-Agenten (Val Kilmer) mit Sioux-Wurzeln erzählt. Dieser deckt in den 1970er Jahren die gezielte Vergiftung von Gewässern in einem Reservat in South Dakota auf und findet emotional zu seiner indigenen Herkunft zurück.

In »Thunderheart« vermied Apted Klischees über amerikanische Ureinwohner - unter etlichen von ihnen gilt »Thunderheart« als Kultfilm. Er hatte sie bereits ins Zentrum seines kurz zuvor gedrehten Dokumentarfilms »Zwischenfall in Oglala« gestellt, aus dem er auch einige amerikanische Ureinwohner als Schauspieler für »Thunderheart« rekrutiert hatte. Mit diesem Werk, das von der umstrittenen Verurteilung des indigenen Aktivisten Leonard Peltier nach einer Schießerei 1975 im Pine-Ridge-Reservat erzählt, besann sich der 1941 im südenglischen Aylesbury geborene Mann mit dem schmalen Gesicht und dem ernsthaften Blick auf seine Wurzeln. Denn seine Regiekarriere hatte Apted als Dokumentarfilmer begonnen: Die bahnbrechende Doku-Reihe »Up«, eine an Winfried und Barbara Junges »Die Kinder von Golzow« erinnernde Langzeitbeobachtung, schrieb britische Filmgeschichte.

1964 begonnen, begleitet sie 14 damals siebenjährige Kinder aus England in siebenjährigen Abständen bis ins fortgeschrittene Erwachsenenalter im Jahr 2019. Anhand von nachvollziehbaren Einzelbiografien - sieben der Protagonisten stammten aus Arbeiterkreisen, sieben aus einem wohlhabenden Milieu - erforschte Apted die sozialen Ungleichheiten der britischen Gesellschaft und zeigte ihren politischen und kulturellen Wandel innerhalb eines halben Jahrhunderts auf.

US-Filmkritiker Roger Ebert adelte Apteds Doku-Reihe als »das nobelste Projekt der Kinogeschichte«. Bis heute wird sie als das bedeutendste Werk des Engländers angesehen, obwohl er sich seit den 80er Jahren als Spielfilm-Regisseur in Hollywood etablierte. Dort drehte er kommerziell erfolgreiche Filme wie den sehr kurzweiligen James-Bond-Reißer »Die Welt ist nicht genug« (1999) mit Pierce Brosnan und Sophie Marceau. Von 2003 bis 2009 fungierte Apted gar als Vorsitzender der Director’s Guild of America, der mächtigen Gewerkschaft für Regisseure in den USA.

Auch wenn er immer wieder Abstecher ins Doku-Fach unternahm (etwa mit dem Sting-Konzertfilm »Bring on the Night«, 1985), wird er einem breiten Publikum eher als Macher von engagiertem, effektivem Fiktionskino in Erinnerung bleiben. Oft erzählt er dabei von unbequemen oder gemarterten Individuen (häufig Frauen), die sich als Einzelkämpfer gegen vorherrschende Meinungen und Systeme stemmen. So handelt »Gorillas im Nebel« (1988) von der später ermordeten Affenforscherin Dian Fossey, während das oscarnominierte Drama »Nell« Jodie Foster als von der Welt entfremdete Einsiedlerin präsentiert. Das spannende, mit wenig Action auskommende Zweite-Weltkriegs-Drama »Enigma - Das Geheimnis« (2001) wiederum handelt von einem Mathematiker, der hilft, die Deutschen zu besiegen, aber erst von einer patenten Frau in Gestalt von Kate Winslet von Traumata und Wahn befreit werden kann.

Stets stellte sich Apted, der selbst nur zwei Drehbücher seiner 78 TV- und Kinofilme schrieb, in den Dienst der Story. Er inszenierte schnörkellos und holte in den Spielfilmen das Beste aus seinen oft prominenten Schauspielern heraus. In seinen letzten Arbeiten inszenierte Apted, dessen Filme mehrfach für den Oscar nominiert wurden, Folgen von namhaften TV-Serien wie »Masters of Sex« oder »Ray Donovan«. In einer von Individualisten und selbst ernannten Star-Regisseuren bevölkerten Filmwelt wird der bescheidene, teamorientierte Michael Apted fehlen.