Angst vor Corona und Krieg

Im Libanon fordert der fünfte Lockdown in weniger als einem Jahr der Bevölkerung viel ab

  • Karin Leukefeld, Beirut
  • Lesedauer: 4 Min.

»Der Prozess, in dem die Welt sich von der Coronavirus-Pandemie erholt, bietet die Chance zu einem Kurswechsel«, erklärte UN-Generalsekretär António Guterres am Montag beim UN-Gipfeltreffen »Ein Planet«. Jeder Einzelne müsse Biodiversität und das Klima schützen. »Kluge Politik und die richtigen Investitionen können in Zukunft Gesundheit für alle bringen, die Wirtschaft wieder beleben und die Widerstandsfähigkeit stärken«, so Guterres.

Für die Libanesen klingen solche Worte wie Hohn. Von Erholung ist in dem krisengeschüttelten Land keine Spur, Krisen und Kriege seit Jahrzehnten haben die Widerstandskräfte der Menschen bis auf das Äußerste strapaziert. Nun sieht der kleine Staat in der Levante sich mit einem enormen Anstieg von COVID-19-Fällen konfrontiert und wird mit einem fünften Lockdown innerhalb eines knappen Jahres zum Stillstand gezwungen.

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Ab dem 14. Januar wird für knapp zwei Wochen über den Zedernstaat der Ausnahmezustand verhängt, der je nach Lage verlängert werden soll. Geschäfte, Schulen, Kindergärten, Sportstätten und Universitäten bleiben geschlossen. Die Krankenhäuser müssen alle verfügbaren Betten für mögliche COVID-19-Patienten freihalten. Lebensmittelgeschäfte dürfen Waren nur ausliefern, vor Supermärkten bildeten sich lange Schlangen.

Rund um die Uhr gilt eine Ausgangssperre, die nur für ausgewählte Berufsgruppen, Diplomaten und UN-Personal ausgesetzt werden kann. Der Flugverkehr am Flughafen Beirut wird auf 20 Prozent des Verkehrs von Januar 2020 reduziert. Die Grenze zu Syrien wird nur zwei Mal pro Woche für eine kleine Zahl von Einreisenden geöffnet.

Die Bevölkerung muss zusehen, wie sie Strom, Wasser und die Miete bezahlen, wie sie Essen einkaufen und die Kinder versorgen soll. Seit mehr als einem Jahr dauert schon die Wirtschafts- und Finanzkrise, in der die Libanesen Ersparnisse und viele auch ihre Arbeit verloren haben. Seit der Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020 sind Zehntausende obdachlos. Das Coronavirus hat die Not noch verschärft.

Mit dem Lockdown wurden die Brotpreise erhöht. Die aus dem Irak geschenkten Weizenvorräte seien zu Ende, hieß es lapidar aus dem Wirtschaftsministerium. Auch der Ölpreis wurde angehoben, doch der Bevölkerung wurde von Seiten der Ölunternehmen versichert, es werde keine Knappheit geben. Der Staat subventioniert den Import von Weizen, Öl und Medikamenten, verfügt allerdings kaum noch über US-Dollar, die dafür erforderlich sind. Am Dienstag wurde bekannt, dass die Weltbank mehrheitlich einem Kredit in Höhe von 246 Millionen US-Dollar für den Libanon zugestimmt hat. Mit dem Geld kann die Regierung das so genannte »Soziale Sicherheitsnetzwerk« finanzieren, mit dem Familien geholfen wird, deren Einkommen gering ist.

Kleinstunternehmer, die einen Schuh- oder Lebensmittelladen betreiben, sind oft die einzigen, die Geld für ihre Familien nach Hause bringen. »Erst die Revolution, jetzt der Lockdown«, seufzt die 40-jährige Micha Kalfayan auf die Frage einer Reporterin, wie sie dem neuen Lockdown entgegensehe. Vier Monate habe sie 2020 an Einkommen verloren, ihr Mann sei arbeitslos und sie wisse nicht, wie sie die Familie und die 84 Jahre alte Mutter über die Runden bringen solle.

»Wir sind müde«, sagt Hassan, der in einem Hotel in Beirut arbeitet. »Mehr als ein Jahr leben wir nun schon am Limit, und wer weiß, ob es nicht doch noch einen Krieg gegen den Iran geben wird.« Die Sorgen der Bevölkerung werden genährt durch nahezu tägliche Überflüge israelischer Kampfjets, die den libanesischen Luftraum wie selbstverständlich für Spionage- und Übungsflüge, Angriffe auf das Nachbarland Syrien oder für Scheinangriffe im Tiefflug über abgelegenen Dörfern nutzen.

Am Dienstag reichte der Libanon ein offizielles Protestschreiben beim UN-Sicherheitsrat und UN-Generalsekretär António Guterres ein. Mindestens acht Mal habe die israelische Luftwaffe den libanesischen Luftraum an nur einem Tag verletzt, erklärte die Armeeführung in Beirut. Tiefflüge seien über dem Süden des Landes, Beirut und nördlich von Beirut registriert worden. Außerdem habe ein israelisches Kampfboot - nicht zum ersten Mal - am vergangenen Montag die Seegrenze bei Ras Al-Naqoura verletzt.

UNIFIL-Sprecher Andrea Tenenti bestätigte, dass die Überflüge von israelischen Drohnen und Kampfjets massiv zugenommen hätten. Sie verstießen gegen die UN-Sicherheitsratsresolution 1701 und verletzten die libanesische Souveränität. »Die anhaltenden Verletzungen erhöhen die Angst bei der lokalen Bevölkerung und unterlaufen unsere Anstrengungen, Spannungen abzubauen«, so Tenenti. Unbeabsichtigte Zwischenfälle könnten den Waffenstillstand brechen.

In benachbarten Syrien ist der Krieg Alltag. So sind in der vergangenen Nacht zum Mittwoch bei den schwersten israelischen Luftangriffen in Syrien seit Jahren nach Angaben von Aktivisten mindestens 57 syrische Soldaten und Kämpfer von verbündeten Milizen getötet worden. Mindestens 14 syrische Soldaten und 43 Kämpfer pro-iranischer Milizen seien ums Leben gekommen, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Die Angriffe hätten sich gegen Waffenlager der Regierungstruppen sowie andere militärische Stellungen im Osten des Bürgerkriegslandes gerichtet.

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