Terror verkleidet als Antiterror

Gericht in Philippinen verhandelt Klagen gegen Gesetz, das Massaker legalisiert

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 3 Min.

Es sind rekordverdächtige 37 Petitionen, mit denen sich das oberste Gericht der Philippinen ab Dienstag befassen muss. Bürgerrechtsgruppen, Parteien und kirchliche Institutionen klagen gegen das seit Juli vergangenen Jahres geltende kontroverse Antiterrorgesetz der Regierung von Präsident Rodrigo Duterte.

»Das Antiterrorgesetz ist eine drakonische Maßnahme, die unsere fundamentalen Rechte und Freiheiten negiert«, sagt Liza Maza, ehemalige Ministerin für Armutsbekämpfung im Kabinett von Duterte, zu »nd«. Die im August 2018 aus Protest gegen die zunehmende Militarisierung der Regierung zurückgetretene Politikerin fügt hinzu: »Durch dieses Gesetz wird das Red-Tagging in unserem Rechtssystem verankert.«

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»Red Tagging« - Brandmarkung als Rote - wird auf den Philippinen die Strategie Dutertes genannt, seine Kritiker als »Kommunisten« und »Terroristen« zu diffamieren und zum Abschuss freizugeben. Das ist zuletzt auf der Insel Panay geschehen. Am 30. Dezember 2020 erschossen Einheiten von Polizei und Militär bei zeitgleichen Einsätzen in den Dörfern Tapaz, Capiz und Calinog neun Angehörige der Minderheit Tumandok. Nach offizieller Lesart handelten die Sicherheitskräfte in Notwehr, weil sich die Bauern ihrer Verhaftung als »Kommunisten« und »Terroristen« widersetzten.

Die Morde waren ein Massaker mit Ansage. Bereits in den Wochen zuvor waren die Tumandok wegen ihres Widerstands gegen den Bau von Dämmen in den Flüssen Jalaur und Panay als »Unterstützer« der kommunistischen Guerilla »Neue Volksarmee« im Visier der Armee. »Die Soldaten sagten ihnen, sie könnten auf Grundlage (des 2020 erlassenen) Antiterrorgesetzes angeklagt werden und das, was sie auf Negros getan hatten, könnte auch ihnen wiederfahren«, sagte Ariel »Ka Ayik« Casilao, Sprecher des Netzwerkes Defend Negros. Laut der Nichtregierungsorganisation Global Witness sind die Philippinen eines der lebensgefährlichsten Länder für Umwelt- und Landrechtsaktivisten. Die Täter - Polizei, Militär, Paramilitär sowie Privatarmeen von Unternehmen und Großgrundbesitzern - kommen straffrei davon.

Die »Vergehen« der Opfer auf Panay und Negros waren gleich: sie leisteten Widerstand gegen Landraub und Zerstörung der Umwelt. Vor allem Negros, das wie Panay zur Inselgruppe der Visayas gehört, hat sich zu einem Hotspot von Morden an Landrechts- und Menschenrechtsaktivisten entwickelt. Die viertgrößte Insel der Philippinen ist Dank ihrer von großen Unternehmen und korrupten Familien dominierten Landwirtschaft eine der wohlhabendsten des ganzen Landes.

Am 30. März 2019 waren bei zeitgleich an drei verschiedenen Orten auf Negros durchgeführten Polizeirazzien 14 Bauern ums Leben gekommen. Im Dezember 2020 fiel Mary Rose Sacelan, Leiterin der Corona-Task-Force der Stadt Guihulngan auf Negros, einem Attentat zum Opfer. Den Mord an Sacelan nannte Bischof Gerard Alminaza einen weiteren Fall der »systematischen und unkontrollierten Morde« in seinem Bistum San Carlos. Seit dem ersten Mord im Januar 2017 an Bauernführer Alexander Ceballos wurden auf Negros nach Angaben von philippinischen Bürgerrechtlern bis Dezember 2020 mindestens 84 Aktivisten ermordet. Auf Panay verurteilte der gerade von Papst Franziskus in den Kardinalsstand erhobene Erzbischof Jose Advincula die Morde.

Auf den mehrheitlich katholischen Philippinen sind selbst Priester und Bischöfe nicht vor den Schergen Dutertes sicher. 2017/18 waren drei katholische Priester von Unbekannten erschossen worden, die sich als Streiter für die Rechte von Ureinwohnern sowie für die Freilassung politischer Gefangener einen Namen gemacht hatten. Ende Dezember 2018 hatte Duterte zur Ermordung von katholischen Bischöfen aufgerufen, die sich gegen seinen »Drogenkrieg« stellen.

Die Morde sind nur die Spitze des Eisbergs. Schikanen und Einschüchterungen von Aktivisten, ihren Familien und kritischen Bürgern sind spätestens seit dem Antiterrorgesetz Alltag. Die »Nationale Vereinigung der Volksanwälte« warnt: »Jeder normale Bürger, der seine Unzufriedenheit mit der Regierung in den sozialen Medien äußert, kann nach diesem Gesetz angeklagt werden.«

Auf Panay geht derweil die Angst um, ein zweites Negros zu werden. Das Netzwerk Partnership Mission for People’s Initiatives teilte am 8. Januar mit, Hunderte Indigene seien auf der Flucht, »weil das Militär seine Operationen in der Region intensiviert«.

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