nd-aktuell.de / 23.01.2021 / Politik / Seite 3

Kommando Coronabekämpfung

Um die Pandemie einzudämmen, will Biden ein Gesetz aus dem Zweiten Weltkrieg anwenden. Damit kann er Firmen zwingen, medizinische Güter herzustellen.

Moritz Wichmann

Viele US-Amerikaner haben die Präsidentschaft von Donald Trump nicht überlebt. Über 400 000 Menschen in den Vereinigten Staaten sind bis Mittwoch an Covid-19 gestorben - das sind mehr Menschen, als das Land an Opfern im Zweiten Weltkrieg zu beklagen hatte. »Wenn es Engel im Himmel gibt, dann sind es Krankenschwestern«, sagte der neue US-Präsident Joe Biden am Dienstagabend vor seiner Amtseinführung bei einer Gedenkveranstaltung für die Pandemie-Toten. Biden tat das, was Donald Trump nie konnte und wollte: Empathie zeigen und der Trauer im Land Ausdruck verleihen, sie würdigen.

Doch in den nächsten Tagen und Wochen wird er handeln müssen. 24 Millionen Infektionsfälle hatte das Land insgesamt bislang, das sind mehr als 20 Prozent aller Fälle weltweit. Er wolle »immer ehrlich« sein, hat Biden angekündigt. In einer Rede vor wenigen Tagen sagte er dann: »Die Wahrheit ist, der Winter wird dunkel bleiben, es wird schlimmer, bevor es besser wird.«

Die Konsequenz der Untätigkeit der Trump-Regierung und der Politik der Republikaner in den Bundesstaaten: Landesweit liegt die Zahl der Neuinfektionen immer noch bei rund 184 000 pro Tag, sie ist zuletzt nur leicht gesunken. Täglich sterben über 3000 US-Amerikaner an oder mit Covid-19. Zwar schreiben viele Staaten mittlerweile das Tragen von Masken vor. Doch trotz der hohen Fallzahlen sind nur in wenigen Regionen Geschäfte geschlossen, es gibt oft keine Kontaktbeschränkungen oder Stay-at-home-Erlasse. Nach Prognosemodellen verschiedener US-Universitäten wird die Marke von einer halben Million Toten bald überschritten werden.

Eine ganze Reihe von Maßnahmen hat die Biden-Regierung zur kurzfristigen Bekämpfung der Pandemie bereits zusammengestellt - auf 200 Seiten. 100 Millionen US-Amerikaner will Biden innerhalb der ersten 100 Tage seiner Präsidentschaft impfen lassen. Ziel ist die Verabreichung von einer Million Impfdosen pro Tag, Mediziner fordern bis zu drei Millionen. Dazu will Biden die Katastrophenschutzbehörde Fema anweisen, Impfzentren in Stadien, Schulen und Community Centern aufzubauen. Aktuell sind rund 15 Millionen US-Amerikaner oder rund vier Prozent mindestens mit einer Dosis geimpft worden - die Trump-Regierung hatte sich ein Impfziel von 20 Millionen bis Ende 2020 gesetzt. Immer wieder kommt es zu Problemen, so führten zu strikte Vorgaben an einigen Orten dazu, dass Impfdosen weggeschmissen werden mussten, weil sie abgelaufen waren oder nicht rechtzeitig verimpft werden konnten. Andererseits hat die Trump-Regierung so ein Chaos hinterlassen, dass jetzt offenbar unklar ist, wo sich die Hälfte der 38 Millionen schon im Land verteilten Impfdosen befinden, weil Staaten beginnen, sich über Lieferengpässe zu beschweren.

Vor allem in Krankenhäusern, aber auch in Drive-thru-Zentren werden Impfdosen verabreicht. Die Zahl dieser Stationen, bei denen die Menschen in ihren Autos gespritzt werden, will das Team Biden verdoppeln lassen. Zusätzlich sollen mobile Kliniken Impfungen zu älteren, gebrechlichen Menschen bringen. Außerdem sollen in den nächsten 30 Tagen 100 Community-Impfzentren von der Katastrophenschutzbehörde aufgebaut werden. So soll auch die aktuelle ethnische Ungleichheit bei Covid-19-Erkrankungen und bei Impfungen reduziert werden. Studien zeigen, dass Schwarze US-Amerikaner und Latinos besonders oft erkranken und dass es aktuell Anwohner in überwiegend weißen Nachbarschaften häufiger schaffen, Impftermine zu ergattern.

Biden hat zudem per Präsidialerlass die Anwendung des Defense Authorization Act autorisiert. Präsident und Regierung können nach diesem Gesetz aus dem Zweiten Weltkrieg Unternehmen im Krisenfall zwingen, Regierungsaufträge bevorzugt anzunehmen beziehungsweise dringend benötigte Güter zu produzieren - damals Kriegsgerät, heute Masken, Schutzausrüstung, medizinisches Gerät in Höhe von 30 Milliarden Dollar. »So haben wir im Zweiten Weltkrieg in Rekordzeit Panzer, Flugzeuge und Uniformen produziert«, erklärt Biden. Die Notwendigkeit staatlicher Vorgaben zeigt auch die Tatsache, dass in den vergangenen Wochen in einigen Orten, etwa in der Großstadt Los Angeles, der Sauerstoff zur Beatmung von Covid-19-Patienten knapp wurde. Auch nicht-medizinische Beschäftigte sollen besser mit Schutzausrüstung ausgestattet werden.

Ein nationales »Pandemic Testing Board« soll die Produktion von »mehreren zehn Millionen« zusätzlicher Tests, darunter auch neue Haustests, in einer Art »Kriegsproduktion« koordinieren und dann verteilen. Damit die Tests auch marginalisierte Communitys erreichen, soll ein Public Health Corps mit 100 000 »kulturell kompetenten« Gesundheitsmitarbeitern aufgebaut werden, das auch Contact-Tracing-Aufgaben übernehmen soll. Per Präsidialerlass gilt nun eine Maskenpflicht auf dem Gelände von Regierungsgebäuden und auf Bundesautobahnen.

Innerhalb von drei Monaten will Biden zudem die Schulen für Grundschüler unterhalb der achten Klasse wieder öffnen lassen, zuvor aber eine sichere Öffnung durch das Bildungsministerium erforschen lassen. Schulen sollen zuvor mit Bundesmitteln in Höhe von 170 Milliarden Dollar renoviert werden, so dass eine bessere Hygiene und Belüftung gewährleistet werden kann oder ein Lernen im Freien möglich wird. Biden hat auch per Präsidialerlass den Wiedereintritt der USA in die Weltgesundheitsorganisation WHO erklärt. Zudem soll ein Programm der Entwicklungsbehörde USAID zur weltweiten Beobachtung und Überwachung von Viren und ihrer Mutationen erneut gestartet werden.

Mittelfristig strebt Biden ein 1900 Milliarden schweres Hilfspaket gegen die Coronakrise an, darin enthalten sind 1400-Dollar-Direktzahlungen an fast alle US-Amerikaner, ein zusätzliches Bundesarbeitslosengeld von 400 Dollar pro Woche bis September, Hilfen für Kleinunternehmen und viele andere progressive Maßnahmen wie strengere Vorschriften zu Lohnfortzahlung bei Krankheit. Beschließen kann dieses Hilfspaket nur das Parlament, also der US-Kongress. Dort haben die Demokraten zwar eine knappe Mehrheit, doch wegen der 60-Stimmen-Filibuster-Regel ist unklar, was wie schnell beschlossen wird, denn die Republikaner zeigen sich unwillig. Mitte März läuft jedenfalls das im Dezember verlängerte Bundesarbeitslosengeld aus.