Aquarium säuft ab

Die Frist für einen Bauantrag für das Wasserhaus an der Rummelsburger Bucht läuft im Frühjahr aus

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.
Wo noch Brachen-Anarchie herrscht soll nach Plänen von Coral World ein Schauaquarium für eine halbe Million Besucher jährlich hingebaut werden.
Wo noch Brachen-Anarchie herrscht soll nach Plänen von Coral World ein Schauaquarium für eine halbe Million Besucher jährlich hingebaut werden.

Für das Projekt eines Schauaquariums an der Rummelsburger Bucht in Lichtenberg wird es zeitlich sehr eng. »Spätestens im Juni muss laut den geschlossenen Verträgen ein Bauantrag eingereicht werden«, sagt Katrin Dietl, Sprecherin der Stadtentwicklungsverwaltung, zu »nd«.

Doch noch liegt nicht einmal ein Bauantrag vor, wie der Lichtenberger Baustadtrat Kevin Hönicke (SPD) »nd« am Mittwoch auf Anfrage mitteilt. »Ein konkretes Zeitfenster für die Antragstellung durch Coral World ist mir Stand heute nicht bekannt«, erklärt Hönicke weiter.
Doch eine Gnadenfrist könnte das umstrittene Projekt namens Wasserhaus des Unternehmens Coral World, das weltweit bereits vier Schauaquarien betreibt, noch bekommen. Um bis zu sechs Monate könnte die Frist noch verlängert werden, heißt es aus der Stadtentwicklungsverwaltung. Es handele sich dabei um »eine Ausnahmeregelung, die die besonderen Umstände der Corona-Pandemie würdigt«, so Sprecherin Dietl.

In einer auf Englisch verfassten, »nd« vorliegenden E-Mail begründet Coral-World-Inhaber Benjamin Kahn die Verzögerungen mit der Pandemie. Obwohl Coral World stark genug sei, um wirtschaftliche Turbulenzen und auch die Covid-19-Krise zu überstehen, sei man die letzten sechs Monate damit beschäftigt gewesen, die Aktivitäten der Parks an die Situation anzupassen, schreibt der israelische Milliardär und Meeresbiologe an Bezirksstadtrat Hönicke. Daher seien neue Projekte wie das Wasserhaus angehalten worden, »bis wieder Stabilität in die Tourismusbranche kommt«.

Das ist aufschlussreich, schließlich war die Berliner Projektleiterin Gabriele Thöne stets darauf bedacht, das Projekt als Bildungsstätte für die lokale Bevölkerung darzustellen. Auf nd-Anfrage erklärt sie: »Die Planungen für das Wasserhaus laufen auch unter den erschwerten Bedingungen der weltweit grassierenden Pandemie. Die vertraglich vereinbarten Termine sind bekannt und werden beachtet.«

Die zweijährige Frist für den Bauantrag begann mit Inkrafttreten des Bebauungsplans Ostkreuz Ende Juni 2019. Ende April 2019 hatte die Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg nach hitziger Debatte dem Plan mehrheitlich zugestimmt.

Dem vorausgegangen war jahrelanger Protest gegen die Pläne, unter anderem von der Initiative Bucht für Alle. Es gab Demonstrationen, Einwohneranträge, sogar eine erfolgreiche Volksinitiative, für die rund 30.000 Unterschriften zusammenkamen. Das Abgeordnetenhaus beschäftigte sich im Rahmen einer Anhörung der Initiative damit jedoch erst im Januar 2020.

Bereits vor einem Jahr hat der renommierte Verwaltungsrechtler Karsten Sommer ein Normenkontrollverfahren zu dem Bebauungsplan Ostkreuz angestrengt. Den Auftrag erteilt hatten die verbandsklageberechtigten Naturfreunde Berlin. Für die Finanzierung der Klage sammelt die Initiative Bucht für Alle Spenden auf der Plattform Betterplace.me.

»Die öffentliche Grünanlage ist ein Etikettenschwindel«, sagt Anwalt Sommer zu »nd«. Denn obwohl die große Fläche im B-Plan als öffentliche Parkanlage mit Spielplatz ausgewiesen sei, werde dem Investor Coral World im Vertrag das Recht eingeräumt, sie einzuzäunen und zu nutzen.

Die Grünanlage werde »in Teilbereichen eingezäunt und nach Anbruch der Dunkelheit geschlossen«, heißt es im »nd« vorliegenden Vertrag. In Abstimmung mit dem Land Berlin darf der Investor »verschiedene Installationen, die das Thema ›Wasser‹ anschaulich visualisieren und erläutern«, aufstellen. Teile der Grünanlage »dürfen in die Cafénutzung mit einbezogen werden«, heißt es weiter. »Das ist ein Missbrauch, den das Bauplanungsrecht nicht zulässt«, sagt Sommer.

Dass auch eine Klimaverträglichkeitsprüfung »kaum stattgefunden hat«, ist der zweite Angriffspunkt des Anwalts. Denn diese sei vorgeschrieben. »Es ist die letzte Freifläche an der Bucht, die eine Kaltluftschneise in Richtung der klimatisch hochproblematischen dichten Bebauung in Friedrichshain darstellt«, so Sommer. Er behält sich auch die Möglichkeit eines Eilantrags vor, um zu verhindern, dass Fakten geschaffen werden.

»Der Ball liegt bei der Senatsfinanzverwaltung und beim Abgeordnetenhaus. Wenn der Vertrag nicht eingehalten werden kann, muss die Finanzverwaltung die Reißleine ziehen und das Geschäft rückabwickeln«, sagt der Lichtenberger Linksfraktionschef Norman Wolf zu »nd«. »Wir brauchen angesichts der neuen Situation eine gesamtstädtische öffentliche Debatte über die Entwicklung der Fläche«, fordert er.

Sollte Coral World mit dem Bau beginnen, müsste auch das dortige Obdachlosencamp weichen. Von den Bauplänen an der Bucht sind auch die Mieter der Hauptstraße Nummer 1g-i betroffen. Sie erhielten im November 2020 Kündigungen von Eigentümer Gijora Padovicz. Die Häuser sollen für neue Luxuswohnungen abgerissen werden.

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