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Corona ist ein Ungleichheitsvirus

Die Pandemie trifft weltweit besonders Frauen und LSBTIQ

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Dass vor dem Coronavirus nicht alle gleich sind, ist längst klar: Covid-19 hat Ungleichheiten auf der ganzen Welt verstärkt. »In reichen Ländern ist die relative Armut um 21 Prozent, in armen Ländern sogar um 56 Prozent gestiegen«, erklärt Jana Prosinger von der Heinrich-Böll-Stiftung in Sarajevo bei einer Online-Konferenz am Mittwochabend. Corona sei ein »Ungleichheitsvirus«, dessen Auswirkungen besonders Frauen und LSBTIQ zu spüren bekommen. Eine Erhebung von UN-Women habe gezeigt, dass die Pandemie in kürzester Zeit 25 Jahre feministischer Errungenschaften zunichte gemacht hat.

Schon vor der Pandemie haben Frauen den Großteil der Sorgearbeit geleistet und waren überproportional in Jobs beschäftigt, die zwar oft »systemrelevant«, aber dennoch schlecht bezahlt sind. »Ihr Einkommen ist weltweit bereits im ersten Monat der Pandemie um weitere 60 Prozent gesunken«, sagt Prosinger. Insgesamt hätten 54 Prozent der Frauen ihren Job im Zuge der Coronakrise verloren – auch weil viele von ihnen im informellen Sektor arbeiteten. Und: »Die Rollenverteilung entspricht heute wieder eher der unserer Großeltern«, so Prosinger. In Deutschland etwa hätten acht Prozent der Mütter darüber nachgedacht, ihre Arbeitszeit wegen der Pandemie zu verkürzen, bei den Vätern waren es nur zwei Prozent. Mangelnde Rückzugsmöglichkeiten durch Quarantäne und Lockdown würden aber auch zu mehr Stress, steigendem Alkoholkonsum und Aggressionen führen. Auf der ganzen Welt hätten Frauenrechtsorganisationen auf den rasanten Anstieg geschlechterspezifischer Gewalt aufmerksam gemacht.

»In Brasilien war häusliche Gewalt schon vor der Pandemie ein Problem«, erklärt Annette von Schönfeld aus dem Stiftungsbüro in Rio de Janeiro. Durch den Lockdown seien nun aber Hilfe-Netzwerke weggefallen. Hinzu komme, dass etwa 30 Prozent der im formellen Sektor angestellten Frauen durch die Pandemie ihre Arbeit verloren hätten, im informellen Sektor seien es sogar bis zu 70 Prozent. »Ein riesiges Problem, weil knapp ein Drittel der Mütter alleinerziehend und Alleinverdienerin ist«, so von Schönhals. Mit der Toursimus- und Schönheitsindustrie seien über Nacht ganze Branchen weggebrochen, in denen traditionell Frauen arbeiteten. Und auch von den etwa sieben Millionen Hausangestellten seien inzwischen fast alle arbeitslos.

Wäschefrauen, Kosmetikerinnen und Sexarbeiterinnen – auch in Kenia sind Frauen besonders stark von den Corona-Einschränkungen betroffen, berichtet Ulf Terlinden aus Nairobi. In dem ostafrikanischen Land hätten innerhalb der ersten sechs Pandemie-Wochen 25 Prozent der Bevölkerung ihre Arbeit verloren. Weil es an Hilfsprogrammen fehle und Steuerkürzungen nur die Reichsten entlastet hatten, hätten sich viele in ländliche Regionen bewegt. »Das hat zu einer Rückkehr in traditionelle Rollenmuster geführt«, so Terlinden. Die Zahl der Vergewaltigungen und Zwangsheiraten sei gestiegen, wegen der Schulschließung seien besonders junge Mädchen betroffen. »Immer wieder hören wir jetzt auch, dass Vermieter Sex erpressen«, sagt Terlinden. Weil Kenia kaum von Corona betroffen sei, komme er zu einem niederschmetternden Schluss: »Die Maßnahmen haben hier mehr Schaden angerichtet als das Virus selbst«.

Dass überall auf der Welt Community-Spaces und Schutzräume geschlossen sind, trifft auch LSBTIQ: »Oftmals sind sie in ihren Familien nicht sicher, und können Gewalt und Diskriminierungen während des Lockdowns nicht entfliehen«, sagt Prosinger. In Großbritannien habe eine Telefonhotline im April 2020 einen Anstieg bei den Anrufen von 260 Prozent verzeichnet. In den USA hätten 40 Prozent der LSBTIQ-Jugendlichen angegeben, dass sie in den vergangenen Monaten nicht mehr in gleichem Maße sie selbst sein konnten. Fast überall wurden geschlechtsangleichende Operationen für trans Personen als nicht lebensnotwendige medizinische Eingriffe abgesagt. Und in manchen Ländern, wie Ungarn etwa, wurden die Maßnahmen sogar als Vorwand genutzt, um homo- und transfeindliche Notstandsgesetze einzuführen.

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